Das Wunderjahr (1566). Hendrik Conscience

Das Wunderjahr (1566) - Hendrik Conscience


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ward das Thor geschlossen und das Haus versank in tiefe -Stille.

      II

      »Wurm! – fürchtest du nicht den Arm eines rechtschaffenen Mannes, wenn er ihn im gerechten Zorn wider dich erhebt?«

F. Cooper.

      In der Kaiserstraße stand ein Gebäude, dessen Giebel mit seinen Staffeln, sich weit über die andern Dächer erhob. Ein mächtiges Thor, verziert mit schönem Schnitzwerk und Tausenden von Nägeln, stand weit offen. Die zahlreichen Fenster gegen die Straße heraus, waren mit festen, eisernen Gittern versehen. Dieses Sicherheitsmittel war damals gar sehr nöthig; denn Diebe und Räuber hatten in jener Zeit der Unruhe und des Mißtrauens sich ungemein vermehrt, und die Handhabung der Gesetze war so erschlafft, daß die Uebelthäter den Einwohnern am hellen Tage ihre Habe raubten.

      Dieses Haus, einem Gefängnißähnlicher, als dem Aufenthalt eines Edelmannes, war Godmaert’s Wohnung.

      Dieser saß eben zur Morgenzeit in seinem Arbeitszimmer, das Haupt auf den Arm gestützt, nachdenkend über die Angelegenheiten des Staates, als die Thüre langsam ausging und ein Geistlicher eintrat. Es war ein Mann bei siebzig Jahren hoch von Gestalt und vom Alter ungebeugt; er hielt sich aufrecht, obschon jede seiner Bewegungen von bebender Erschütterung begleitet war. Wenn er die Kapuze seines Habit’s zurückschlug, konnte man sein ernstes Haupt nicht ohne Ehrfurcht ansehen; sein Schädel, der wie ein Spiegel das Tageslicht zurückwarf, war von einem Kranze silberweißer Haare umgeben: eine Krone, welche dir vorübereilenden Jahre um sein Haupt geflochten hatten.

      Auf seinem faltigen aber schönen Antlitz leuchtete Güte und Frömmigkeit, während in seinen gesenkten Augen tiefe Traurigkeit zu lesen war.

      Bei dem Eintritte des Priesters sprang Godmaert auf, eilte ihm entgegen, drückte ihm ehrerbietig und liebevoll beide Hände, und sprach:

      »Vater Franziskus, mein guter Vater, mein Freund, habt Dank daß Ihr mich besucht.«

      »Mein Sohn,« antwortete der Priester, muß ich nicht in diesen Tagen der Verführung und des Unglaubens, Eure Kinder vor der Ansteckung bewahren? Sie sind bis jetzt so fromm und reines Herzens geblieben; – ich würde mich versündigen, wenn ich – jetzt nicht mit verdoppelter Sorge über ihnen wachte, jetzt wo der Teufel sich des Gefühls der Vaterlandsliebe bedient, um die Seelen zu verderben.«

      Der Priester setzte sich und fuhr fort:

      »Godmaert, ich kam hierher, um eine Weile mit Lodewyk und Gertrude zu sprechen; ich bin bekümmert um diese meine geliebten Kinder.«

      »Lodewyk ist noch nicht da; aber Gertrud ist bereit, Euch zu empfangen Vater; sie ist im Büchersaal.«

      »Sogleich will ich sie aussuchen: doch Godmaert, mein Sohn, mein Freund, einst mein Bruder, hört noch einmal aufmerksam auf meine Mahnung . . . und vergebt die Thränen die meinen verdorrten Augen entschlüpfen.«

      »O sprecht, Vater, Ihr wißt, wie sehr ich Eure Worte verehre und welche Liebe ich Euch jederzeit zugewandt.«

      Der Priester ergriff Godmaert’s Hand mit seinen; behenden Händen und sprach dringend:

      »Ich weiß es, mein Sohn. Mir bleibt der Trost, daß Ihr eines Irrthums, aber nicht einer Missethat fähig seid.«

      Nach einer Pause des Nachdenkens hob der Priester mit eindringlicher Stimme, und wie wenn er aus dem, was er zu sagen im Begriffe stand, eine ihm fremde Kraft entlehnt hätte, wiederum an:

      »Godmaert, Godmaert, der Feind unseres Gottes triumphiert in unserm Vaterlande! Die Luft widerhallt täglich von Lästerungen gegen den Glauben unserer Väter; Banden von allerlei Ketzern vom Satan angeführt, überströmen unsern Boden und verleiten unsere verblendeten Mitbürger. Sie haben ein Losungswort, eine Fahne, worauf geschrieben steht . . . «

      »Haß den Spaniern!«

      »O nein, nein, Ihr irret: – Haß Belgiens altem Glauben! – Nicht Philipps Thron wollen sie umstürzen die Altäre unsers Gottes wollen sie entheiligen und zerstören. – Und zu wissen, daß Ihr, mein Sohn, mein Freund, dessen Sinn rechtgläubig ist, daß Ihr, Godmaert, unter dieser Fahne streitet, oh das treibt mich, zu weinen und zu beten . . . ich rufe zum Himmel mit den Worten des sterbenden Erlösers: Herr, Herr, vergib ihm, denn er weiß nicht, was er thut!«

      Godmaert ward von den Worten des Priesters heftig ergriffen und er verhehlte sich nicht die schwer zu bestreitende Wahrheit, die in ihnen lag: doch, wie so viele Andere, konnte er nicht so plötzlich andern Sinnes werden. Er antwortete:

      »Ich leugne nicht, Vater, daß unser Land mit schlechtem Volke angefüllt ist, das aus fremden Gegenden gekommen, um den Saamen der Ketzerei auszustreuen: aber ich kann nicht glauben daß die Umwälzung im Staate irgend zu ihrem Vortheile ausschlagen werde.«

      »Aber Godmaert, hebet doch die Binde von Euren Augen! Warum sind Dordrecht, Audenarde, Rosset, Valencyn den Calvinisten überliefert? Warum verbreitet sich die Lehre der Wiedertäufer wie ein Lauffeuer über Holland und Seeland? Warum ist Antwerpen der Boden, wo Lutheraner, Calvinisten und Wiedertäufer zugleich und ungehindert ihre Lehre unter freiem Himmel verkünden? Soll ich es Euch sagen? Weil Ihr und die andren Edlen, durch Euren Widerstand gegen die Spanische Herrschaft, die Staatsregierung machtlos gemacht habt. Was wird nun hieraus folgen? Ihr werdet die Kirchen Eures Gottes dem Uebermuthe der Bösen überliefert sehen; man wird mit den Gegenständen, die Euer Glaube für Euch geheiligt hat, Spott treiben! Hört Ihr nicht von Ferne den Donner des Bildersturms rollen? Seht Ihr nicht die Wetterwolke am Himmelsrande aufsteigen?«

      Godmaert hatte erschüttert die Worte des Priesters angehört; sein Haupt war tiefer und tiefer aus seine Brust gesunken. Nach einigen Augenblicken antwortete er niedergeschlagen:

      »O! ich weiß es und ich sehe es mit Schmerz; wir arbeiten wider unsern Glauben.«

      Wie ein Lichtstrahl erhellte die Freude das Antlitz des Priesters. Er hob seine Augen zum Himmel und rief:

      »Habe Dank, o Gott, der Du meiner Stimme Kraft verliehen hast!«

      Godmaert blickte zur Erde und rang mit sich, von peinlichen Gefühlen gefoltert. Plötzlich erhob er sein Haupt und rief verstört:

      »Aber, Vater, sollen wir denn den Spaniern botmäßig werden müßen? Bin ich kein Kriegsmann, bin ich nicht vom Vlämischen Adel? O nein, nein, ich kann ihre Geringschätzung nicht ertragen, und ich vermag das Gefühl der Ehre in meiner Brust nicht zu ertödten. Die Spanier sind zu frech und zu hochmüthig: sie müssen fort!«

      Das Angesicht des Priesters ward wieder traurig: er sprach sanftmüthig:

      »Ich weiß es, mein Sohn, die Belgier haben Gründe, mit den Spaniern nicht zufrieden zu seyn; aber eine weltliche Rücksicht, darf sie, in der Wagschale Eures Gewissens, Euren Gott aufwiegen? Wollt Ihr zu der Sünde der Rachgier die Mißachtung Eures Schöpfers fügen? – Nein, nicht wahr, das werdet Ihr nicht thun? – Ihr werdet Pater Franziskus nicht zwingen, über die Verdammniß der Seele seines besten Freundes zu trauern?«

      »Was muß ich thun, um Euch zu gehorsamen?« frug Godmaert ergriffen.

      »Die Spanische Regierung unterstützen, wenigstens in der Unterdrückung der Ketzereien. Eure Freunde ermahnen, dasselbe zu thun: und die Befehle der Statthalterin in Antwerpen respektieren!«

      »Ich, Vater, ich die Spanier unterstützen? O dieß ist mir unmöglich!«

      »Wohlan, könnt Ihr das nicht über Euren weltlichen Stolz gewinnen, so steckt Euren Degen in die Scheide und helft doch den Meuterern nicht.«

      Godmaert schwieg einige Augenblicke. Dann faßte er die Hand des Priesters und sprach:

      »Ich muß Euch etwas sagen, das Ihr nicht wisset. Die Rebellion, das Ungewitter, das Ihr fürchtet, wird binnen wenigen Tagen ausbrechen, vielleicht ehe die Woche zu Ende geht. Glaubt mir, keine menschliche Gewalt kann es hindern. Alles ist bereit: auf den ersten Befehl von Brüssel steht das ganze Land gegen die Spanier auf. Ich sehe auch den Uebermuth der Ketzer voraus; Eure Worte haben mich erschreckt; aber denkt Ihr, Pater Franziskus, es wäre besser, daß ich, das Haupt der Antwerpenischen Edlen, alles dieß geschehen ließe, ohne selbst zugegen zu seyn? Kann ich


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