Der Glöckner von Notre Dame. Victor Hugo

Der Glöckner von Notre Dame - Victor Hugo


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Menge hin und her.

      Johann du Moulin war es, der ihr den ersten Funken entlockte.

      »Das Schauspiel, und zum Teufel mit den Flamländern!« schrie er aus Leibeskräften, indem er sich wie eine Schlange um seinen Säulenknauf wand.

      Die Menge klatschte in die Hände.

      »Das Schauspiel,« wiederholte sie, »und mit Flandern zu allen Teufeln!«

      »Wir müssen das Stück auf der Stelle haben,« fuhr der Student fort, »oder ich bin der Ansicht, wir hängen den Palastvogt, als Ersatz für Lustspiel und Schauspiel.«

      »Wohl gesprochen,« schrie das Volk, »und laßt uns mit den Gerichtsdienern das Hängen beginnen.«

      Rauschender Beifall folgte. Die vier armen Teufel fingen an blaß zu werden und sich gegenseitig anzusehen. Die Menge drang auf sie ein, und sie sahen schon das schwache Holzgeländer, das sie von ihr trennte, sich biegen und unter dem Drängen der Menge zusammenbrechen. Der Augenblick war kritisch.

      »Drauf! drauf!« schrie man von allen Seiten.

      In diesem Augenblicke hob sich der Teppich des Ankleidezimmers, welches wir oben beschrieben haben, und ließ eine Person herein, deren bloßer Anblick die Menge plötzlich zum Stehen brachte, und wie mit einem Zauberschlage ihren Zorn in Neugierde verwandelte.

      »Still! still!«

      Die Person trat, ziemlich bestürzt und an allen Gliedern zitternd, an den Rand der Marmorplatte unter vielen Verbeugungen, die, je näher sie kam, zu förmlichen Kniebeugungen wurden.

      Indessen war die Ruhe nach und nach wieder hergestellt. Nur jenes leise Geräusch blieb übrig, das selbst noch beim Schweigen der Menge vernommen wird.

      »Meine Herren Bürger,« sagte die Person, »und meine werthen Bürgerinnen, wir sollen die Ehre haben, ein sehr schönes Schauspiel mit Namen: ›Das gerechte Urtheil unserer lieben Jungfrau Maria‹ vor Seiner Eminenz dem Herrn Cardinal vortragen und aufführen. Ich selbst gebe den Jupiter. Seine Eminenz begleitet in diesem Augenblicke die sehr ehrenwerthe Gesandtschaft des Herrn Herzogs von Oesterreich; diese ist gegenwärtig noch an der Pforte Baudets aufgehalten, um die Begrüßungsrede des Herrn Universitätsrectors anzuhören. Sobald der hochwürdigste Herr Cardinal angekommen sein wird, wollen wir anfangen.«

      Sicherlich bedurfte es nichts weniger, als der Dazwischenkunft Jupiters, um die vier unglücklichen Diener des Palastvogtes vom Verderben zu retten. Wenn wir das Glück hätten, diese sehr glaubwürdige Geschichte erfunden zu haben, und folglich vor unserer Dame, der Kritik, dafür verantwortlich zu sein, so könnte man sich in diesem Augenblicke uns gegenüber nicht auf die klassische Vorschrift berufen: »Nec deus intersit.«

      Uebrigens war das Costüm des Herrn Jupiter sehr schön, und hatte nicht wenig dazu beigetragen, die Menge zu beruhigen, deren ganze Aufmerksamkeit er auf sich zog. Herr Jupiter war in ein Panzerhemd aus schwarzem Sammet, der mit vergoldeten Nägeln beschlagen war, gekleidet; er trug einen Helm mit vergoldeten Silberknöpfen auf dem Kopfe; und wäre der rothe und lange Bart, welcher die Hälfte seines Gesichts bedeckte, wäre die Rolle vergoldeter Pappe nicht gewesen, die er, mit eisernen Haken übersäet und starrend von Flittergoldstreifen, in der Hand trug, und in welchem geübte Augen leicht den Blitzstrahl erkennen konnten; wären die fleischfarbenen, nach griechischer Weise bebänderten Beine nicht gewesen, er hätte wegen der Ernsthaftigkeit seiner Haltung mit einem bretonischen Bogenschützen vom Corps des Herrn von Berry den Vergleich aushalten können.

      Die Genugthuung und die Bewunderung, welche sein Costüm überall hervorgerufen hatte, verschwanden jedoch während seiner Ansprache; und als er mit den unglücklichen Worten schloß: »Wir werden anfangen, sobald seine Hochwürden, der Herr Cardinal angekommen sein wird,« verschwand seine Stimme in einem donnernden Hohngeschrei.

      »Fangt auf der Stelle an! Das Schauspiel! Auf der Stelle das Schauspiel!« schrie das Volk. Und über alle Stimmen hinweg hörte man diejenige des Johannes von Molendino, welche den Tumult durchdrang wie die Pfeife bei einer Katzenmusik in Nîmes: »Sofort anfangen!« kreischte der Student.

      »Nieder mit Jupiter und dem Cardinal von Bourbon!« schrien Robin Poussepain und die andern im Fensterkreuz hockenden Studiosen.

      »Sofort die Aufführung!« wiederholte die Menge, »sofort, auf der Stelle! Galgen und Rad für die Schauspieler und den Cardinal!«

      Der arme Jupiter, verwirrt, bestürzt und unter seiner Schminke erbleichend, ließ seinen Donnerstrahl niederfallen und nahm seinen Helm in die Hand; dann grüßte er zitternd und stotterte heraus: »Seine Eminenz ... die Gesandten ... Frau Margarethe von Flandern ...« ...« Er wußte nicht, was sagen. Er fürchtete auch, gehangen zu werden. Gehangen durch den Pöbel, wenn er zögerte, gehangen vom Cardinal, wenn er früher angefangen hätte. So sah er von zwei Seiten einen Abgrund, d.h. den Galgen. Glücklicherweise erschien jemand, um ihn aus der Verlegenheit zu ziehen und die Verantwortlichkeit auf sich zu nehmen.

      Ein Mensch, welcher sich diesseits des Geländers in dem rings um die Marmorplatte freigelassenen Raume befand, und den noch niemand bemerkt hatte, so vollständig war seine dürre, lange Figur für jedes Auge von dem Durchmesser der Säule, an welche er sich gelehnt hatte, verborgen worden, – dieser ziemlich große, magere, bleiche, blonde, trotz Falten an Stirn und Wangen noch junge Mann mit glänzenden Augen und lächelndem Munde, in schwarze, vom Alter abgenutzte und glänzende Sarsche gekleidet, näherte sich der Marmorplatte und gab dem armen Dulder ein Zeichen. Dieser aber, in seiner Bestürzung, sah ihn nicht.

      Der Ankömmling trat einen Schritt näher.

      »Jupiter! mein lieber Jupiter!« rief er.

      Dieser hörte aber nichts.

      Endlich schrie ihm der große Blonde ungeduldig geworden fast ins Gesicht:

      »Michel Giborne!«

      »Wer ruft mich?« sagte Jupiter erschrocken, wie aus dem Schlafe erwachend.

      »Ich,« antwortete der Schwarzgekleidete.

      »Ah!« sagte Jupiter.

      »Fangt gleich an,« fuhr jener fort. »Stellt das Volk zufrieden; ich übernehme es, den Herrn Palastvogt zu beschwichtigen, der wieder den Herrn Cardinal beschwichtigen wird.«

      Jupiter athmete auf.

      »Meine Herren Bürger,« rief er mit aller Kraft seiner Lungen der Menge zu, welche fortfuhr, ihn zu verhöhnen, »wir wollen sogleich beginnen.«

      »Evoe Jupiter! Plaudite cives!« schrien die Studenten.

      »Juchhe! Juchhe!« schrie das Volk.

      Ein betäubendes Händeklatschen begann, und Jupiter war schon hinter den Vorhang zurückgekehrt, als der Saal noch vom Beifallsgeschrei erzitterte.

      Unterdessen war der Unbekannte, der auf so magische Weise »den Sturm in Stille« verwandelt hatte, wie unser alter, lieber Corneille sagt, bescheiden in das Halbdunkel seines Pfeilers zurückgekehrt, und würde dort unsichtbar, unbeweglich und stumm wie zuvor geblieben sein, wenn ihn von hier nicht zwei junge Frauenzimmer, die in der Vorderreihe der Zuschauer standen, und die sein Zwiegespräch mit Michel Giborne-Jupiter beobachtet hatten, weggelockt hätten.

      »Meister,« sagte die eine von ihnen, die ihm mit der Hand ein Zeichen gab, heranzukommen ...

      »Schweiget doch, liebe Liénarde,« sagte ihre reizende, junge und in ihrem Sonntagsstaate stattlich geputzte Nachbarin; »das ist kein Gelehrter, sondern ein Laie; und Ihr dürft nicht Meister, sondern müßt vielmehr Herr sprechen.«

      »Herr,« sagte Liénarde.

      Der Unbekannte trat an das Geländer.

      »Was wünscht ihr von mir, liebe Fräulein?« fragte er eifrig.

      »Oh! nichts,« sagte Liénarde ganz verwirrt, »meine Nachbarin Gisquette la Gencienne ist es, die Euch sprechen will.«

      »Ganz


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