Geschichte des Grafen Hugo von Craenhove. Hendrik Conscience

Geschichte des Grafen Hugo von Craenhove - Hendrik Conscience


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mit thränenden Augen: sprachlos folgten sie dem kalten und gefühllosen Abulfaragus. Nachdem sie ungefähr eine Viertelgstunde gegangen waren, kamen sie an einen Kreuzweg, und fanden dort den Ritter Arnold leblos in seinem Blute liegen. Aber wie sehr sie auch suchten, man fand die Leiche Hugo’s so wenig, als die blutige Stelle, wo er gelegen haben sollte. Arnolds Pferd graste ruhig bei der Leiche seines Herrn, doch Hugos Pferd sah man nimmer wieder. Was Abulfaragus mit dem Reisesack gethan, wagte ihn Niemand zu fragen.

      Arnolds Leiche wurde nach dem Hofe gebracht und auf ein Bett gelegt; unmittelbar darauf hieß der Wahrsager jeden sich zur Ruhe begeben und schloß sich bei der Leiche ein. Des andern Tages sagte er, der Ritter Arnold sei nicht todt, und würde vielleicht wieder genesen. Nachdem er das Mittagessen in Empfang genommen, schloß er, die Thüre wieder zu. Dieß dauerte vierzehn Tage, bis er am fünfzehnten endlich mit Graf Arnold auf dem Vorhofe erschien. Der Ritter war blaß, seine Wangen eingefallen, wie einer der von einer langen Krankheit aufsteht: auf seiner Stirne war eine tiefe Narbe, die er noch trägt.

      Dieß ist Alles, was ich über das Haus van Craenhove erfahren konnte.

*                   **

      Meine Schwester Aleidis und ich erreichten endlich unser vierzehntes Jahr. Wir waren nicht mehr so wild, noch so kindisch, wie früher, doch unzertrennlich von einander. Nun erschien Abulfaragus eines Morgens in unserem Spielzimmer mit einem großen Buche unter dem Arme; er setzte sich auf einen Sessel, schlug das Buch auf seinen Knieen auf und sagte zu Aleidis in einem Tone, der viel sanfter war, denn sonst:

      »Aleidis, edles Fräulein, Ihr habt nun das vierzehnte Jahr erreicht . . . Es ist Zeit, daß Ihr lernt, was einer Edelfrau zu wissen ziemt. Bernhard kann Euch nichts lehren, denn er ist unwissend.«

      »Zum erstenmale in meinem Leben glühte ein mir unbekanntes Gefühl in mir auf. Wüthend besah ich den Wahrsager; aber er lachte spottend und fuhr fort:

      »Es ist der Wille Eures Bruders, Aleidis, daß Ihr Euer Gedächtniß zieret mit schönen Sprüchen und den Heldenthaten der Ritter. Die Zeit des Spielens ist vorbei. – Ihr müßt einst am Hofe der Herzogin erscheinen, und was würde man sagen, wenn Aleidis von Craenhove einer unwissenden Bäuerin gliche?«

      »Die Jungfrau bemerkte auf meinem Gesichte, welch’ ungewohnter Schmerz mein Herz bedrücke; sie stand auf, faßte meine Hand mit zärtlicher Theilnahme und sprach zu Abulfaragus:

      »Ich will nichts lernen. Ihr wollt mich von meinem Bruder Bernhard trennen? das kann nicht sein.«

      »Euer Bruder, Euer Bruder!« murmelte Abulfaragus, »wißt Ihr denn nicht, daß er Euer Diener ist?«

      »Bei diesem blutigen Hohn, der über mich ausgegossen wurde, stieß ich einen Schrei des Unwillens und der Entrüstung aus:

      »Unedler « rief ich dem Wahrsager zu, »Du bist unverschämt genug, den Burggrafen von Reedale einen Diener zu nennen! Warum hast Du kein adlig Blut in Deinen Adern? Dann wollt ich Dich lehren, wie man den Hohn bestraft. Aber nein, ich will Dich behandeln, wie man Knechte behandelt!«

      »Blind geworden in meiner Wuth und noch mehr gereizt durch das spöttische Lachen auf Abulfaragus Antlitze ergriff ich einen Weidenstock und hob meinen Arm auf, um dem Wahrsager ins Angesicht zu schlagen; aber in diesem Augenblicke schoß sein gelbes Auge einen unwiderstehlichen Blick auf mich; ein kaltes Zittern machte meine Glieder erbeben und der Stock fiel mir aus der Hand, ohne daß ich begreifen konnte, welch’ geheime Macht mich so plötzlich zu einem Feigling machte; ermattet sank ich in einen Sessel nieder; Abulfaragus lachte laut auf und Aleidis weinte seufzend.

      »Auf unsere ungünstige Gemüthsstimmung nicht achtend, begann der Wahrsager in dem Buche zu lesen. Anfangs wollten wir nicht darauf hören. Die Jungfrau entfernte sich von Abulfaragus und stellte sich an das Fenster; ich kehrte ihm den Rücken zu. Aber kaum hatte er etwas gelesen, als wir uns mit unbegreiflicher Macht zu ihm hingezogen fühlten; langsam und unwillig näherten wir uns und beide horchten wir mit Neugierde. O welch’ schöne Dinge erzählte das Buch! Wie er reifend und rührend war die Stimme des häßlichen Abulfaragus! Ich selbst war gezwungen, Vergnügen an seinen Worten zu finden: Aleidis hing an seinen Lippen.

      »Nach einer Vorlesung von zwei Stunden schlug der Wahrsager das Buch zu und verließ das Zimmer mit den Worten:

      »Morgen werden wir fortfahren.«

      »Noch ganz dem Eindrucke hingegeben, den die schönen Dinge, welche wir gehört, auf uns machten, blieben wir lange schweigend sitzen; endlich sprachen wir zusammen darüber. Aleidis konnte nicht aufhören, von Ritter Walewein und von König Artur zu reden, deren Geschichte Abulfaragus uns vorzulesen begonnen. Den ganzen Tag hörte ich nichts, das unseren früheren Gesprächen glich, und welche Mühe ich mir auch gab, die Aufmerksamkeit von Aleidis auf etwas Anderes zu ziehen, es gelang mir nicht. Oft sagte sie zu mir:

      »Warum kannst Du nicht lesen, Bernhard! Wie schön wäre es dann! Deine Stimme ist so sanft und hell! Dann würden wir den schrecklichen Abulfaragus nicht nöthig haben.«

      »Ich unterdrückte gewaltsam meinen Schmerz, wie weh es mir auch that, zu sehen, wie sehr meine Aleidis auf ein Vergnügen erpicht war, das ich ihr nicht verschaffen konnte.

      »Am andern Tage und an allen künftigen Tagen kam Abulfaragus zur bestimmten Stunde um im Lesen fortzufahren.

      »Nie erschien er früh genug für Aleidis und ging immer zu früh. Obwohl mich die Jungfrau noch mit derselben Zuneigung umfaßte, so fühlte ich doch wohl, daß ich nicht mehr, wie früher Alles für Sie war und daß Abulfaragus mit seinen schönen Büchern alle ihre Aufmerksamkeit und Gefühle in Anspruch nahm.

      »Die Wißbegierde, die Dich an mir in Erstaunen gesetzt, begann mich wie ein Feuer zu verzehren; Nacht und Tag sann ich auf Mittel, lesen zu lernen. Oft versuchte ich, mich hinter Abulfaragus zu stellen und in das Buch zu sehen, während er las. Doch dann schloß der böse Wahrsager alsbald das Buch, bis ich wieder auf meinem Sessel saß. Mehr als einmal hatte ich den Vorsatz gefaßt, mit Gewalt die Thüre eines Zimmers aufzubrechen und ein Buch wegzunehmen; aber es gelang mir nicht. Jedes mal wenn ich es versuchte, stand Abulfaragus hinter mir . . .

      »Eines Morgens erinnerte ich mich, daß Buchstaben auf dem Grabsteine im Ulmenhaine eingehauen waren; von Neugierde getrieben, überwand ich meine Angst und drang zitternd ein. Verdorrte Blumen bedeckten rings den Boden und den Stein, auf dessen Schrift ich bewußtlos und mit glühendem Antlitz starrte. Plötzlich hörte ich ein Rauschen der Blätter und den Kopf umkehrend, gewahrte ich Abulfaragus, der zum Grabsteine kam. Voll Angst und beinahe todt vor Schrecken, verbarg ich mich unter dem dichtesten Laube und meinen Athem zurückhaltend, beobachtete ich meinen Feind. Abulfaragus näherte sich langsam dem Grabe, zog ein Körbchen mit Blumen unter seinem Obergewande hervor und streute sie über den Stein; ihr Balsamgeruch war so kräftig, daß ein wohlriechender Duft mein Versteck durchdrang. Ich hörte nun Abulfaragus Stimme, die schluchzend sagte:

      »O Herr Jesus durch Dein theures Blut gib der Seele meines Wohlthäters und meiner Schwester den ewigen Frieden! Amen.«

      »Und dann beugte er das Haupt zum Steine herab und vergoß Thränen, so daß ich selbst aus Mitleiden zu weinen begann; ich konnte mich nicht länger ruhig verhalten, ich mußte mir eine Thräne trocknen. Durch diese Bewegung entdeckte mich Abulfaragus; – ich sah seine zwei Augen so flammend auf den meinen ruhen, daß mir ein Angstschrei entflog.

      Der Wahrsager ergriff mich bei der Hand, zog mich unter dem Laube hervor und sprach in fürchterlichem Tone:

      »Du hast gesehen und gehört, Vermessener! Aber wenn Du zu sprechen wagst, wird Dir der Tod den Mund auf ewig schließen.«

      »Wäherend ich knieend um Vergebung bat, entfernte sich Abulfaragus, mir von fern noch einen gewaltigen, drohenden Blick zusendend. Nicht länger blieb ich da, denn nun war mir der Ulmenhain schrecklicher, denn je geworden; ich wanderte lange irrend umher, bis ich mich hergestellt fühlte und zu Aleidis zurückkehrte. Wie sehr ich auch innerlich von dem Gedanken gefoltert ward, was Abulfaragus gesagt habe, und ob die Mutter meiner Aleidis die Schwester des hassenswerthen


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