Die Verzauberten. Roland Betsch

Die Verzauberten - Roland Betsch


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Kalauer ohne Sonderentschädigung zum Besten geben. Auch sei die Jugendlich-Naive bereit, das Lied von der Glocke mit Klavierbegleitung zu rezitieren.

      Jetzt bricht das Wetter erst aus. Der Stall wackelt bis in die Schornsteinhypotheken.

      Ich stehe wieder in der Garderobe vorm Spiegel. Hurrle kommt. Er ist wundervoll in Stimmung.

      »Musenfreund,« sagt er, »das Theater steht mir bis zum Adamsapfel. Komm, laß uns in die böhmischen Wälder gehen!«

      Kaum hat er das gesagt, geht auch schon ein Ruck durch seinen Körper. Er kommt nahe an mich heran, stippt mit dem Zeigefinger auf die angstgefeuchtete Stirn und haucht mich mit Windstärke neun an: »Kind Gottes, wird's nicht hell in deinem Busen?«

      »Nein.«

      »Ein Gedanke, der von Napoleon stammen könnte. Komm mal her vor die alte Scherbe!«

      Er zieht mich vor den Garderobespiegel.

      »Schau uns beide mal an! Was stellst du fest?«

      »Daß wir zwei ausgekochte Landstreicher sind.«

      »Zwei Klinkenputzer. Getroffen. Was habe ich dir vor wenigen Wimperschlägen gesagt? Von den böhmischen Wäldern habe ich dir zitiert.«

      »Ich verstehe dich nicht.«

      »Weil du ein elendes Grünhorn bist. Stelle dich mal aufrecht hin und vernimm meinen Geistesblitz. Wir schminken uns ab, lassen unsere Kluft hier an und gehen auf die Walze.«

      »Großartig.«

      »Schlechter als hier in diesem Stall kann's uns draußen auch nicht gehen; vermutlich aber besser; denn eine Arbeit finden wir zwischendurch überall.«

      Er hat recht. Was für ein Leben ist es schon, in diesem verkrachten Theater zu spielen und dann keine Gage zu bekommen. Und all die Erniedrigungen vor den Direktionstüren und in den Bühnennachweisräumen! Dieses elende schmutzige Dasein, diese zweifelhafte Scheinwelt mit ihrem Kollegenneid, mit ihrem Ränkespiel – pfui Teufel!

      »Hurrle, ich habe nie an deiner genialen Ader gezweifelt. Fort auf die Landstraße! Ich rieche schon gegen den Wind das freie Abenteuer. Wir haben Fäuste und guten Willen.«

      »Hier meine Hand. Ich bin ein alter Affe, ich kann Fratzen schneiden. Du weißt, mir ist die Landstraße nichts Neues. Ich war ihr schon einmal verfallen. Jetzt schreit sie nach mir. Draußen wird's Sommer. Diese Nacht noch können wir in der freien Landwirtschaft schlafen.«

      »Abgeschminkt!«

      »Abgeschminkt, Klinkenputzer!«

      O meine Freunde, was für ein Rennen und Flennen ist das hier hinter der Szene. Ich schaue mich noch einmal um im Tempel der Kunst. Da klebt der Staub an Kulissen und Leinwandfetzen; das riecht wie in vermoderten Höhlen. Das hängt von der Decke und baumelt an Netzen, ist zusammengenagelt, zusammengekittet und aufeinandergepappt. Mit Farbe beschmiert und mit Latten stabil gemacht. Oh, über diese Welt!

      Hurrle haut mir auf die Schulter. Er schaut sich wild im Kreise um, spuckt gegen einen geleimten Felsen und deklamiert: »Nehmt alles nur in allem. Das Theater ist ein Saustall. Sag' an, Stephan, hat der Kollege Hurrle recht?«

      Stephan, nämlich ich, antwortet mit tränenerstickter Stimme: »Kollege Hurrle hat recht. Howgh!«

      Er geht gravitätisch nach links ab.

      Einen Augenblick stehe ich allein, ein schwacher Mensch. Ein Träumer vielleicht, mit kuriosen Flügeln, mit Hoffnungen, mit Bitternis und wirrem Weh.

      Noch einmal schaue ich in den Bühnenraum. Ich bin mitten in einer Beerdigung. Verehrte Freunde, gebt mir einen Kranz, damit ich ihn niederlege in dieser Gruft, die so viel gestorbene Hoffnungen birgt.

      In die Welt hinausziehen ist auch etwas Schönes. Sommernächte und brausende Wälder. Wogendes Korn und flimmernde Wiesen und wandernde Wolken. Wir haben das alles schon halb vergessen. Sagt, gibt es das überhaupt noch?

      Eine ungeheure Klarheit kommt über mich und es trifft mich wie Erleuchtung: unser Leben war fremd und sinnlos; denn wir hatten die Erde verloren. Mensch und Erde aber müssen eins sein. Wer diese Erde verloren hat, der muß sich aufmachen, auf daß er sie wieder finde. Den Asphalt muß er verlassen.

      Ich weiß es: wir müssen wandern, um die Erde wieder zu finden. Das Pech hat uns weise gemacht. Wir müssen wandern!

      Es war einmal ein Direktor. Hieß Joachim Prottengeier. Nun ist er fort. Hat die Ritterstiefel angezogen. Glück zu auf deiner Fahrt.

      Als Pennbruder habe ich das erste Erlebnis

       Inhaltsverzeichnis

      Durch eine Hintertür verlasse ich das Gebäude der Tränen. Draußen herrscht noch ein recht erregtes Treiben. Ich gehe um den alten Bau herum zum Portal. Die Lampen brennen; Autos stehen wartend in einer Schlange. Der Brei Publikum, rufend, schimpfend und überhaupt in angeregter Laune wird vom Haus ins Freie gequetscht. Ich stehe mitten unter der unruhigen Masse, habe mir einen alten, aus dem Fundus gestohlenen Lodenmantel umgehängt und schaue mir nun mit satter Befriedigung die kleine Theaterrevolution an. Was habe ich mit all diesen Dingen zu tun? Nichts, der Himmel weiß es, gar nichts. Ich bin ein Vagabund, ein Landstreicher. Fahrender Geselle zwischen Aufgang und Niedergang. Einmal war eine Zeit, da hatte auch ich dunkle Beziehungen zu diesem groben Steinkasten, zu dieser Höhle der Enttäuschungen. Einmal habe auch ich die nimmersatten Träume des Mimenruhmes gesponnen. Das ist lange her; am Ende schon Jahre. Oder erst Minuten? Ich habe den Maßstab verloren. Da stehe ich, ihr alle könnt mich anschauen; ich bin nichts als ein Vagabund mit geflickten Hosen und einem zweifelhaft duftenden Manchesterwams. Meine Stiefel, armselig und verbogen, sind mit Nägeln beschlagen und mein Filzhut hat manchen Sturmwind erlebt. Bitte, schaut mich genau an! Ich bin das Kind der endlosen Landstraße. Ein Bruder durch die Welt. Der liebe Gott ist mein bester Freund.

      O wie weit sind jetzt meine Hoffnungen gespannt. Jede Minute schon können sich ungeahnte Wunderdinge ereignen. Das Abenteuer wird mir aus allen sieben Himmeln fallen; ich bin gesegnet von Anbeginn.

      Ich will einmal unter die feinen Leute gehen. Mitten unter die noblen Herrschaften will ich mich drängen und meine geniale Bettelhaftigkeit unter sie tragen. Dort ist der Platz, wo die Autos parken; Menschen mit Geld und Besitz und Vermögen; Menschen in guter, gesicherter Stellung, in Gehaltsklassen und mit Versorgungsberechtigung kann man dort treffen. Ein Wagen nach dem andern startet mit blitzenden Scheinwerfern und blauem Gestank.

      Ich bin jetzt mitten unter ihnen und denke darüber nach, daß diese Menschen alle im Theater waren und über die albernen Tiraden der Schauspieler gelacht, an munterem Spiel sich toll ergötzt haben. Was wurde doch gleich gespielt? Richtig, ein Vagabundenstück; eine alte, verstaubte, aus Verzweiflung einstudierte Wiener Posse. Der Teufel mag sie holen.

      Da will ein schöner Mercedes abfahren; ein blitzblankes, dunkelblaues Sportkabriolet. Am Steuer sitzt eine Dame und ihr zur Seite der Chauffeur.

      »Die Motorhaube ist offen, gnädige Frau,« rufe ich bescheiden.

      »Wie bitte?«

      »Die Motorhaube.«

      Der Chauffeur will den Schlag öffnen und aussteigen, da bin ich aber schon dabei, die Haube zu schließen.

      Ich will jetzt der Dame sagen, daß alles in Ordnung sei und sie nunmehr getrost in den Lichterglanz der Stadt hineinfahren könne, da schaue ich ihr von ungefähr ins Gesicht und mir wird ein wenig schwindelig vor den Augen. Es ist das strohgelbe junge Fräulein aus der vorderen Parkettreihe. Hier nun wird sie mir plötzlich vor die erstaunten Sinne gezaubert. Eine Weile stehe ich da, als ob man mich verprügelt hätte. Nach einem Wort, nach einem Satz suche ich, aber mir fällt bei Gott und allen Gerechten nichts ein. Meine Kehle ist verschlossen; ich stehe da mit hängenden Armen und fühle, wie ihr Blick auf mir ruht. Oh, wenn nur alle Lichter jetzt verlöschen möchten; Nacht um mich; Dunkel. Eine Höhle, in die ich kriechen könnte!


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