Hamburgische Dramaturgie. Gotthold Ephraim Lessing

Hamburgische Dramaturgie - Gotthold Ephraim Lessing


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richtig als scharfsinnig sind und deren man sich vielleicht, bei einer wiederholten Vorstellung, mit Vergnuegen erinnern duerfte. Ich teile die vorzueglichsten also hier mit; in der festen Ueberzeugung, dass die Kritik dem Genusse nicht schadet und dass diejenigen, welche ein Stueck am schaerfesten zu beurteilen gelernt haben, immer diejenigen sind, welche das Theater am fleissigsten besuchen.

      "Die Rolle des Cecils ist eine Nebenrolle, und eine sehr frostige Nebenrolle. Solche kriechende Schmeichler zu malen, muss man die Farben in seiner Gewalt haben, mit welchen Racine den Narcissus geschildert hat.

      Die vorgebliche Herzogin von Irton ist eine vernuenftige, tugendhafte Frau, die sich durch ihre Liebe zu dem Grafen weder die Ungnade der Elisabeth zuziehen, noch ihren Liebhaber heiraten wollen. Dieser Charakter wuerde sehr schoen sein, wenn er mehr Leben haette, und wenn er zur Verwickelung etwas beitruege; aber hier vertritt sie bloss die Stelle eines Freundes. Das ist fuer das Theater nicht hinlaenglich.

      Mich duenket, dass alles, was die Personen in dieser Tragoedie sagen und tun, immer noch sehr schielend, verwirret und unbestimmt ist. Die Handlung muss deutlich, der Knoten verstaendlich und jede Gesinnung plan und natuerlich sein: das sind die ersten, wesentlichsten Regeln. Aber was will Essex? Was will Elisabeth? Worin besteht das Verbrechen des Grafen? Ist er schuldig, oder ist er faelschlich angeklagt? Wenn ihn die Koenigin fuer unschuldig haelt, so muss sie sich seiner annehmen. Ist er aber schuldig: so ist es sehr unvernuenftig, die Vertraute sagen zu lassen, dass er nimmermehr um Gnade bitten werde, dass er viel zu stolz dazu sei. Dieser Stolz schickt sich sehr wohl fuer einen tugendhaften unschuldigen Helden, aber fuer keinen Mann, der des Hochverrats ueberwiesen ist. Er soll sich unterwerfen: sagt die Koenigin. Ist das wohl die eigentliche Gesinnung, die sie haben muss, wenn sie ihn liebt? Wenn er sich nun unterworfen, wenn er nun ihre Verzeihung angenommen hat, wird Elisabeth darum von ihm mehr geliebt als zuvor? Ich liebe ihn hundertmal mehr, als mich selbst: sagt die Koenigin. Ah, Madame; wenn es so weit mit Ihnen gekommen ist, wenn Ihre Leidenschaft so heftig geworden: so untersuchen Sie doch die Beschuldigungen Ihres Gebliebten selbst und verstatten nicht, dass ihn seine Feinde unter Ihrem Namen so verfolgen und unterdruecken, wie es durch das ganze Stueck, obwohl ganz ohne Grund, heisst.

      Auch aus dem Freunde des Grafen, dem Salisbury, kann man nicht klug werden, ob er ihn fuer schuldig oder fuer unschuldig haelt. Er stellt der Koenigin vor, dass der Anschein oefters betriege, dass man alles von der Parteilichkeit und Ungerechtigkeit seiner Richter zu besorgen habe. Gleichwohl nimmt er seine Zuflucht zur Gnade der Koenigin. Was hatte er dieses noetig, wenn er seinen Freund nicht strafbar glaubte? Aber was soll der Zuschauer glauben? Der weiss ebensowenig, woran er mit der Verschwoerung des Grafen, als woran er mit der Zaertlichkeit der Koenigin gegen ihn ist.

      Salisbury sagt der Koenigin, dass man die Unterschrift des Grafen nachgemacht habe. Aber die Koenigin laesst sich im geringsten nicht einfallen, einen so wichtigen Umstand naeher zu untersuchen. Gleichwohl war sie als Koenigin und als Geliebte dazu verbunden. Sie antwortet nicht einmal auf diese Eroeffnung, die sie doch begierig haette ergreifen muessen. Sie erwidert bloss mit andern Worten, dass der Graf allzu stolz sei, und dass sie durchaus wolle, er solle um Gnade bitten."

      Aber warum sollte er um Gnade bitten, wenn seine Unterschrift nachgemacht war?"

      Fuenfundzwanzigstes Stueck Den 24. Julius 1767

      "Essex selbst beteuert seine Unschuld; aber warum will er lieber sterben, als die Koenigin davon ueberzeugen? Seine Feinde haben ihn verleumdet; er kann sie mit einem einzigen Worte zu Boden schlagen; und er tut es nicht. Ist das dem Charakter eines so stolzen Mannes gemaess? Soll er aus Liebe zur Irton so widersinnig handeln: so haette ihn der Dichter durch das ganze Stueck von seiner Leidenschaft mehr bemeistert zeigen muessen. Die Heftigkeit des Affekts kann alles entschuldigen; aber in dieser Heftigkeit sehen wir ihn nicht.

      Der Stolz der Koenigin streitet unaufhoerlich mit dem Stolze des Essex; ein solcher Streit kann leicht gefallen. Aber wenn allein dieser Stolz sie handeln laesst, so ist er bei der Elisabeth sowohl als bei dem Grafen, blosser Eigensinn. Er soll mich um Gnade bitten; ich will sie nicht um Gnade bitten; das ist die ewige Leier. Der Zuschauer muss vergessen, dass Elisabeth entweder sehr abgeschmackt oder sehr ungerecht ist, wenn sie verlangt, dass der Graf sich ein Verbrechen soll vergeben lassen, welches er nicht begangen, oder sie nicht untersucht hat. Er muss es vergessen, und er vergisst es wirklich, um sich bloss mit den Gesinnungen des Stolzes zu beschaeftigen, der dem menschlichen Herze so schmeichelhaft ist.

      Mit einem Worte: keine einzige Rolle dieses Trauerspiels ist, was sie sein sollte; alle sind verfehlt; und gleichwohl hat es gefallen. Woher dieses Gefallen? Offenbar aus der Situation der Personen, die fuer sich selbst ruehrend ist.—Ein grosser Mann, den man auf das Schafott fuehret, wird immer interessieren; die Vorstellung seines Schicksals macht, auch ohne alle Hilfe der Poesie, Eindruck; ungefaehr eben den Eindruck, den die Wirklichkeit selbst machen wuerde."

      So viel liegt fuer den tragischen Dichter an der Wahl des Stoffes. Durch diese allein koennen die schwaechsten, verwirrtesten Stuecke eine Art von Glueck machen; und ich weiss nicht, wie es koemmt, dass es immer solche Stuecke sind, in welchen sich gute Akteurs am vorteilhaftesten zeigen. Selten wird ein Meisterstueck so meisterhaft vorgestellt, als es geschrieben ist; das Mittelmaessige faehrt mit ihnen immer besser. Vielleicht, weil sie in dem Mittelmaessigen mehr von dem ihrigen hinzutun koennen; vielleicht, weil uns das Mittelmaessige mehr Zeit und Ruhe laesst, auf ihr Spiel aufmerksam zu sein; vielleicht, weil in dem Mittelmaessigen alles nur auf einer oder zwei hervorstechenden Personen beruhet, anstatt dass in einem vollkommenem Stuecke oefters eine jede Person ein Hauptakteur sein muesste, und wenn sie es nicht ist, indem sie ihre Rolle verhunzt, zugleich auch die uebrigen verderben hilft.

      Beim "Essex" koennen alle diese und mehrere Ursachen zusammenkommen. Weder der Graf noch die Koenigin sind von dem Dichter mit der Staerke geschildert, dass sie durch die Aktion nicht noch weit staerker werden koennten. Essex spricht so stolz nicht, dass ihn der Schauspieler nicht in jeder Stellung, in jeder Gebaerde, in jeder Miene noch stolzer zeigen koennte. Es ist sogar dem Stolze wesentlich, dass er sich weniger durch Worte, als durch das uebrige Betragen aeussert. Seine Worte sind oefters bescheiden, und es laesst sich nur sehen, nicht hoeren, dass es eine stolze Bescheidenheit ist. Diese Rolle muss also notwendig in der Vorstellung gewinnen. Auch die Nebenrollen Mit der Rolle der Elisabeth ist es nicht voellig so; aber doch kann sie auch schwerlich ganz verungluecken. Elisabeth ist so zaertlich als stolz; ich glaube ganz gern, dass ein weibliches Herz beides zugleich sein kann; aber wie eine Aktrice beides gleich gut vorstellen koenne, das begreife ich nicht recht. In der Natur selbst trauen wir einer stolzen Frau nicht viel Zaertlichkeit, und einer zaertlichen nicht viel Stolz zu. Wir trauen es ihr nicht zu, sage ich: denn die Kennzeichen des einen widersprechen den Kennzeichen des andern. Es ist ein Wunder, wenn ihr beide gleich gelaeufig sind; hat sie aber nur die einen vorzueglich in ihrer Gewalt, so kann sie die Leidenschaft, die sich durch die andern ausdrueckt, zwar empfinden, aber schwerlich werden wir ihr glauben, dass sie dieselbe so lebhaft empfindet, als sie sagt. Wie kann eine Aktrice nun weiter gehen als die Natur? Ist sie von einem majestaetischen Wuchse, toent ihre Stimme voller und maennlicher, ist ihr Blick dreist, ist ihre Bewegung schnell und herzhaft: so werden ihr die stolzen Stellen vortrefflich gelingen; aber wie steht es mit den zaertlichen? Ist ihre Figur hingegen weniger imponierend; herrscht in ihren Mienen Sanftmut, in ihren Augen ein bescheidnes Feuer, in ihrer Stimme mehr Wohlklang als Nachdruck; ist in ihrer Bewegung mehr Anstand und Wuerde, als Kraft und Geist: so wird sie den zaertlichen Stellen die voelligste Genuege leisten; aber auch den stolzen? Sie wird sie nicht verderben, ganz gewiss nicht; sie wird sie noch genug absetzen; wir werden eine beleidigte zuernende Liebhaberin in ihr erblicken; nur keine Elisabeth nicht, die Manns genug war, ihren General und Geliebten mit einer Ohrfeige nach Hause zu schicken. Ich meine also, die Aktricen, welche die ganze doppelte Elisabeth uns gleich taeuschend zu zeigen vermoegend waeren, duerften noch seltner sein, als die Elisabeths selber; und wir koennen und muessen uns begnuegen, wenn eine Haelfte nur recht gut gespielt und die andere nicht ganz verwahrloset wird.

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