Die Verzauberten. Roland Betsch

Die Verzauberten - Roland Betsch


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rein und klar ein Lied. Was spielt er denn? La Paloma, die weiße Taube.

      Wir kommen langsam näher und sind nun in einer andächtigen Gruppe versammelt. Herrn Schluckebiers Gesicht ist rot aufgequollen und man sieht, daß es ihn viel Mühe kostet, die schmelzenden Töne dem Instrument zu entlocken. Aber das Lied steigt mit einer andächtigen Klarheit in die Nacht, und mir, der ich Herrn Schluckebier und seinen komischen Habitus, auch den vertilgten Schweinsknochen nebst Sauerkraut, ganz vergesse, wird sonderbar weh ums Herz, und ich bin im Innern dankbar für diese Stunde und überhaupt für die wechselvolle Farbigkeit des rätselvollen Daseins.

      Der wunderliche Klarinettist, seltsam gespenstisch verwandelt, wiederholt die Melodie, und als ich einmal aufschaue, sehe ich, daß Hurrle das Heulen angefangen hat. Dem alten Komödianten, dem in allen Sätteln gerechten Galgenvogel, rinnen die Tränen herunter. Er wischt sie weg mit den schmutzigen Händen und beschmiert sich noch das Gesicht.

      »Hurrle!« sage ich leise. »Hurrle!«

      Brigitte schaut mich fragend an. »Warum flennt er denn?«

      »Na ja,« würgt Hurrle hervor. »Wann soll ich denn heulen, wenn nicht hier. Dies Lied ist mein Lieblingslied. Was wißt ihr von diesem mexikanischen Lied! La Paloma! Drei Jahre bin ich vorm Mast gefahren, was glaubt ihr, wie oft wir's gesungen haben in einsamen Nächten auf dem wilden Wasser. Auf allen Meeren wird dieses Lied gesungen, und jetzt bläst es sogar der König aller Nachttöpfe.«

      Schluckebier ist zu Ende. Er kriegt es stark mit dem Luftmangel. Wir sind ganz sentimental geworden, ach was, ich glaube, wir sind alle zusammen betrunken. Laßt uns schlafen gehen.

      Herr Schluckebier und Tochter schlafen im goldenen Ochsen, Hurrle schlüpft in den Heuspeicher und ich, als Beschützer des Porzellans, darf im Wagen schlafen. Lohengrin hat sich neben der Kiste auf einem Bündel Stroh zusammengerollt.

      Da liege ich nun im weichen Packmaterial, und um mich ist viel Porzellan versammelt. Ein Fremdling, so bin ich hier eingedrungen und habe mir eine Bleibe für die Nacht gesucht.

      Lange noch bin ich wach, schaue durch die Wagenöffnung ins Freie und sehe die Sterne an mir vorüberwandern. Es ist eine blühende Sommernacht. Und viel ferne Stimmen sind wach in dieser klingenden Dunkelheit. In solchen Nächten hört man die Melodie der Welt verborgen tönen, aber man muß ein waches Ohr haben für die verschlossenen Geräusche der Ewigkeit.

      Ich liege im Heu und segle immerfort dahin; auf einer Kugel bin ich, auf einer kurios bevölkerten Kugel, auf einem Stern, kann man auch sagen, auf einem Stern, wie sie da oben ungezählt an mir vorübertreiben, geheimnisvolle Barken der Unendlichkeit. Und auf meinem Stern sind Leid und Freude, Tod und Qual, Liebe und Grausamkeit, Schönheit und Brutalität in buntem Chaos vereinigt und treiben ihr bewegtes, nimmersattes Spiel.

      Und die Übermacht der Welt kann sich spiegeln in der engen Brust eines Menschen. Vielleicht auch in der Brust jeder andern Kreatur; wir wissen es nicht.

      Oh, über euch Gedanken, über euch Nachtgedanken!

      Ein Schatten! Ein Schatten am Eingang des Wagens.

      »Du, Stephan!«

      »Ja. Wer ist denn da?«

      Der Schatten schlüpft zu mir herein.

      Er kommt nicht von einem fremden Stern herunter. Bewahre, er kommt aus dem Gasthaus zum Ochsen. Der Schatten ist die Porzellanbrigitte. Schon kauert sie eng an meiner Seite.

      »Ich fürchte mich so vorm Gewitter, Stephan.«

      »Gewitter? Es ist heller Sternenhimmel. Es ist kein Gewitter.«

      Noch enger rückt sie an mich heran. Sie zittert am ganzen Körper.

      »Es ist bestimmt kein Gewitter, Brigitte.«

      »Es kann aber eins kommen, Stephan.«

      Man soll mir glauben, wenn ich sage: wir segeln durch den Raum; wir segeln immerfort durch den Raum und sind vor uns selber Gespenster. Und Nächte gibt es, die man nicht verschlafen darf.

      Ein Verzauberter bin ich in verzauberter Nacht.

      Brigitte hat ein Geheimnis

       Inhaltsverzeichnis

      Wir ziehen schon drei Tage mit dem Porzellan umher und Hurrle ist so recht in seinem Fahrwasser. Herr Schluckebier, der ein gutes Geschäft gemacht hat und mit dem Geld in der Tasche klimpert, ist in einer aufgekratzten Stimmung und läßt die Taler springen.

      Heute wollen wir unsere Stellung aufkündigen, um rascher vorwärtszustreben in das wunderliche Leben auf der Walze. Ich habe mich recht gut an das Porzellan gewöhnt und könnte es gut und gerne noch zwischen den klappernden Zerbrechlichkeiten aushalten. Nein, Freunde, Brigitte ist nicht schuld daran, auf keinen Fall; ich bin ein Mann und habe ein hartes Herz, ich bin keineswegs verliebt in den Landstraßenwisch, Gott bewahre mich davor.

      Wenn ich hingegen die Jahre zurückdenke und mein Leben überprüfe so muß ich feststellen, daß ich für Porzellan schon immer eine Schwäche hatte.

      Brigitte hat mich tief gerührt, als es sich nämlich darum handelte, was mit Lohengrin geschehen sollte. Ich habe mich an das Tier gewöhnt, ja mir ist die struppige Hundeseele ans Herz gewachsen. Ich wollte ihn gerne mit mir nehmen auf meinen fernen Wanderfahrten. Herr Schluckebier aber, der Materialist, behauptet, er habe ihn herausgefüttert, ja er habe ihn, man dürfe es ruhig sagen, fett gemacht, und wenn er nun fünf Mark verlange, so sei das ein besonderes Entgegenkommen.

      Ich will mein Geld, das ich beim Porzellanverkauf ehrlich verdient habe, gerne opfern, um Lohengrin käuflich zu erwerben, greife also großspurig in die Tasche und gebe dem dicken Händler einen Schleusendeckel. Lohengrin ist mein und niemand kann ihn mir streitig machen. Was aber tut Brigitte? Einen genialen Griff tut sie in die Hauptkasse, und schon habe ich meine fünf Silberlinge wieder.

      »Der Alte merkt das nicht,« sagt sie lachend, »und außerdem geht's ja doch nur an meiner Mitgift ab.«

      So ist Brigitte. Man müßte sie gern haben, wenn sie nicht ein solcher Besen wäre, dem nicht über den Weg zu trauen ist.

      Wir gondeln jetzt langsam die Landstraße entlang, und bei der nächsten großen Straßenkreuzung wollen wir uns trennen. Na ja, es wird auch ohne Porzellanwagen gehen. Hüa, Ida, hüa!

      An der Straßenkreuzung ist ein Wirtshaus. Unter den Lindenbäumen stehen Tische und Stühle. Wir nehmen dort noch einen Abschiedstrunk. Oh, ich habe eigentlich gar keinen Durst; nein, ich habe keinen Durst, mir ist es so eng in der Kehle. Es ist übrigens Mittagszeit, und als wir so friedlich im Schatten der Linden sitzen, wird beschlossen, hier Mittagbrot und kurze Rast zu halten. Ich habe auch keinen Hunger; Gott ist mein Zeuge, ich fühle mich satt bis herauf zum Hals. Ich mag nicht essen.

      Einerlei: die andern tafeln und lassen sich alles herzhaft schmecken. Während wir also am Holztisch sitzen und über uns die Stare schwätzen, schaue ich mir die Porzellanbrigitte noch einmal genau an. Wie kommt es nur, daß mir dieses Gesicht so bekannt erscheint? Wem, unter den Menschen, die im Strom des Lebens an mir vorübergetrieben sind, sieht sie ähnlich?

      Ich kann nicht dahinterkommen, und außerdem hält Hurrle es für angebracht, eine Geschichte zum besten zu geben, die er einmal erlebt hat; diese anknüpfend an den Umstand, daß Herr Schluckebier gerade eine Portion Ochsenzunge mit Kartoffeln und grünen Erbsen schmatzend verzehrt.

      »Wenn ich,« so fängt er ganz ohne Hintergedanken zu erzählen an, »wenn ich Sie, Herr Schluckebier, so die Ochsenzunge verzehren sehe, wozu ich Ihnen den besten Appetit wünsche, dann taucht unwillkürlich in meinem Gedächtnis eine andere Ochsenzunge auf, die sogar bis zu den Schranken des Gerichtes vorstieß und mehrere hohe Justizbeamte beschäftigte.«

      »Eine Ochsenzunge? Mhm!« Schluckebier verschlingt mit Behagen eine Scheibe und füllt Kartoffeln nach.

      »Ihr wißt,« fährt Hurrle fort, »daß ich auch ein Maler


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