Die Verzauberten. Roland Betsch

Die Verzauberten - Roland Betsch


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hier und so still. Und eigentlich, denke ich verschwommen, eigentlich riecht sie gar nicht übel. Nein, sie hat einen Geruch wie von einer frischgemähten Wiese.

      »Du riechst so ländlich,« sage ich, »man könnte an dir nur immer so herumschnuppern.«

      Da hat sie einen Grashalm genommen und mißt mit den Fingern Entfernungen ab. Und plappert vor sich hin.

      »Da fährt man immer so in der Welt umher. Rumpelt durchs Land mit dem Klapperwagen. In einem Monat kommen wir so weit, wie ein Auto in einem Tag. Überallhin; dort sind sie arm, dort sind sie reich. Und jede Nacht ein andres Bett. Manchmal schlafen wir im Wagen. Und meine Mutter ist im Wagen gestorben, als wir unterwegs waren; und jung war sie noch und – – und – – und wenn ich dir den Grashalm da so ungefähr fünf Zentimeter lang in die Nase stecken darf, dann kannst du mir dafür einen Kuß geben.«

      Sie spießt mit dem Halm nach meinem Gesicht. Ich denke, für einen Kuß kannst du dir's gefallen lassen. Es ist furchtbar, aber ich halte es aus, der Henker soll mich haben, wenn ich's nicht aushalte. Die Tränen brechen aus meinen Augen, aber ich bleibe standhaft.

      »Du Affe hast gewonnen.«

      Sie lehnt sich zurück und schließt die Augen; und rührt sich nicht. Umsonst hast du das nicht ausgehalten, überlege ich und küsse sie auf den zuckenden Mund. Sie wird ganz weich und wehrlos und es bricht wie Flammen aus ihrem Körper.

      Nun ist es ganz still um uns, und riecht nach Heu und Wiesen. Und die Teller klappern nicht mehr.

      Tränen um ein Matrosenlied

       Inhaltsverzeichnis

      Wir gehen, wie befohlen, um sieben Uhr in den Ochsen und setzen uns zu Herrn Schluckebier und Hurrle an den Tisch. Ich höre sofort, daß Hurrle sich wieder mächtig aufspielt und großartig tut. Er spricht von der japanischen Keramik und von den Töpferkünsten der Chinesen. Herr Schluckebier hat nicht recht Zeit, diese Wunderdinge anzuhören, denn er bearbeitet mit Wucht gewaltige Fleischfetzen, die rot und fett um einen gepökelten Schweinsknochen sich angesammelt haben.

      »Was uns fehlt,« sagt Hurrle toternst, »ist das wahrhaft künstlerische Nachtgeschirr.«

      »Ja ja,« meint Herr Schluckebier und führt eine bedrohliche Gabel voll Sauerkraut in den Mund.

      Hurrle bleibt beim Nachtgeschirr.

      »Wir legen zu wenig Wert auf die Form und können von den Chinesen –«

      »Marie,« ruft Herr Schluckebier der Bedienung zu, »bring' mal den zwei Spatzen da ein warmes Abendessen. Sauerbraten mit Makkaroni!«

      »Mau müßte,« fährt Hurrle aufdringlich fort, »ein Nachtgeschirr konstruieren, dem man äußerlich seine etwas verpönte traditionelle Bestimmung nicht ansieht, in dem man hingegen seelenruhig eine Blumenvase oder eine Teigschüssel vermuten könnte.«

      »Immerhin, immerhin,« brummelt Schluckebier und plient den Sprecher aus verquollenen Augen an. Was will der nur mit seinem Nachtgeschirr! Verfluchte Fachsimpelei! Er bohrt die Gabel in den Schweinsknochen, dreht und wendet und beklopft ihn mit dem Messer, als wolle er mit solchem Klopfen noch etwas Genießbares aus dem Innern herauslocken.

      Hurrle aber läßt sich nicht beeinflussen und bleibt mit einer schadenfrohen Hartnäckigkeit beim Thema.

      »Die schöne Sitte,« spricht er mit gehobener Stimme, »das Nachtgeschirr zum Trocknen umgekehrt auf den Gartenzaun zu stülpen, findet sich auch nur noch vereinzelt, was ich mir oft zu erklären versuchte, dabei aber – –«

      »Harras!« brüllt Herr Schluckebier, dem der Kamm schwillt, »da friß!« Und wirft ihm den Schweineknochen hin. Anschließend fängt er an, wütend in den Zähnen zu bohren. Er ist jetzt satt und sitzt breit im Stuhl, faul hingequollen, mit fettglänzender Haut. Mit der Knollenhand greift er nach dem Bierglas und tut einen kannibalischen Schluck.

      Dann kommen Sauerbraten mit Makkaroni.

      Hurrle: »Man darf natürlich nicht verkennen, daß die Rivalität des Blechs und des Emails dem Porzellannachtgeschirr ganz besonders und ausgiebig evident auf den Leib zu rücken leider imstande gewesen ist.«

      »Hää?« Schluckebier stößt mit dem Kopf vor und stiert Hurrle beinahe bösartig an.

      »Hurrle,« sage ich, »nun hör' doch endlich mal auf. Es ist nicht mehr auszuhalten mit deinem Gerede.«

      Während wir so die Makkaroni essen, kann Hurrle es nicht unterlassen, wieder etwas zu erzählen. Auf seinen Forschungsreisen in der Mandschurei habe er auch viel Makkaroni gegessen, aber dort würden sie anders zubereitet. Man ließe dort vorher in jede Makkaroni einen Regenwurm hineinkriechen; die solchermaßen gefüllten Teigwaren würden dann gekocht und mit einer scharf gewürzten Spinnensauce serviert.

      Es gibt jetzt ein tosendes Gelächter und frisch gefüllte Biergläser.

      Man kann nicht länger verheimlichen, daß Herr Schluckebier säuft und somit seinem Namen alle Ehre erweist. Hurrle scheint einen krankhaften Ehrgeiz zu haben, ihm nacheifern zu wollen; es gelingt ihm aber nicht, ihn einzuholen, und Schluckebier ist immer eine gute Pferdelänge voraus.

      Brigitte rückt näher auf mich hinauf; nun sie satt ist, wird sie sichtbar zärtlich, ja, sie scheut sich nicht, einmal den Arm um mich zu legen und recht vertraulich zu tun, was der Vater mit versoffen drohenden Augen quittiert.

      »Pappi kann Klarinette blasen,« zwitschert Brigitte und will ihn offenbar durch diesen Hinweis auf sein musikalisches Gemüt besänftigen. Ja, es stellt sich heraus, daß Herr Schluckebier die Klarinette, auch Gelbrübe genannt, artig blasen kann. Er soll das auch heute abend noch beweisen.

      Draußen kommt schon die Dämmerung. Die Sonne ist untergegangen, und die letzten Sperlinge zwitschern in den Kastanienbäumen. Während es langsam dunkel wird, hat Herr Schluckebier das erreicht, was man einen Rausch nennt. Auch Hurrle ist nicht mehr nüchtern; er wird leicht säuselnd sentimental, ein Zeichen, daß der Alkohol ihn übermannt. Er hat die Mundwinkel nach unten gezogen und lutscht an einer nassen Zigarre herum.

      Es kommt dann wirklich noch zum Klarinetteblasen. Nämlich Herr Schluckebier erhebt sich und nimmt Kurs auf den Ausgang. Offenbar hat er Gegenwind; denn er muß im Zickzack aufkreuzen, gewinnt dann aber mit guter Fahrt die Passage. Hurrle, ein Kutter mit Überfracht, folgt mit halbem Wind und ist froh, als er durch die Tür ist. Draußen gehen beide mit vollen Segeln auf den Porzellanwagen zu.

      Es ist mittlerweile dunkel geworden. Die Porzellanbrigitte fragt mich, ob ich Lust hätte, mitzukommen, sie wolle einmal rasch nach Ida schauen. Welche Ida? Na, Ida, das Roß. Wer sonst als das Roß Ida. Wir gehen in den Stall, und dort steht wahrhaftig die dürre Ida und gräbt das Maul in ein Bund Heu. Brigitte klopft ihr auf die Hinterschenkel, da wendet Ida den Kopf, hört eine Weile zu kauen auf und schaut uns mit einem beinahe verächtlichen Blick an. Ich gehe zu ihr hin und streiche ihr über den Hals und vorn über die Nase, die so wunderbar weich ist. Ida läßt sich das gefallen, schnuppert mit geblähten Nüstern nach mir und spielt fortwährend ruckweise mit den Ohren.

      »Du, Brigitte, was sie wohl denkt.«

      »Daß du sie jetzt fressen lassen sollst.«

      Ich wende mich um und will aus dem Stall gehen. Da fliegt mir Brigitte an den Hals und so hängen wir jetzt aneinander und küssen uns; während ich sie küsse, fällt mein Blick auf Ida und ich sehe, wie sie einige jener bekannten Äpfel fallen läßt. Ich muß natürlich lachen, mitten im Küssen, da habe ich eine Knallschote im Gesicht, daß mir die Augen tränen.

      Wir verlassen den unanständigen Stall und gehen auf den Marktplatz. Die Nacht ist tief leuchtend heraufgekommen. Über den Kastanienbäumen sehe ich die Sterne glänzen.

      »Hörst du? Der Alte bläst die Klarinette.«

      Richtig, dort sitzt er auf der Porzellankiste und spielt. Hurrle hat sich an die Wagendeichsel gelehnt und lauscht dem Spiel.


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