Mischpoke!. Marcia Zuckermann

Mischpoke! - Marcia Zuckermann


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die zur Satisfaktionsfähigkeit zwischen oben und unten, fein und unfein sortierte, wenngleich meist theoretisch.

      Meine Ahnen waren zweifellos unfein!

      Samuel Kohanim hätte sich demzufolge schon mit einem Brief über die Unarten der Stieftochter des Zuckerzaren beschweren müssen. Das wäre unter seiner Würde, spekulierte Oda. Für den doppelten Tabubruch, der ihrem Vormund dann auch noch von einem Juden hinterbracht werden würde, rechnete sich Oda eine doppelte bis dreifache Tracht Prügel mit dem Siebenstriem aus, der siebenschwänzigen Lederpeitsche mit Eisennieten auf den Riemen, dem bevorzugten Züchtigungswerkzeug ihres Stiefvaters gegen Vieh, Gesinde, Frau und Kinder. Nach Lage der Dinge schien das eher unwahrscheinlich. Erleichtert atmete Oda auf und trollte sich.

      Dennoch nahm sie sich den Vorfall zu Herzen und beschloss, sich das alles eine Lehre sein zu lassen. Ihre Streiche würde sie künftig weniger kindisch planen. »Schwein gehabt!«

      Den verschossenen schwarzen Rock in der Taille geschürzt, hüpfte Oda leichtherzig pfeifend durch den überfrierenden Schneematsch heim. Ihr Bruder Rudolf würde Augen machen, wenn sie ihm alles erzählte. Das ließ ihr Herz höherschlagen.

      Die Strafverteidigerin

      Die Zeit meiner ersten Therapiesitzung ist lange abgelaufen. Demonstrativ raschelt Frau Dr. Vogelsang mit ihren Papieren. Die Sechs auf ihrer Stirn ist erschlafft. Müde baumelt sie nun als Haken vor ihrem rechten Auge herum. Offenbar stört es sie nicht. Sie nimmt die Armbanduhr vom Clipboard und legt sie sich umständlich an. Gerade als sie ihre Papiere knisternd mit Schwung zusammenrafft, klopft es an der Tür. Es ist ein formales Klopfen, denn ohne eine Aufforderung abzuwarten, marschiert mit quietschenden Gummisohlen auf dem honiggelben Linoleum der Oberarzt der Geschlossenen, Dr. Lauer, in meinen Raum. Flüchtig nickt er mir zu.

      »Gut, dass ich Sie beide gleich antreffe!«, freut er sich. »Die Patientin wird auf Station vier verlegt, auf die Allgemeine Neurologie!«

      »Wie schön, dass ich jetzt nicht mehr gemeingefährlich bin! Wie komme ich denn zu dieser unvermuteten Ehre?«, flöte ich belustigt.

      »Sie haben offenbar eine sehr, sehr tüchtige Rechtsanwältin.«

      Dr. Lauer schneidet dabei eine Grimasse. Tourette-Syndrom? Ein Psychiater-Tick? Bevor ich noch etwas sagen oder fragen kann, stürmt die Oberschwester mit zwei Hilfsschwestern ins Zimmer. Mit ihrer demonstrativen Betriebsamkeit wollen sie offenbar ihren Chef beeindrucken. Mit rekordverdächtig flinken, effektiven Griffen reißen sie alle Schränke und Schubladen auf und – ehe ich mich in meinem sanften rosa Tablettenrausch versehe – packen alle meine Habseligkeiten auf mein Bett und schieben mich samt den Sachen schon aus dem Zimmer auf den menschenleeren Gang und in den Bettenfahrstuhl.

      »Dann noch alles Gute!«, ruft mir Dr. Lauer formell gut gelaunt hinterher. Er ist ein Mann mit grauer Gesichtsfarbe, zu tiefen Augenringen und macht immer den Eindruck, als stünde er unter einer hohen Dosis Ritalin plus Stimmungsaufhellern. Für so etwas bekommt man hier einen Blick.

      »Das neue Zimmer haben Sie auch wieder ganz für sich alleine«, verkündet mir die junge Lernschwester freudestrahlend, »… und Sie haben schon Besuch!«

      »Mein Sohn oder meine Tochter?«, frage ich hoffnungsvoll.

      Sie lacht: »Nein, eine Person, die sich wirklich um Sie kümmert: Ihre Rechtsanwältin! Haha!«

      Sie hält das für einen guten Witz. Ich auch.

      Rollen durch endlose Korridore, mal dunkel, mal hell, durch unzählige Türen, die erst aufgeschlossen und zugeschlossen werden müssen, und solche, die sich wie von Geisterhand öffnen, quietschen oder scharren, dann werde ich endlich in ein Zimmer geschoben, das so hell ist, dass ich blinzeln muss. »Sie haben Glück, das ist die Privatstation!«

      Ehe ich mich wundern kann, tritt Frau Kühnel, meine Rechtsanwältin, lächelnd an mein Bett. Sie reicht mir ihre kalte Rechte.

      »Jetzt sind Sie eine reguläre Patientin!«, verkündet sie selbstzufrieden. »Sie müssen auch keine Untersuchungshaft mehr fürchten!«

      Ich muss wohl ein ziemlich verdutztes Gesicht gemacht haben. Untersuchungshaft? An so etwas habe ich überhaupt noch nicht gedacht. Beruhigend legt sie mir ihre wertvoll beringte linke Hand auf den Arm. »Glücklicherweise konnte ich den Staatsanwalt davon überzeugen, dass Sie weder bandenkriminell noch gewerbsmäßig gehandelt haben können! Darum stehen Sie jetzt nur noch unter Anklage der einfachen Menschenschleusung in einem minderschweren Fall. Da Sie keine Vorstrafen haben, können Sie sich frei bewegen. Allerdings dürfen Sie das Land nicht verlassen. Ihr Pass wurde bis auf weiteres eingezogen.«

      Ehe ich mich artig bedanken kann, legt sie den Finger auf den Mund und weist mit der anderen Hand auf die Wände und die Zimmerdecke. Dann deutet sie verschwörerisch mit dem Daumen auf das Bad. Bevor wir das Bad betreten, öffnet sie im Vorbeigehen schnell den kleinen Patientenkühlschrank an der gegenüberliegenden Wand meines Zimmers und legt ihr Handy hinein. Zusätzlich schaltet sie noch den Fernseher an. Auf mich wirkt das alles sehr absonderlich, aber einer renommierten Strafverteidigerin kann man das wohl nachsehen. Natürlich kann ich mir so eine Staranwältin nur teilweise leisten, denn ihre Honorare bewegen sich weit jenseits der üblichen Gebührenordnung. Aber was ich und meine Rechtsschutzversicherung nicht zahlen können, übernimmt eine gemeinnützige Stiftung wegen eines Präzedenzfalles von gesellschaftlicher Bedeutung.

      Im Bad dreht Frau Kühnel auch noch alle Wasserhähne auf. Ich wähne mich sofort mitten in einer dieser US-Fernsehserien voller Verfolgungswahn, ein Gedanke, der mir offenbar wie mit Leuchtschrift auf der Stirn geschrieben steht.

      »Halten Sie mich bitte nicht für paranoid, aber ich habe in der letzten Zeit schon zu viele Schlappen erlebt, die sich nur durch Abhören oder Abschöpfen von elektronischen Medien erklären lassen! Bei Menschenschleusung und Menschenhandel werden seitens der Ermittlungsbehörden schon mal alle Register gezogen. Also lassen wir Vorsicht walten. Um es kurz zu machen: Wenn es ganz schlecht laufen sollte, werde ich auf verminderte Schuldfähigkeit wegen psychischer Erkrankung oder mit Verweis auf Ihre traumatischen Erfahrungen auf einen mildernden Tatumstand plädieren. So kommen wir auf drei Monate Haft als Strafandrohung runter. Unser Ziel ist jedoch: Niederschlagung der Anklage aus Mangel an Beweisen. Im schlimmsten Fall, weil Sie ja nicht vorbestraft sind und einen festen Wohnsitz haben, läuft das dann wohl auf eine Bewährungsstrafe hinaus. Wenn doch ein Hafturteil drohen sollte, müssen wir eine Haftverschonung wegen einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung herausschlagen. Das ist im Großen und Ganzen die Marschrichtung!«

      Frau Seraphina Kühnel setzt sich in ihrem eleganten grauen Designerkostüm auf den wackligen Duschhocker unter der Brause und schlägt die Beine übereinander. Sie verströmt professionelle Zuversicht. Ich hocke derweil in meinem mausgrauen Jogginganzug auf dem Klodeckel und betrachte die weißen Pompons auf meinen grauen Plüschlatschen. »Wenn Sie meinen«, brabbele ich unschlüssig in das Geplätscher der aufgedrehten Wasserhähne.

      Sie zieht ein Notizbuch aus ihrer großen Umhängetasche. Blättert. »Wie sieht es bei Ihnen mit den elektronischen Medien aus? Was könnte die Staatsanwaltschaft da finden?«

      »Ich glaube, ich habe an alles gedacht«, nöle ich zögerlich vor mich hin. Dann gebe mir einen Ruck und komme aus der Deckung. Schließlich ist sie ja meine Anwältin. »Soweit ich mich erinnere …«, wir lächeln uns einverständig an, »… habe ich das Handy zerstört, vor allem die Simkarte, und ins Wasser geworfen. Die Festplatten aus dem Notebook habe ich ersetzt und harmloses Zeug auf die neuen Festplatten kopiert. Meinen Facebook-Account habe ich schon lange nicht mehr. Ansonsten habe ich nur in Internetcafés gesessen. Da gibt es nichts, was man mir irgendwie aus dem Netz anhängen kann.«

      Sie nickt mir zufrieden zu. »Schön, dass Sie das noch wissen«, sie grinst. »Gibt es sonst noch Mitwisser, Zeugen, mögliche Beobachter?«

      »Keine! Das versteht sich doch von selbst!«

      Ich mache eine viel- und nichtssagende Geste mit hochgezogenen Schultern und nach oben gerichteten Handflächen. Meine Strafverteidigerin guckt mich skeptisch


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