Der ungeliebte Mann. Ханс Фаллада

Der ungeliebte Mann - Ханс Фаллада


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dieser grauen Augen lag. Plötzlich schien es ihr, als könne das Leben mit einem Menschen, der solchen Blick hatte, nicht völlig hoffnungslos sein …

      Aber es war doch hoffnungslos, denn er war bloß ein alberner Kaspar, der nichts von Mädchen verstand!

      »Habe ich Ihnen etwas getan, daß Sie so böse auf mich sind?« fragte er und sah sie immer noch an.

      »Sie haben mir gar nichts getan!« sagte sie ärgerlich. »Aber ich glaube, ich muß jetzt gehen.«

      Und wahrhaftig, dieser Schafskopf ließ sie gehen! Erstens hatte sie noch ein paar Minuten Zeit, und zweitens hätte sie nie einen Jungen mitten in einer Auseinandersetzung gehenlassen, nicht um alle Züge in der Welt.

      Aber er sagte bloß höflich: »Guten Abend, Fräulein Voß!«, und sie sagte ein wenig zornig und ein wenig verächtlich: »Guten Abend, Herr Bleesern!«

      Und nun schlug die Tür der Gaststube vom Preußischen Adler hinter ihr zu, und sie stand zum zweitenmal auf der Straße, ungewiß, wohin sie gehen sollte … Besiegt!

      11

      Der Zug läuft ein, und lärmend stürzt aus ihm die Horde der Lehrlinge aus der Eisenbahnwerkstatt der Kreisstadt. Nun steigen ein paar Reisende aus, Besucher der weit gerühmten landschaftlichen Schönheiten Bergas und ein paar Geschäftsreisende, die sich schiedlich-friedlich die Hausdiener vom Preußischen Adler und Wismarschen Hof teilen. Und nun …

      Nun läuft wahrhaftig noch, ein wenig verspätet und doch noch gerade zur rechten Zeit, Frau Malermeister Schütt an den Zug. Ilse Voß sieht, daß Frau Schütt in andern Umständen ist, sie sieht, wie ihr Mann aus dem Zug steigt, wie sich die beiden einen Kuß geben …

      Sie gehen eingehakt vom Bahnsteig, nahe an Ilse vorüber, und sie hört Walter Schütt so recht behaglich mit seiner tiefen Stimme sagen: »Gottlob, daß ich wieder zu Haus bin!«

      Und Ilse wendet sich um, zum zweiten Mal an diesem Abend umfaßt sie einen Baum, läßt ihre Tränen laufen. Eifersucht, Trauer, Sehnsucht nach Verlorenem bezwingen sie …

      Eine sanfte Stimme sagte: »Warum weinen Sie denn so? Ilse! Ist Ihr Besuch nicht gekommen?«

      Sie fuhr zusammen, erschrocken und empört. In diesem jammervollen Zustande zu sein, war schlimm genug, daß aber ein Mann sie darin belauschte, das war völlig unerträglich!

      »Gehen Sie!« rief sie wild. »Es ist gemein von Ihnen, mir nachzuspionieren und mich zu belauschen, Herr Bleesern!«

      »Aber ich wollte gewiß nicht hinter Ihnen spionieren. Ich machte mir nur Gedanken. Sie kamen mir so aufgeregt und unglücklich vor, und da ich doch wußte, Sie wollten zur Bahn …«

      »Sie sollen gehen! Kein Wort glaube ich Ihnen! Sie wollen mich nur unglücklich sehen! Sie haben gleich gewußt, was ich wollte, als ich zu Ihnen in die Gaststube kam … Darum haben Sie mich auch so links liegen gelassen!«

      »Ilse, weinen Sie doch nicht so schrecklich!« bat er. »Ich schwöre Ihnen, ich habe keine Ahnung, was Sie gewollt haben, wenn es etwas anderes war als die zwei Gläser Wein …«

      »Sie Lügner! Und ich habe Sie so angelächelt!«

      »Ja, einen Augenblick! Und dann haben Sie mich ganz schlecht behandelt, von Menschen, die zu Geldkassen werden, haben Sie geredet …«

      Seine Worte riefen den ganzen Umfang ihrer Niederlage in ihr wach. Auf diesen pedantischen Rechthaber würde sie nie wirken.

      »Sie sollen gehen! Ich streite mich nicht mit Ihnen! Ich will nichts mehr von Ihnen wissen! Sie haben mich laufenlassen …«

      »Ilse! Liebe Ilse! Hören Sie doch …«

      »Nein, nein, ich will nicht hören! Ich habe Sie belogen! Jetzt will ich Ihnen die Wahrheit sagen, und dann lassen Sie mich zufrieden, verstanden? Ich bin heute erst bei dem Erich Mutzbach gewesen, der war mein Freund, mein richtiger Freund, wenn Sie so was überhaupt verstehen können, und da habe ich gebettelt, daß er mich heiratet, ich habe ihm sogar Geld angeboten – nicht deswegen, denken Sie bloß nicht das, nein, ich wollte einfach heiraten, ich wollte raus aus all dem … Aber der ist ja so ein Schuft! Und dann bin ich zu Ihnen – verstehen Sie wohl, ich mag Sie nicht leiden, aber Sie waren mein letzter Ausweg, und ich habe Sie mit meinem schönsten Lächeln angelächelt, und Sie haben mir Guten Abend gesagt und mich auf die Straße geschickt … So, nun wissen Sie alles, und nun gehen Sie! Jetzt würde ich Sie nicht einmal heiraten, wenn Sie mir auf einem silbernen Tablett nachgetragen würden! Jetzt nicht mehr! Auf keinen Fall!«

      Das letzte hatte sie fast hysterisch herausgeschrieen, und nun, da alles gesagt war, wandte sie sich von ihm ab und weinte wieder, weinte wild und fassungslos immer weiter. Sie mußte eigentlich nicht mehr weinen, nur weil sie einmal so weinte, nicht aufhören konnte, ließ sie ihre Tränen weiter fließen …

      Der Mann aber stand eine lange Zeit im Dunkeln, stumm und still.

      Auf dem Bahnhof hatten sie längst die Lampen gelöscht, die kleine Lokomotive war in ihren Schuppen gefahren, die beiden da unter den Bäumen waren ganz allein.

      Nach einer langen Zeit, als das Weinen des Mädchens ruhiger geworden war, sagte Fritz Bleesern leise: »Ilse – Ilse, Sie wissen doch, daß ich Sie immer gern gehabt habe …«

      Er wartete, aber sie schwieg.

      Er fing wieder an: »Ich mag Sie noch gern, auch nach dem, was Sie mir eben gestanden haben. Aber ich hätte nie mit Ihnen davon gesprochen, weil …«

      Er brach wieder ab, und sie schwieg noch immer.

      Es kam ihm schwer an, von sich selbst zu sprechen. Aber war es nun diese dunkle, schwere Stunde, war es ein immer niedergehaltenes Bedürfnis in der eigenen Brust, sich doch einmal auszusprechen, das nun laut werden wollte, diesmal mußte er sprechen.

      »Sehen Sie, Ilse«, sagte er, »ich weiß doch, ich bin ein langweiliger Kerl, ich bin ein richtiger Pedant. Alles muß bei mir seine Ordnung haben, und ist etwas unordentlich oder liederlich und ich kann’s nicht ändern, so bekomme ich Angst davor und will nichts damit zu tun haben. Darum hätte ich nie mit Ihnen gesprochen …«

      Tatsächlich achtete Ilse Voß kaum auf das, was der schwache, umständliche Mann da erzählte. Schon bei seinen ersten Worten hatte sie begriffen, daß nun – wider alles Erwarten! – doch nicht alles verloren war, daß er sie nicht wegjagte, nein, im Gegenteil!

      Aber so waren die Männer, immer taten sie das Gegenteil von dem, was sie nach Sinn und Verstand hätten tun müssen. Sie hätte all ihre Hübschheit und all ihre Verführungskünste umsonst für ihn spielen lassen können – aber als sie ihm gestand, daß sie ihn als allerletzten Ausweg aus purer Berechnung zu einer Heirat verlocken wollte, da biß er an! Zu töricht!

      Und trotz allen ehrlichen Schmerzes, trotz der großen Verzweiflung, die sie eben noch empfunden, trotz all der Demütigungen dieses Abends fing schon wieder die Eitelkeit an, sich in ihr zu rühren. ›So sehr liebt er mich also‹, dachte sie, ›So hübsch bin ich, daß er nach alldem, was ich ihm gesagt habe, mich doch noch haben will! Ich werde ihm gegenüber stets die Stärkere sein, weil ich gar nichts für ihn empfinde – außer Abneigung!‹

      »Man kann eine Ehe auf Liebe oder auf Wahrheit gründen«, sagte er langsam. »Besser wäre es ja, wir hätten beide beides, aber ich glaube, man kann es auch mit der Wahrheit allein versuchen. Sie sind so wahr zu mir gewesen, Ilse, wie ein Mensch nur sein kann. Was meinen Sie: Wollen wir es denn doch versuchen?«

      Sie tat, was eigentlich er hätte tun sollen: Sie faßte ihn um, sie küßte ihn. Sie legte langsam die Arme um seinen Hals, führte mit den Händen sein Gesicht ihrem Mund entgegen, einen Augenblick suchten ihre Lippen – und nun … Nun schmeckte sie auf seinen Lippen das Salz der eigenen Tränen, ein bißchen Bitternis, ein wenig Süße …

      Sie fühlte, wie es ihm einen Ruck gab, wie er sich von ihr lösen wollte … Aber er liebte sie doch, so viel Gewalt mußte sie doch über ihn haben! Sie küßte ihn wieder und wieder …

      Plötzlich


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