Ein deutsches Kriegsschiff in der Südsee. Bartholomäus von Werner
hatte, daß sie auf das gewohnte Gelage verzichteten, Thatsache bleibt es, daß das Trinken noch nicht die Form des gewohnheitsmäßigen Betrinkens angenommen hat. Ich glaube überhaupt nicht, daß die Leute trinken um zu trinken, sondern nur um den langen Abend zu verkürzen und einen Schlaftrunk zu nehmen — sie trinken aus Langeweile. Man muß bedenken, daß hier tagaus tagein die Nacht um 6 Uhr abends und der Tag erst 6 Uhr morgens beginnt, also Tag für Tag 12 Stunden Nacht. Da nun Arbeit unbekannt ist und die Leute den ganzen Tag träge im Nichtsthun hinbringen, so fehlt ihnen am Abend die körperliche Abspannung, um 12 Stunden schlafen zu können. Da ferner die Eingeborenen jedes Thales auf sich angewiesen sind, Schiffe hier nicht anlaufen, Kindererziehung überflüssig ist, keine Person etwas thun kann, was nicht jeder sieht, so fehlt aller Unterhaltungsstoff, nicht einmal klatschen können sie. Schließlich fehlt ihnen auch noch der Taback, um die Zeit mit Rauchen zu vertreiben, und so bleibt diesen bedauernswerthen Menschen, solange die französische Regierung nicht für Handel und Wandel sorgt, weiter nichts übrig als das Trinken. Daß der Abendtrunk nur als Schlafmittel gebraucht wird, kann vielleicht auch daraus gefolgert werden, daß das Getränk nahezu geschmacklos ist, also auch der Kitzel der Geschmacksnerven nicht in Rechnung zu ziehen ist.
Das Getränk wird gleich für das ganze Gemeinwesen bereitet und in einem großen Bambusrohr aufbewahrt, welches am Strande liegt und jedermann zugänglich ist. Das Herausziehen eines Stöpsels genügt, um sich die neben der großen Flasche liegende Kokosnußschale füllen zu können. Abends nach Sonnenuntergang versammeln die Männer sich um ein Feuer, und auch die Frauen kommen, um ihnen für einige Zeit Gesellschaft zu leisten; die Männer trinken solange bis sie liegen bleiben, während die Frauen Maß halten und sich nach einiger Zeit zurückziehen, um die Nacht in ihren Hütten zu verbringen. Hierbei wird nun meines Erachtens der Keim zu vielen unheilbaren Krankheiten gelegt. Das Klima, welches in der trockenen Jahreszeit ja so heiß ist, daß man froh sein muß, wenn man möglichst leicht bekleidet herumlaufen kann, ist in der Regenzeit frisch und während der Nacht viel zu rauh, um unbekleidet schlafen zu können. Die Leute müssen bei dem Mangel an Kleidung und dem Fehlen aller schützenden Hüllen, wie Decken oder Matten, daher des Nachts schon in ihren Hütten unter der Kälte leiden, und müssen geradezu frieren, wenn der Rausch sie verhindert, das wenigstens etwas schützende Dach aufzusuchen, und sie statt dessen unter freiem Himmel liegen bleiben, wo ihre nackten Körper nicht nur dem kalten Regen, sondern auch der rauhen Nachtluft voll ausgesetzt sind. So wird der innere Organismus dieser Menschen nicht direct durch den Trunk zerstört, sondern dadurch, daß durch häufige Erkältungen und danach durch mangelnde Pflege lebensgefährliche Krankheiten und in erster Reihe viele Fälle von Lungenschwindsucht entstehen. Zu unserer Zeit war die ganze Bevölkerung erkältet, Weiber und Kinder hatten den Schnupfen, die Männer husteten stark, und der Schiffsarzt will aus dem von allen Seiten ertönenden Husten vornehmlich Schwindsuchtshusten herausgehört haben. Nach allen Berichten soll Lungenschwindsucht hier auch sehr verbreitet sein.
Alte Männer habe ich in den beiden von mir besuchten Thälern auf Fatu-hiva nur drei gesehen, alte Frauen mehrere; ich glaube daher, daß die Weiber, welche mehr bekleidet sind und sich nachts in ihren Hütten aufhalten, den schädlichen Witterungseinflüssen weniger unterworfen sind und aus diesem Grunde ein höheres Alter erreichen. So wird aller Voraussicht nach dieser in sich abgeschlossene Menschenstamm in nicht zu langer Zeit infolge der Erblichkeit der Lungenschwindsucht ausgestorben sein. Wie sehr diese Menschen zeitweise unter der rauhen Witterung leiden, dürfte auch daraus hervorgehen, daß diese Leute, welchen die größte Gleichgültigkeit gegen das Tragen von Kleidern nacherzählt wird, während unserer Anwesenheit nur danach trachteten, alte Kleider zu erwerben. Für Geld war nichts, für alte Kleider alles zu haben. Ein nackter Eingeborener kam mit seinem ganzen, aus nahezu 100 Dollars bestehenden Vermögen an Bord, um dafür alte Kleider zu erwerben, und daß er gleich eine so große Summe mitbrachte, zeigt jedenfalls, welch geringen Werth er auf das Geld und welch hohen er auf Kleidungsstücke legte. So könnte eine wohlwollende Regierung oder Missionsgesellschaft gewiß leicht die Sitte der Bekleidung einführen, wenn zur richtigen Zeit eine verhältnißmäßig unbedeutende Summe gespendet und versucht würde, die Eingeborenen zunächst zur Arbeit zu erziehen, anstatt sie mit Lesen und Schreiben zu belästigen, was sie nicht gebrauchen, und ihnen christliche Lehren zu predigen, welche sie noch nicht verstehen. Da aber voraussichtlich aus dieser Insel Fatu-hiva, von welcher ich hauptsächlich spreche, nie ein Gewinn zu ziehen sein wird, läßt man die Eingeborenen verkommen, anstatt ihnen aus christlicher Liebe zu helfen. —
Ich will nun zu meinen eigenen Erlebnissen übergehen, bei deren Erzählung noch mancherlei zu Tage treten wird, was das Vorstehende ergänzt.
Nach ziemlich vierwöchentlicher Fahrt waren wir am 13. Mai abends der südlichsten der Marquesas-Inseln so nahe gekommen, daß es nöthig wurde, während der Nacht mit kleinen Segeln zu laufen, um das Land nicht vor Tagesanbruch zu erreichen. Vorsicht war um so mehr geboten, als es stürmisch war, die See hoch ging und der Mond durch dickes Gewölk verdeckt wurde. Mit Tagesanbruch am 14. wurden die Segel wieder gesetzt, und gegen 8 Uhr vormittags traten aus dickem Regengewölk die Umrisse der Insel hervor. Unsere Position war genau richtig, was bei einer Reise von 3000 Seemeilen, ohne Land gesehen zu haben, immer etwas zweifelhaft ist, weil die Chronometer doch auch zuweilen ihre Mucken haben und man so ziemlich auf diese allein angewiesen ist, wenn es sich um die Richtigkeit der Länge handelt. Wir waren zunächst an der Wetterseite der Insel, welche mit ihren 1200 m hohen Bergwänden die von dem Passatwind angetriebenen Wolkenmassen auffängt und hierdurch an dieser Seite fast bis zum Wasserspiegel in dichtes Gewölk eingehüllt ist, eine Erscheinung, welche sich bei allen in der Passatregion liegenden hohen Inseln während der Regenzeit wiederholt. Mit dem Näherkommen wird der Wolkenschleier allerdings durchsichtiger, doch nicht genügend, um eine Totalansicht der Insel erhalten zu können. Immerhin löst sich wenigstens die Südspitze der Insel aus dem Gewölk heraus und bietet uns einen schönen Blick. Wie die Ansicht der Südspitze von Fatu-hiva mit dem Thal Omoa zeigt, erhebt sich hier der Mittelkamm der Insel nahezu senkrecht aus dem Wasser, steigt in seltsam gezackter Linie beinahe 700 m hoch und zieht sich, allmählich bis zu einer Höhe von 1200 m anwachsend, durch die ganze Insel hindurch. Es ist ein außerordentlich fesselndes Bild.
Aus den schönen blauen Fluten, welche in hohen Wogen mit mächtigen weißen Schaumköpfen gegen das Land heranrollen, erhebt sich in majestätischer Ruhe diese wunderlich geformte Klippenwand. An ihrem Fuße bricht sich die Kraft der Wogen, welche zu weißem dampfenden Gischt gepeitscht an diesem ehernen Wunderwerk hinauflecken und brodelnd und schäumend den Fuß zu unterwühlen suchen. Unten ewige Unruhe, fortwährendes Anstürmen der Meeresgewalten, oben feierliche Ruhe. Hier steht diese Felsenwand, wie sie schon seit Jahrtausenden dagestanden hat, überall, wo überhaupt nur etwas wachsen kann, mit grünem Gras und Moos bewachsen, und nur dort kahl und finster, wo von den vorspringenden Steinrücken der jahraus jahrein wehende Passatwind jedes Stückchen Erde, jedes Samenkorn wegfegt und sie in die geschützteren Schluchten schleudert, wo die Erdkrumen Ruhe, die Samenkörner Gedeihen finden. So kommt es, daß die Steinpfeiler sich besonders scharf aus dem Landschaftsbilde herausheben, weil ihre Rücken schwarz sind, die umliegenden Wände aber ein grünes Kleid haben. Oben auf den einzelnen Zacken der Felsenwand stehen Sträucher, auf dem Kamm einige Kokospalmen, welche sich scharf von dem blauen Himmelshintergrunde abheben und ihre großen Blätter in dem frischen Winde spielen lassen. Dieses an saftigen frischen Farben, sowie an schönen und kühnen Linien so reiche Bild wird noch anziehender durch den Contrast, welchen es mit seiner nächsten Umgebung zeigt. Denn während dieses Stück Land von der Sonne hell beschienen wird, der blaue Himmel sich über ihm wölbt, wird das dicht daneben liegende Land von Regenwolken vollkommen eingehüllt und der ganze Horizont ist mit festen Wolkenmassen, welche an verschiedenen Stellen wolkenbruchartige Regengüsse entsenden, umlagert.
Der Passat weht frisch, unser Schiff hat schnellen Lauf, das Land rückt rasch näher, es ist nicht mehr weit bis zu der Cap Venus genannten Südspitze der Insel, und der Ankerplatz liegt gleich auf der andern Seite des Caps, unsern Augen fast bis zu dem Augenblick des Ankerns verborgen. Von Menschen ist vorläufig noch nichts zu sehen, weil dieselben die Wetterseite der Inseln nicht bewohnen und Cap Venus die ganze Südseite von Fatu-hiva nach der Seite, von welcher wir kommen, abschließt, sonst auch kein Weg und Steg um dieses Cap herumführt, weil die Natur hier die Anlage eines Weges verbietet. Den Bewohnern bleibt daher