Mischpoke!. Marcia Zuckermann

Mischpoke! - Marcia Zuckermann


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mit Ihrem Ausweis eingereist ist. Um Frau … Frau Nasi –«

      »Nasi Gohari!«, souffliere ich.

      »Richtig! Erinnern Sie sich auch, wie man das schreibt?«, sie lacht. »Also machen wir uns nichts vor: Das Einzige, das mir wirklich Sorgen bereitet, ist Ihr früherer Beruf und dass man Ihnen zutrauen könnte, so eine Sache einzufädeln und durchzuziehen.«

      Ich stehe etwas auf der Leitung: »Was ist denn an einer ehemaligen Journalistin so schlimm? Werden denen keine Handtaschen geklaut?«

      Frau Kühnel verdreht die Augen. »Na, jetzt enttäuschen Sie mich aber! Alles, was hier nach Intelligenz und Cleverness riecht, ist in diesem Verfahren für Sie hinderlich! Ich muss doch glaubhaft machen, dass man Sie übertölpelt hat und dass Sie auch sonst kein Wässerchen trüben können. Ob der Richter uns das abnimmt, ist eine andere Frage, vor allem wenn tatsächlich Richter Dörfler den Vorsitz führt. Der kann schlaue Frauen überhaupt nicht ab. Da müssen wir uns schon sehr warm anziehen. Da muss selbst ich ein Kilo Kreide fressen.«

      Bislang war ich nur diffus besorgt, jetzt bin ich alarmiert.

      »Na, na«, tröstet sie mich, »nur keine Panik, man muss es Ihnen erst mal nachweisen können.«

      Ich schlucke.

      Die biblischen Plagen

      Der Kohanim’sche Haushalt hatte sich nach dem Tod des letzten Stammhalters in ein Tollhaus verwandelt. Das christliche Gesinde hielt teils verstört, teils sensationslüstern Maulaffen feil, während die Frauen der Beerdigungsgesellschaft ungerührt ihren Dienst an der Kinderleiche versahen. Die Mädchen, zwischen nervösem Gekicher und Angst vor väterlicher Strafe hin- und hergeworfen, sollten eigentlich oben in ihren Zimmern hocken und Bußgebete sprechen. Natürlich dachten sie nicht daran. Immer wieder schlichen sie neugierig über den Flur, um hinter dem Pfosten über die Balustrade des oberen Stockwerks zu spähen.

      Was hier fehlt, ist die Würde, die der Tod verdient, auch wenn der Tote nur ein Säugling ist!, dachten die Bediensteten.

      Mindel war weit und breit nicht zu sehen. Ihre Pflicht war erfüllt. »Tod ist Männersache!«

      Wortlos drückte Samuel Kohanim jedem Klageweib ein Geldstück in die Hand. Hastig haschten die Frauen nach den Münzen und schlüpften linkisch dankend durch die Tür. Mit Trostworten und Segnungen verabschiedete sich die Beerdigungsgesellschaft und ließ Samuel mit seinem aufgebahrten toten Söhnchen zurück. Lange starrte er mit feuchten Augen auf den winzigen Leichnam mit den zu großen Tonscherben auf den kleinen Augen. »Mit den Kohanim ist es also aus!«, seufzte er, baute sich im Gebetsumhang vor dem Fenster auf und wippte unwillkürlich mit den Zehen. Zwangsläufig hielt er nun Rückschau auf die gewesenen Kohanim. Eigentlich hielt er den Kult des Erinnerns für eine dieser Krankheiten, die mit zunehmendem Alter auftraten und in immer heftigeren, längeren Schüben um sich griffen, bis man ganz in ihnen versank. Außerdem misstraute er Familienlegenden prinzipiell. Wie bei Stalagmiten und Stalaktiten in Tropfsteinhöhlen lagerte doch jede Generation nur die Sedimente ihrer Fantasien ab. Selbst wenn man bloß zwei Generationen zurückblätterte, war Wahrheit von Dichtung kaum mehr zu entflechten.

      Wenn er an den Ahnvater aller Kohanim in Westpreußen, Baruch Kohanim, dachte und an dessen streitbare Schwester Zippora Orenstein, die den Überlieferungen zufolge allesamt Heilige gewesen sein sollten, so konnte er nur den Kopf schütteln. In Wahrheit war nicht die Frömmigkeit, sondern das Außenseitertum und die Rebellion gegen das Althergebrachte das Erbe der Kohanim. Und zum Ärger und Verdruss aller Heuchler lag immer Segen darauf.

      »Vielleicht ist das das Geheimnis von Heiligkeit?«, philosophierte er vor sich hin. »Man erteilt sich selbst einen ehrenwerten Auftrag, setzt sich über alles hinweg und hat Erfolg damit.«

      Sein Blick blieb am Gemälde hängen, das sich die Kohanim vor hundert Jahren von ihrem Ahnherrn Baruch anfertigen ließen. Ein reines Fantasieprodukt. Dort blickte ein ziemlich finster dreinschauender Baruch Kohanim unter einer schwarzgrauen Lockenmähne mit Samtkippa streng auf seine Nachkommen herab. Das Kinn ließ er dabei entschlossen auf der Brust ruhen, so dass sein halblanger Bart wie ein Biesendach seinen Hals bedeckte und in einem eigentümlichen Widerstreit mit einem Jabot aus weißer Seide stand. Seit jenen Tagen im 17. Jahrhundert war viel Wasser die Weichsel hinuntergeflossen. Tatsache war aber auch, dass seit längerem irgendein Übel am Stamm der Kohanim fraß. War es nicht schon schlimm genug, dass alle seine Söhne starben? Waren die Töchter, mit denen er geschlagen war, nicht ein noch viel größeres Unglück?

      Hinter seinem Rücken nannte man seine Töchter im drei Kilometer entfernten Dorf Osche »die sieben biblischen Plagen«. Biblisch verstand man als jüdisch, zur Unterscheidung von den üblichen Plagen im Dorf: das jährliche Hochwasser, der Alkohol, die Rauflust der Jugend, der Aberglaube und, und, und.

      Außer Fanny, der Ältesten, deren Gesicht die Masern durch eine halbseitige Lähmung entstellt hatten, so dass ihre linke Gesichtshälfte wie schlaffer Hefeteig herunterhing, war jede seiner Töchter ein Ungeheuer ganz eigener Art, fand er. Geistergläubige hätten jeden Eid geschworen, dass jemand eine Horde von Teufeln, Dibbukim, auf die Seelen seiner Töchter losgelassen hatte.

      In Elli, seiner Drittältesten, schien ein gojischer Landsknecht zu wohnen. Anstatt zu laufen, rannte sie, sprang über jede Mauer, ja selbst vom Dach, und hatte heimlich im neben dem Gesindehaus vorbeifließenden Schwarzwasser das Schwimmen gelernt. Anstatt Monogramme in ihre Aussteuer zu sticken, wie andere jüdische Mädchen in ihrem Alter das taten, veranstaltete sie mit den übelsten polnischen Straßenjungen Faustkämpfe, dass die Fetzen flogen, wenn sie nicht gerade in skandalös wadenlangen Röcken Tennis spielte, die sie dann auch noch schürzte, oder gar noch skandalöser: auf Pferde ohne Damensattel stieg, um unzüchtig wie ein Mann mit dem Gaul zwischen den Schenkeln in vollem Galopp auf Flaschen und Tauben zu schießen. Einerseits hatte das zwar die segensreiche Wirkung, dass die polnischen und deutschen Kinder im Dorf aus Angst vor Elli die jüdischen Kinder nicht mehr mit Steinen, Moder und steinhaltigen Grasbüscheln bewarfen oder hänselten, doch Elli blieb ein wandelnder Skandal. Sicher, als Junge wäre sie ein Dorfheld, ein zwar ganz untypisch streitsüchtiger Jude, aber immerhin ein Kerl, der seinen Eltern Ehre machte. Doch wo fände sich ein seriöser Jude, der so ein Mannweib wie Elli einmal zur Frau nehmen würde?

      Ein weiterer Seufzer galt Selma. Seine Zweitälteste, Selma, hatte schon mit sechzehn das doppelkinnige Gesicht ihrer Mutter mit engstehenden, unangenehm stechenden Augen und vereinigte den unerschütterlichen Starrsinn eines senilen Maulesels mit dem hitzigen Temperament und der bezwingenden Beredsamkeit eines Levantiners. Außerdem entwickelte sich seine zweitälteste Tochter zu einer Bildungssüchtigen, in der offenbar der Dibbuk eines Chassiden steckte, denn Selma pflegte aus jugendlichem Aufruhr gegen den Vater einen ausgeprägten ultraorthodoxen Fimmel.

      In der ständig albern vor sich hinträllernden Jenny, seiner Zweitjüngsten, wohnte offenbar der Geist einer hirnlosen Soubrette. Aber konnte es unter all diesen Unglücksfällen ein noch größeres Unglück geben, als mit einer Tochter wie Martha geschlagen zu sein?

      Martha, die drittjüngste der Schwestern, war hässlich, dumm wie ein Huhn, verlogen wie Münchhausen und dazu noch ständig krank. Mal waren’s die Nerven, dann ein Hautleiden, dann wieder Asthma. Allein schon ihre quäkende Stimme konnte ihn in Rage versetzen. Natürlich ließ er sich das nicht anmerken, denn er behandelte alle Töchter gleichermaßen teilnahmslos und hielt das für gerecht.

      Mit einem weiteren Stoßgebet dachte er an Franziska, die »Mittlere«, genannt Fränze, die ihm eigentlich die liebste war. Noch eigentlicher war er aber davon überzeugt, dass seine schöne, kühle Franziska, die bedenken- und herzlos wie eine Nihilistin war, irgendwann konvertieren würde, oder Schlimmeres. Der war alles zuzutrauen.

      Und Flora, seine Jüngste? Großer Gott, sie war ja schon jetzt so scheinheilig und falsch wie eine Katholikin!

      Kurz: Mit Ausnahme der entstellten Fanny, fand er, waren alle seine Töchter vollkommen missraten, aufsässig und weder im Guten noch im Bösen zu lenken. Bei Söhnen hätte er diese oder jene Eigenschaften vielleicht noch als Charakter gelten lassen, doch bei Töchtern


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