Das muss gesagt werden. Elfriede Hammerl

Das muss gesagt werden - Elfriede Hammerl


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prinzipiell keine Abschreckung, sondern vertraut. Zwar kränkt es mich, wenn sich mein Mann an andere Frauen heranmacht, aber gleichzeitig glaube ich, dass virile Männer polygam sein müssen, ich möchte es glauben. Und vor die Wahl gestellt, meinen Mann für einen sexuellen Belästiger, ja sogar für einen Vergewaltiger zu halten, oder die Frauen, an die er sich heranmacht, für hinterhältige Schlampen, ziehe ich die zweite Version vor.

      Ihn als sexuellen Belästiger oder gar als Vergewaltiger zu sehen, würde bedeuten, dass ich meinerseits einen großen Fehler gemacht und bei der Partnerwahl versagt habe, aber eine wie ich unterliegt nicht. Mein ganzes Lebenskonzept wäre dadurch infrage gestellt. Immerhin habe ich mich seiner Karriere zuliebe aus dem Journalismus zurückgezogen; als er Minister wurde, habe ich keine politischen Sendungen mehr geleitet. In meinen Kreisen hat die Karriere des Ehemanns im Zweifelsfall Vorrang, nie würde ich es zur Präsidentin gebracht haben, aber Première Dame zu werden war eine realistische Aussicht. Meine berufliche Tätigkeit darauf abzustimmen, scheint jetzt im Nachhinein eine überflüssige Fleißaufgabe gewesen zu sein, doch wenn ich mich von meinem Mann trenne, ändert das auch nichts mehr. Lieber schreibe ich das vorläufige Scheitern meiner Pläne einem hinterhältigen Frauenzimmer zu, das womöglich in eine Verschwörung gegen meinen Mann verwickelt war, als der Unfähigkeit meines Mannes, seine Triebe unter Kontrolle zu halten.

      Vielleicht habe ich ja sogar kurzfristig erwogen, meinen Mann hochkant hinauszuschmeißen, aber dann habe ich weitergedacht und mir ausgemalt, was danach käme. Danach käme eine Zukunft als Single-Frau, habe ich mir vielleicht vorgestellt. Nicht dass eine fesche, millionenschwere 63-Jährige auf Dauer ohne Anwärter bliebe, aber was für Anwärter wären das? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich welche finden, die meinem Anforderungsprofil entsprechen? Als Single-Frau aufzutreten bin ich nicht gewöhnt. Als Single-Frau zu leben auch nicht. Ich habe DSK ja geheiratet, weil ich mit ihm leben wollte, weil wir einander was zu sagen haben, weil er, abgesehen von seinen bekannten schlechten Eigenschaften, Eigenschaften hat, die ich schätze, das Anforderungsprofil, dem er entspricht, beschränkt sich nicht auf die Rubriken Karriereaussichten und gesellschaftliches Prestige, sondern umfasst auch Qualitäten des Miteinander-Agierens, die mir wichtig sind und die er aufweist.

      Für eine andere würden seine Verfehlungen vielleicht mehr wiegen als das, was sie an ihm schätzt, in den Augen einer anderen hätte er jegliche Qualitäten vielleicht eingebüßt, ich hingegen bestehe darauf, mir eine wohlwollende Sicht auf ihn zu erhalten, mit dem totalen Verlust meines Bilds von ihm möchte ich nicht zurechtkommen müssen.

      So stelle ich mir Anne Sinclairs Beweggründe vor. Wie gesagt, ein Versuch zu verstehen – in den Grenzen eines letztlich patriarchalen Weltbilds, die nicht nur für Frau Sinclair Gültigkeit haben, sondern auch für manche andere, die eisern zu einem fragwürdigen Ehemann hält.

      Jänner

      16

      2012

      Rampensau sein

      An sich glauben! Keine Selbstzweifel!

      Kein Unrechtsbewusstsein! Ein Tugendkatalog.

      Sie sind eine starke Frau, sagen Leute zu mir, wenn sie mir was Freundliches sagen wollen. Das ist nämlich ein Kompliment: Sie sind stark. Sie sind kämpferisch. Sie können sich durchsetzen.

      Ich will aber gar keine starke Frau sein. Ich will keine starke Frau sein müssen. Das hat nichts mit dem Geschlecht zu tun. Ich würde auch als Mann nicht dazu verdonnert werden wollen, ein starker Mann zu sein. Sagen wir es so: Ich will kein starker Mensch sein müssen, jedenfalls nicht unentwegt. Ich will auch schwach sein dürfen. Unsicher. Schüchtern. Melancholisch statt zuversichtlich und gut drauf. Das alles bin ich, aber ich sollte es tunlichst nicht zugeben und schon gar nicht zeigen.

      Warum denn nicht, Herrgott noch einmal?

      Was spricht dagegen, einfach ein Mensch zu sein? Menschen haben Stärken und Schwächen. Warum ist es auf einmal eine Tugend, keine Schwächen an sich zuzulassen, ja tunlichst überhaupt keine an sich zu entdecken? Führungspersönlichkeit. Karriere. Erfolg. Was heißt das?

      Ich möchte keine Führungs-Persönlichkeit sein. Ich möchte keine Identität, deren Hauptmerkmal ein überdimensionierter Führungsanspruch ist. Ich möchte, dass meine Qualitäten anerkannt werden und dass meine Kompetenz wahrgenommen wird. Aber ich möchte nicht vorgeben müssen, dass ich omnikompetent sei, und ich möchte nicht permanent ein Rudel dominieren, das scharf darauf ist, meine Dominanz zu unterminieren. Ich möchte dann führen dürfen, wenn ich den Weg gerade am besten kenne, aber ich würde nicht immerzu und auf jeden Fall vorangehen wollen. Noch weniger will ich mich freilich von jemandem führen lassen, der unbeirrt vorangeht, egal, wie gut er sich auskennt.

      Wünsche ich meiner Tochter eine Karriere? Nicht, wenn damit ständiges Konkurrierenmüssen, Übertrumpfen, Auftrumpfen, Siegen, das atemlose und rücksichtslose Hinaufklettern auf einer Hierarchieleiter gemeint ist. Was ich ihr wünsche, ist ein Berufsleben, das ihr Freude macht, das ihr sinnvoll erscheint und von dessen Ertrag sie gut leben kann.

      Aber wie groß sind die Chancen auf ein solches Berufsleben in einer Gesellschaft, die schamlose Selbstüberhöhung, hemmungslose Selbstvermarktung und erbarmungslosen Egoismus zu angesagten Qualifikationen erklärt?

      Zugegeben, das ist nichts Neues. Ein Blick auf die Geschichte zeigt, dass im Wesentlichen schon immer die Scheißmichnixe, die Haudraufinger, die Schlagetots auf der Gewinnerseite gelandet sind und nicht die Sensiblen, Empathischen, Nachdenklichen, Rücksichtsvollen. Heuchlerisches Lobpreisen von Bescheidenheit und edler Zurückhaltung war immer bloß eine Aufforderung an die Zukurzgekommenen, ihr Los zu akzeptieren und die etablierten Vorrechte der Gewinner-Nachfahren nicht infrage zu stellen. Trotzdem erinnere ich mich, wenn ich auf die – historisch gesehen bescheidene – Zeitspanne meines bisherigen Lebens zurückblicke, an eine kurze Phase (in den siebziger Jahren), in der, auch als Abkehr vom gerade durchgestandenen Herrenmenschenwahn, Begriffe wie Solidarität und Gerechtigkeit nicht als Loser-Vokabular belächelt wurden.

      Mittlerweile gilt wieder ein Wertekatalog, der an die Hart-wie-Kruppstahl-Propagandisten erinnert. Survival of the fittest. Ich-AG. Wer seinen Marktwert nicht hochtreibt, ist selber schuld. Selbstbewusstsein trainieren. Unbedingt an sich glauben. Keine Selbstzweifel aufkommen lassen. Wichtiger als alle anderen Kompetenzen ist inzwischen die Fähigkeit, bei der PR in eigener Sache vor Selbstüberschätzung nicht zurückzuschrecken. Studierende im zweiten Semester listen in ihren Lebensläufen Fertigkeiten auf, deren seriöser Erwerb 120 Jahre dauern würde. Monopoly gespielt zu haben wird als wirtschaftswissenschaftliches Propädeutikum interpretiert, Pfadfinder-Wochenenden scheinen als Ranger-Ausbildung auf, zweimal Sprachferien in der Provence haben angeblich zu perfekten Französischkenntnissen geführt. Wer es nicht versteht, zügellos zu übertreiben, zeigt, dass er hartem Konkurrenzkampf nicht gewachsen ist.

      Ja, na und? Ist harter Konkurrenzkampf was Gutes, Notwendiges, Erstrebenswertes? Wie wär’s stattdessen mit Freundschaft, Hilfsbereitschaft, Zusammenarbeit? Was wäre schlecht an einer Welt, in der auch Platz ist für die Zartbesaiteten, Zögernden, Zaudernden, und in der es auch die Friedlichen und Freundlichen gut haben? Nein, falsch: in der es vor allem die Friedlichen und Freundlichen gut haben, weil sie mehr gelten als die Wettbewerbler, die Ellbogen-Ausfahrer, die Dampfwalzen und Rampensäue?

      Leider, überholte Träume. Und letztlich zählen sowieso nicht mehr oder minder billig erworbene Diplome, sondern Verbindungen – das richtige Elternhaus, die richtigen Freundeskreise und das unverfrorene Ausnützen von Kontakten. Net working ist wichtig, sondern networking, kombiniert mit einem eklatanten Mangel an Unrechtsbewusstsein. Sich keiner Schuld bewusst sein. Überzeugt sein vom Vorrang der eigenen Begehrlichkeiten. Nur eine einzige Erklärung für möglich halten, wenn man beim Gesetzesbruch erwischt wird: Man sei zu schön und zu intelligent für ein zu kleines Land. Was für Erfolgsrezepte. Und wie sie aufgehen!

      Man muss sich eben gut verkaufen! Muss man? An wen? Ich bin dafür, dass wir uns behalten.

      Februar

      27

      2012


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