"Ich schaffs!" in Aktion. Ben Furman


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mit dem Jungen lag, dass er scheinbar kurz davor stand, ihn zu verstoßen.

      Bei einer kurzen Unterredung hinter der Spiegelwand forderte Haley den Therapeuten auf, der Familie als »Ursache« des Problems mitzuteilen, dass Michael die Handhabung von Feuer nicht beherrschte, und dass er dies testen wolle, indem er ihn im Therapieraum ein harmloses kleines Feuer mit Papier entzünden ließe. Der Junge tat das mit Begeisterung, und wie erwartet zeigte sich, dass er viele Fehler beim Anzünden der Streichhölzer, beim Anbrennen des Papiers und beim Löschen des Feuers machte. Sowie der »Beweis« von Michaels Inkompetenz erbracht war, wendete sich der Therapeut dem Vater zu und fragte ihn, ob er die Aufgabe übernehmen würde, seinen Sohn im kompetenten Umgang mit Feuer zu unterrichten. Der Vater stimmte zu, und kurz darauf waren die beiden intensiv damit beschäftigt, ein straffes Trainingsprogramm auszuarbeiten, bei dem der Vater seinen Sohn jeden Tag eine Stunde in den zu erlangenden Fähigkeiten zum sicheren Umgang mit Feuer unterrichten sollte.

      Vater und Sohn trainierten mehrere Wochen lang täglich sehr gewissenhaft, und Michael wurde ein richtiger Feuerexperte. Außerdem kamen die beiden sich als Ergebnis der intensiven Zusammenarbeit wieder viel näher, und auch die Eltern, die vorher so ziemlich über alles geteilter Meinung gewesen waren, begannen, am gleichen Strang zu ziehen. Michaels Faszination für Feuer legte sich wieder, und nach einigen Wochen gab der Therapeut den beiden die Erlaubnis, das Trainingsprogramm zu beenden und stattdessen nun etwas anderes gemeinsam zu unternehmen.

      Auch hier war der Fokus also nicht auf die Familie, sondern den Jungen gerichtet. Dennoch hatte die Intervention nicht nur Auswirkungen auf das Kind, sondern auch auf die Beziehungen zwischen allen Familienmitgliedern. »Ich schaffs« stützt sich auf genau diese Logik. Indem man sich auf das Kind konzentriert, eine neue Fähigkeit identifiziert, die es erlernen soll, und dann die Eltern und andere Bezugspersonen dazu bringt, ihm beim Erlernen der Fähigkeit zu helfen, lassen sich positive Veränderungen sowohl bei dem Kind als auch in seinem gesamten sozialen Umfeld erreichen.

       Insoo Kim Berg und Steve DeShazer

      Die lösungsfokussierte Therapie ist eine psychotherapeutische Richtung, die durch die Ideen von Milton Erickson inspiriert worden ist. Sie wurde während der 1970er und 1980er Jahre am Brief Family Therapy Center in Milwaukee/USA von einem Therapeutenteam – geleitet von Steve de Shazer (1940–2005) und Insoo Kim Berg (1934–2007) – entwickelt. In der lösungsfokussierten Therapie liegt der Fokus nicht auf Problemen (und dem, was sie möglicherweise verursacht hat), sondern auf Zielen, die die Klienten erreichen möchten, und darauf, was sie für das Erreichen dieser Ziele tun können.

      Bei dieser Art der Behandlung muss der Therapeut als Erstes vom Klienten erfragen, wie dieser ein gutes Ergebnis der Intervention definieren würde: »Wie würde eine bessere Zukunft nach Ihren Wünschen aussehen?« ist ein Beispiel für eine Frage, die er in der ersten Sitzung stellen könnte. Wenn er erst einmal ein klares Bild davon hat, was der Klient möchte, konzentriert er sich darauf, ihm beim Erreichen seines Ziels zu helfen.

      »Ich schaffs« folgt demselben Muster – mit der Ausnahme, dass die einleitende Frage »Wie könnte sich die Situation in Zukunft verbessern?« zu folgender Formulierung abgeändert wurde: »Welche Fähigkeit musst du entwickeln, damit sich die Situation in Zukunft verbessert?« Diese Modifikation basiert auf folgender Beobachtung: Bei der Anwendung des lösungsfokussierten Ansatzes in der Arbeit mit Kindern impliziert die Frage nach einem wünschenswerten Ausgang unweigerlich die Erwartung, dass das Kind sein Verhalten ändert bzw. lernt, sich zu benehmen oder anders auf eine bestimmte Situation zu reagieren.

      Ein anderes Charakteristikum der lösungsfokussierten Therapie ist die Betonung jeglicher Anzeichen von Fortschritt: Dieser Fokus ist auch typisch für »Ich schaffs«, wo Kinder enorm viel Aufmerksamkeit erhalten, indem sie über die Fähigkeiten, die sie gerade erlernen, sprechen und sie üben bzw. demonstrieren können.

       Michael White und David Epston

      Noch eine andere Schule der Psychotherapie hat uns geprägt, nämlich der narrative Ansatz mit seinen Wegbereitern Michael White (1945–2008) in Australien und David Epston in Neuseeland. Mitte der 1980er Jahre stießen wir auf einen Artikel von Michael White mit dem Titel »Pseudo-encopresis: From avalanche to victory, from vicious to virtuous cycles« (White 1984). In diesem wegweisenden Artikel beschrieb White einen spielerischen Familientherapieansatz, den er entwickelt hatte, um Kindern zu helfen, die unter Einkoten (wissenschaftlich als Enkopresis bezeichnet) oder Kotschmieren leiden, weil sie sich weigern, altersentsprechend aufs Klo zu gehen. Whites Ansatz basierte auf der Idee, dass man die Schuld und Verantwortung für das Problem des Kindes auf eine externe Figur schiebt, die er »Sneaky Poo« nannte.

      Der Artikel beschreibt ein systematisches Verfahren, bei dem das Kind mit der Unterstützung seiner Eltern in ein Spiel verwickelt wird, um »Sneaky Poo« zu besiegen (auf Deutsch wird das Vorgehen in dem Buch Die Zähmung der Monster [White u. Epston 1990] beschrieben). Das Spiel besteht aus verschiedenen Aktivitäten – zum Beispiel, so schnell wie möglich von Orten, an denen »Sneaky Poo« das Kind attackiert oder es in die Hose machen lässt, ins Badezimmer zu rennen, oder eine Routine einzuführen, bei der das Kind nach den Mahlzeiten 20 Minuten auf der Toilette sitzt, oder dem Kind zur Unterstützung in seinem Kampf gegen »Sneaky Poo« einen Tiger zu geben.

      White berichtete von überraschend guten Ergebnissen mit diesem Ansatz – der so ziemlich allem, was jemals zuvor in der kinderpsychiatrischen Literatur über Enkopresis geschrieben wurde, widersprach. Er legte den Grundstein für ein wachsendes Interesse an spielerischen Ansätzen, mit denen man Kindern helfen kann, mit der Unterstützung ihrer Familie und ihrer Freunde Probleme zu bewältigen. Wer mit diesem Ansatz der »Externalisierung des Problems« vertraut ist, wird leicht erkennen, wie wichtig der Einfluss der narrativen Therapie auf »Ich schaffs« ist.

      Darüber hinaus ist »Ich schaffs« durch die kreativen Ideen und Anregungen der Kinder und Eltern, mit denen wir über die Jahre gearbeitet haben, beeinflusst und inspiriert worden.

       2»Ich schaffs« – Schritt für Schritt

       Die 15 Schritte von »Ich schaffs«

      »Ich schaffs« ist eine Methode für die Arbeit mit Kindern, die sich aus den folgenden 15 Schritten zusammensetzt:

      1.Finden Sie zunächst selbst heraus, welche Fähigkeit das Kind erlernen muss, um das Problem zu überwinden.

      2.Besprechen Sie sich mit dem Kind und einigen Sie sich mit ihm darüber, welche Fähigkeit es zuerst erlernen möchte.

      3.Helfen Sie dem Kind dabei zu erkennen, welche Vorteile es hat, diese Fähigkeit zu erlernen.

      4.Fordern Sie das Kind auf, der Fähigkeit einen Namen zu geben.

      5.Lassen Sie das Kind ein Tier oder eine andere Figur auswählen, die ihm dabei helfen wird, die Fähigkeit zu erlernen.

      6.Veranlassen Sie das Kind, eine Reihe von Menschen dazu einzuladen, seine Helfer zu werden.

      7.Helfen Sie dem Kind dabei, Selbstvertrauen und Zuversicht aufzubauen, dass es die Fähigkeit erlernen wird.

      8.Planen Sie mit dem Kind schon frühzeitig, wie gefeiert werden soll, wenn es die Fähigkeit erlernt hat.

      9.Bitten Sie das Kind, Ihnen zu beschreiben und zu zeigen, wie es sich verhalten wird, wenn es die Fähigkeit erlernt hat.

      10. Informieren Sie die Menschen in seinem Umfeld darüber, welche Fähigkeit das Kind gerade erlernt.

      11. Einigen Sie sich mit dem Kind darüber, wie es die Fähigkeit üben wird.

      12. Bitten Sie das Kind, Ihnen zu sagen, wie es möchte, dass die anderen reagieren, wenn es einmal seine Fähigkeit vergisst.

      13. Wenn das Kind


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