Die Verzauberten. Roland Betsch

Die Verzauberten - Roland Betsch


Скачать книгу
Narr.

      Sie schaut mich forschend an; ihr Blick dringt tief in mich hinein; ihr Blick brennt wie Feuer. – »Wer sind Sie denn?«

      »Oh, nichts,« sage ich, »nur ein armer Handwerksbursche. Bitte tausendmal um Entschuldigung.«

      Sie beugt sich aus dem Wagen. Ich fühle, das kann ich beschwören, ich fühle ihren Atem, so nahe bin ich ihr.

      »Sie kommen mir so bekannt vor. Nein, wirklich, merkwürdig bekannt sind Sie mir.«

      »Nein, nein. Das ist ein Irrtum, mein Fräulein; es ist wirklich nur ein Irrtum.«

      »Mir ist aber doch, als ob ich Sie schon irgendwo gesehen hätte.«

      »Die Welt ist groß; die Welt ist weit. Man begegnet so vielen Menschen. Denken Sie nicht darüber nach! Da stehe ich vor Ihnen. Bald wird es vorüber sein.«

      »Merkwürdiger Mensch.«

      Ich will gehen, da hält sie mich zurück, öffnet ihre Handtasche und reicht mir ein Geldstück. – »Da, nehmen Sie!«

      Ich bin in einem Nebel. Das Geldstück, was soll mir das Geld! Ich will etwas ganz Unsinniges sagen, da höre ich, wie der Wagen anzieht, und nun rollt er davon. Das Fräulein sehe ich noch am Steuer sitzen; auch die gelben Haare kann ich noch erkennen. Schaut nur hin, wenn sie jetzt davonfährt mit mutigem Gas, sind diese Haare wie kleine Flämmchen.

      So stehe ich da und starre dem Wagen nach. Dort fährt er immer noch. Nein, er ist ja schon längst im Trubel der Großstadt verschwunden.

      Ich aber stehe im Lichtergewühl und halte das Geldstück in der Hand. Es ist eine Mark. Eine silberne Mark.

      Immer halte ich das Silberstück in der Hand. Angenommen, es käme jetzt jemand auf mich zu; ich meine ja nur, angenommen; es wäre durchaus möglich, daß jemand auf mich zukäme, den Hut zöge und zu mir sagte: mein Herr, wollen Sie mir nicht das Silberstück verkaufen? Ich gebe Ihnen zehn Mark dafür. Nein, ich gebe Ihnen hundert Mark.

      Ich würde ihm antworten: entschuldigen Sie gütigst, mein Herr; aber ich verkaufe nicht. Nein, ich verkaufe wirklich nicht!

      Abgeschminkt, Klinkenputzer

       Inhaltsverzeichnis

      Aus der großen Stadt, aus dem gespenstischen Gefängnis sind wir hinausgewandert. Lange mußten wir gehen, bis wir die letzten schmutzigen Anhängsel dieser Stadt hinter uns gebracht hatten. Das war eine Fahrt mit gutem Wind bei Nacht und Lichterglanz.

      Wer um diese Stunden durch die gewundenen Adern einer solchen vielhunderttausendköpfigen Menschensiedlung von dannen zieht, der wirft zum erstenmal einen Blick in den unruhvollen Blutkreislauf des steinernen Organismus. Nie, bei meiner Seligkeit, habe ich gewußt, daß so viele Dinge geschehen zu nachtschlafender Zeit, daß abseits so viel Leben sich regt, und daß eine Unzahl von Funktionen nötig ist, um die steinerne Hölle in Betrieb zu halten.

      Da glühen die weißen und roten, die gelben und grünen Lichter auf den Bahnanlagen; Züge fahren aus und ein, darunter sind auch lange Schlangen von D-Zügen, die mit stolzem Donnern in die Ferne streben. Signale gehen auf und nieder, Weichenlichter drehen sich, es ist wahrhaftig ein prächtiges Feuerwerk. Da schwelen auch Pechfackeln und Asphaltöfen glühen. Straßenbahnschienen werden geschweißt. Seht nur die schwitzenden Männer an, die nackt in der roten Glut stehen. Unterirdisch und oberirdisch wird gehämmert und genietet; Kolonnen von Menschen sind mit allen Muskeln beschäftigt. Sie schaufeln auch Erde aus, reißen und sprengen den Asphalt oder hocken hoch oben auf den Leitungsmasten und spannen blitzende Kupferdrähte.

      Hurrle stiefelt an meiner Seite mit Mut und Gottvertrauen.

      »Du,« sage ich, »wie ist es möglich, daß man so lange gelebt hat und nie wußte, daß die Nacht so maßlos lebendig ist.«

      »Da könnte ich dir, mein lieber Anfänger, von ganz andern Dingen berichten. Nämlich von Walfischen bei Vollmond, von Heuschreckenvölkerwanderungen im abnehmenden Viertel. Oder von der Lasterhaftigkeit, die sich in der Nacht auf allen Planeten breitmacht. Ich habe schon Dinge erlebt auf dieser Welt, davon träumst du in deinen glücklichsten Träumen nicht.«

      Einmal kommen wir an einem großen Haus vorüber. Es braust und rauscht, es tobt und brandet und hämmert in diesem Haus. Durch ein Fenster schaue ich hinein! Aha! Eine Druckerei. Die Rotationspressen drehen sich; die Morgenausgabe wird in Tausenden von Exemplaren ausgespien. Es riecht nach Schmieröl und Druckerschwärze. Tobend bewegt ist dieser Mechanismus. In einer zugigen Einfahrt stehen Dutzende von Frauen und Männern. Die Träger. Sie warten auf die neuen Wahrheiten.

      Der Leib der Presse wälzt sich in den heißen Lagern.

      »Hurrle, das alles ist wie eine Röntgenaufnahme.«

      »Das ist noch gar nichts. Wenn du Lust hast, will ich dir von New York erzählen oder von Schanghai; dort geht es erst toll zu in den Nächten. Oder wünschst du ein Stimmungsbild aus einem nächtlichen Schlachthaus in Chicago?«

      Endlich lassen wir die letzten schwarzen Häuser hinter uns. Wir kommen ins Freie. Da sind schlafende Wiesen und leise singende Getreidefelder. Wir ziehen immer weiter; keine Müdigkeit fühlen wir, nein, eine Lust ist es, zu wandern. Kaum zu glauben, zum erstenmal sehe ich wieder einen weiten Sternenhimmel über mir. Wirklich, es gibt noch einen nächtlichen Himmel mit diesen ungezählten goldenen Funken.

      »Hurrle, sag, sind das wirklich alles richtige Sterne da oben? Und ist das hier ein Haferfeld oder Weizenfeld?«

      »Ein Kornfeld, Knabe Stephan. Du kennst nicht einmal die Getreidearten. Schande über dich. Du verwechselst die Gelbrübe mit dem Selleriekopf. Warum? Weil du nie hinausgerochen hast ins bunte Leben. Ich aber bin nicht zum ersten Male auf der Walze. Alle Länder der Welt habe ich durchtippelt.«

      Er redet weiter und trägt recht dick auf, tut wie der König aller wandernden Galgenvögel und weiß von grausigen Abenteuern zu berichten. Ich habe ihn im Verdacht, daß er manchmal aufschneidet und seine Erlebnisse aufbläst wie die Gummijahrmarktsteufel. Ich glaube, es will schon bald Tag werden. Im Osten ist ein grauer Schimmer. Weiß Gott, ich werde nun doch ein wenig müde, aber ich habe nicht den Mut, es auszusprechen; denn ich will wacker sein im Marschieren und abgestumpft wie ein alter Tippler.

      Seht nur hin, jetzt schlüpft die Straße in einen Wald hinein. Wie einen Tunnel sehe ich den schwarzen Eingang. Hurrle ist ganz schweigsam geworden und läßt ein wenig den Kopf hängen. Am Ende ist auch er müde und will es nicht sagen. Der Wald nimmt uns auf und er wird immer stiller und tiefer, dieser schlafsüchtige Wald mit den Buchen und Tannen.

      Wir gehen von der Straße ab zwischen den Stämmen hindurch und finden einen geschützten Platz, wo das lange, dünne Waldgras wächst. Dort wickeln wir uns in die Pferdedecken und legen uns auf den Rücken. Eine tiefe Ruhe ist um uns, und mir ist mit einemmal, ich müßte die Melodie der Erde klingen hören. Was ich aber höre, ist Hurrles schläfrig meditierende Stimme.

      »Da liegen wir und haben Frieden. Komödianten oder Vagabunden; sag, wo ist da der Unterschied? Mit der Lupe nicht herauszufinden. Der Teufel soll mich holen, wenn ich jemals wieder vor die Rampe und vor die Hunde gehe. Laß mich mal gähnen.«

      Er gähnt wirklich und wälzt sich auf die andere Seite. Und noch einmal, zwischen Schlafsucht und Gähnkrampf, muckt der Komödiant in ihm auf.

      »Ich bin jetzt fünfzig Jahre alt geworden, laß dir's gesagt sein. Alle widrigen Winde der Welt sind mir um die Hakennase geweht. Ich kann dir mit einem kapriziösen Schicksal aufwarten, mein Getreuer. Sieh mal, ich könnte mich jetzt vor dich hinstellen – –«

      »Du sollst schlafen, Hurrle.«

      »Halt's Maul – –, vor dich hinstellen, sage ich, und dir den Kesselflicker aus der Widerspenstigen Zähmung als extravagantes Kunstwerk hier bieten – –«

      »Um Gottes willen!«

      »Ich tue es nicht,


Скачать книгу