Siska van Roosemal. Hendrik Conscience

Siska van Roosemal - Hendrik Conscience


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Freund,« antwortete der Schuster, »wir werden uns, so Gott will, nach zwei oder drei Jahren wieder sprechen, und dann wollen wir sehen, wer's am weitesten gebracht hat. Mein Sohn Jules ist nach Paris, um Sein Geschäft zu lernen; von dem erwarte ich viel.«

      »Wer ist nach Paris, Sagt Ihr? Jules? Ich dachte, daß ich der Pate Eures einzigen Sohnes sei, und der heiße Johann, wie ich.«

      »Nun wohl denn, Johann ist nach Paris; aber er hat seinen gemeinen Namen geändert und heißt nun Jules, das ist viel vornehmer. Und meine Tochter, die diese Woche ins Pensionat gekommen ist, nennt sich Hortense. Ich sage Euch dies nur, damit Ihr Sie nicht in Gegenwart meiner Kunden Hans und Theres nennen sollt.«

      Meister van Roosemal schüttelte den Kopf, besah wechselweise die Aufschriften an dem Glaskasten und die Schillernden Kleidungsstücke seines Freundes und sprach dann in halb scherzhaftem Tone:

      »Ich glaube nicht, daß Ihr das Rechte getroffen habt, Meister Spinal! Ich sah ihrer schon so viele auf dem Wege purzeln, die zuvor wohl noch auf festen Füßen Standen. Jedoch, jeder mag tun, wie er will, es sind nicht meine Sachen, und damit genug! – Aber sagt, Ihr vergeßt vielleicht, daß heute Morgen Versammlung ist von der Bruderschaft Unserer Lieben Frau. Geht Ihr nicht mit?«

      »Bruderschaft Unserer Lieben Frau?« rief Spinal beinahe Spottend. »Ich bin kein Mitglied mehr, Freund. Jemand, der fürs große Theater arbeitet, wie ich, der mag nicht mehr mit einer Kerze in der Hand der Prozession nachlaufen. Auf Ehre, das stünde nicht gut.«

      »Guten Tag dann!« Sagte Roosemal mit traurigem Tone und ließ den verwelschten Schuster vor seiner Türe stehen.

      Einige Zeit darnach kam Spinal zu dem Krämer, und nachdem er auf den guten Fortgang seines Geschäftes viel gepocht, sprach er von einem großen Vorrat Leder, den er von einem Gerber, der in Geldverlegenheit sei, kaufen möchte. Er nannte es eine »brillante Affäre« und wußte durch seine neugelernten Künste es dahin zu bringen, daß der einfältige Mann, eingedenk ihrer alten Freundschaft, ihm fünfhundert Gulden bar vorstreckte, in drei Monaten zurückzuzahlen. Zugleich ließ sich van Roosemal ein Paar neue Schuhe anmessen.

      Die Schuhe hatten schon nach acht Tagen die Sohlen verloren, und anstatt seiner fünfhundert Gulden erhielt der Krämer viele schöne Worte und endlose Versprechen.

      Dieser letzte Punkt bewirkte einen Stillen Bruch zwischen den zwei Nachbarn, die sich fortan gegenseitig nicht mehr grüßten. Ihre beiden Kinder jedoch teilten diese Spannung nicht und blieben im täglichen Verkehr miteinander.

       2

      Guter Rat, schlechter Entschluß

      Seitdem Spinals Tochter aus dem Pensionat zurückgekommen war, hatte Siska van Roosemal viel von ihrer schönen Einfalt verloren. Sie hatte schon zu oft in dem Laden des Schuhmagazins gesehen, wie die verwelschten jungen Leute sich freie Scherze und Liebkosungen gegen ihre Freundin erlaubten und wie diese mit gefallsüchtigen Blicken und Gebärden darauf zu antworten wußte in der Schönen liebehauchenden französischen Sprache. Unschuldig und nicht wissend, welche unreinen Gelüste unter solchen falschen Liebesworten versteckt liegen, errötete Sie mehr als einmal vor Scham, wenn einer oder der andere von diesen jungen Laffen Sie in gebrochenem Französisch anredete und Sie nicht, wie ihre Freundin, darauf antworten konnte. Darum lag Sie ihrer Mutter täglich dringend an, daß Sie auch in jenes Pensionat geschickt werden möchte. Frau van Roosemal, die ihre Tochter mit blinder Zärtlichkeit liebte, hatte gleichfalls mit Neid wahrgenommen, daß Hortense, oder eigentlich Therese Spinal, so wenig hübsch Sie auch war, doch alle Augen auf sich zog, und daß ihre arme Siska schrecklich gemein aussah neben der aufgedonnerten Schusterstochter. In ihrem mütterlichen Hochmut däuchte es ihr, es gezieme sich nicht, ihr Kind noch länger so zurückgesetzt und verdunkelt zu sehen neben einer, die geringer sei als sie. Nachdem Sie ihrem Manne einige Monate lang mit derlei Vorstellungen in den Ohren gelegen, wurde beschlossen, daß Siska in das Pensionat gehen solle, jedoch solle der alte Pelkmann zuvor noch in dieser wichtigen Sache zu Rate gezogen werden.

      Dieser Pelkmann war der Doktor oder Hausarzt der Familie, wie Sein Vater es beim vorigen van Roosemal gewesen war. Schon oft hatte er durch Seinen weisen Rat in verwickelten Sachen dem Krämer nützliche Dienste geleistet; was ihn aber den beiden Eltern vor allem so wert machte, war, daß er Siska schon zweimal in ansteckenden Krankheiten und zuletzt noch in der Cholera vom gewissen Tode gerettet hatte. In ihrer Dankbarkeit hatten Sie anerkannt, daß der Doktor hierdurch einiges Recht auf das Leben und die Zukunft ihrer Tochter erworben, und Sie beschlossen daher, nie etwas in Bezug auf sie ohne seinen Rat einzuholen. Und Sie taten wohl daran, denn der alte Pelkmann war wirklich ein weiser und gelehrter Mann, der den Lauf der Welt genau kannte und alles mit flämischer Vorsicht prüfte und ergründete.

      An einem bestimmten Tage saß der Doktor mit Vater und Mutter van Roosemal in einer Stube hinter dem Laden und das Gespräch ward durch Meister van Roosemal also begonnen:

      »Doktor Pelkmann, meine Frau will durchaus, daß wir Siska in ein französisches Pensionat schicken. Was mich betrifft, ich bin lange dawider gewesen; allein die Tränen Siskas haben endlich meinen Sinn erweicht.«

      »In eine französische Kostschule?« fragte der Doktor verwundert. »In ein französisches Pensionat? Es gibt ja doch gute Schulen genug in der Stadt und da kann man doch wenigstens alle Tage nachsehen, ob das Schäflein nicht irreläuft.«

      »Ach, ach!« rief die Mutter lachend und mit einer Art Verachtung, »was kann man denn in den Schulen der Stadt lernen? Stricken, Nähen, Leinwand zeichnen, Hemden zuschneiden, Rechnen – und Flämisch, was ohnehin jedermann kann. Da seht Spinals Tochter an; als ein Klotz ging Sie fort, als ein Fräulein kam Sie wieder; sie spricht französisch, ist überall beliebt, wird von allen vornehmen jungen Herren aufgesucht . . . Sie darf nur wählen, mit wem Sie ihr Glück machen will.«

      Der Doktor zuckte die Achseln und schüttelte bedenklich den Kopf. Er antwortete:

      »Ihr betrübt mich, Frau van Roosemal. Ich weiß nicht, welch böser Geist Euch anbläst und Euer gesundes Urtheil so plötzlich verkehrt hat. Die vornehmen jungen Herren, davon Ihr redet, Spieler und dünne Schreiber, die in den Schusterladen kommen wie die Fliegen auf den Zuckerhut. Ich kenne Hortense Spinal und kann Euch sagen, daß ich mein halbes Vermögen darum gäbe, zu verhindern, daß Siska ihr jemals gleiche. Wollt Ihr dieses unschuldige, dieses schöne und reine Kind verderben, sie von Religion, von Sittsamkeit und flämischer Rechtschaffenheit abbringen lassen, um eine leichtsinnige, buhlerische Kokette daraus machen? Nehmt Euch in acht! Mein Rat wird vielleicht hier unnütz sein; aber dann werdet Ihr Euch noch hinter den Ohren kratzen, wenn wir das Glück haben, noch zu leben.«

      Die beiden Eltern waren in sehr ungleicher Weise von des Doktors strengen Worten getroffen; beide lächelten: der Vater vor Freude, hoffend, daß der Doktor obsiegen werde, die Mutter aus Ärger. Sie gab sich jedoch nicht gefangen, sondern rief aus:

      »Doktor, Doktor, Ihr übertreibts! Ich weiß wohl, daß ihr einen Haß habt gegen alles, was Französisch ist; aber wir sind von der alten Welt, Freund. Es geht heutzutage nicht mehr so . . . «

      »Frau van Roosemal,« fiel der Doktor ein, »Ihr wollt mich nicht verstehen. Es ist nicht meine Absicht jemand zu hindern, fremde Sprachen zu erlernen: das könnt Ihr zur Genüge ja an meinem eignen Sohn Ludwig sehen, der jetzt auf der Universität ist. Versteht er nicht auch Französisch? Ich denke, ein wenig besser als die jungen Nichtswisser, die der Theres Spinal den Kopf verrücken und Euch so in die Augen Stechen, Frau van Roosemal. Seht mich nicht so unfreundlich an. Ja, es Sind Nichtswisser; denn was können sie? Etwas Gassenfranzösisch, das sie oft noch genug elend verhunzen; ihres Muttersprache kennen Sie auch nicht, und was die nützlichsten Wissenschaften betrifft, so sind ihnen Sogar die Namen unbekannt. Ihre ganze Gelehrtheit besteht in welschem Wind, in Worten und Redensarten, die sie hie und da aus Zeitungen und Romanen auffischen. Daraus spinnen sie dann ein hohles eitles


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