Der Gang unter der Erde. Hans Hyan

Der Gang unter der Erde - Hans Hyan


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und den Hörer ans Ohr genommen:

      „Matschunke, Sie sind es ... nun sagen Sie doch ...! Nein, ich komme sofort herunter ... den Doppelschlüssel zum Tresor, ja, den bring’ ich mit ...!“

      Er legte den Hörer fort, wandte sich zu der gespannt aufhorchenden Tochter:

      „Was sagst du dazu, Rose ...! Ja, ich ruf’ dich gleich an, von der Bank aus ...“ Der Konsul war jetzt schon ganz in seiner Bank und mit dem Einbruch beschäftigt. „Und im übrigen, Rose, ich komme früh nach Hause heute, da können wir ja alles noch einmal in Ruhe durchsprechen ... und du bist meine vernünftige Tochter ... nicht wahr, du siehst, in diesem Augenblick ... da weiß ich wirklich nicht, wo mir der Kopf steht ...“

      Der alte Martin war hereingekommen, hatte seinem Herrn Mantel und Hut gebracht, und der Konsul war aus dem Zimmer, ehe Rose noch viel fragen konnte. Sie war auch so beschäftigt mit ihren eigenen Gedanken, daß ihr dieser Einbruch, der sie sonst gewiß interessiert hätte, im Augenblick recht bedeutungslos erschien.

      Es gab ja eine Versicherung und auch die Polizei. Rose war es von ihrem Vater gewöhnt, daß er jede Sache schnell und praktisch erledigte.

      Nachdenklich ging sie wieder hinüber in ihr Boudoir.

      II

      Im Schneenebel eines Wintermorgens, der sich langsam erhellte, ging der frühere Kriminalinspektor und jetzige Privatdetektiv Doktor Splittericht durch die Flinsberger Straße nach seiner am Harlemer Platz gelegenen Wohnung. Zehn Schritt vor ihm, im Morgendämmer verschwimmend, trugen zwei Telefonarbeiter ein schweres Kabel, und der Doktor-Kommissar, der nach seiner Gewohnheit meditierend dahinging, erschrak etwas, als der vordere von den beiden Arbeitern aufschreiend mit dem halben Leibe im Straßenpflaster versank. Sein Kollege, hinzuspringend, zog den Mann im blauen Kittel aus dem Loch, und die beiden im Verein mit dem rasch näher kommenden Detektiv betrachteten voll Erstaunen den Einbruch in der Pflasterung. Es hatten sich eigentlich nur die mosaikartig festgeklopften Granitbrocken neben den großen Trottoirsteinen etwa einen halben Meter gesenkt. In dem entstandenen Loch aber sah man zerbrochene Bretter und Hölzer, die den Steinbelag noch stützten. Als sich nun die beiden Arbeiter und ein paar hinzukommende Kollegen von ihnen daranmachten, wurde bald ein unterirdischer Gang bloßgelegt, der, wie ein Bergwerksstollen abgesteift, unter der Erde entlangging.

      Doktor Splittericht trat mit einem leisen Lächeln an den Bord der breiten und modernen Straße. Das Haus, vor dem man sich befand, war ein großes Industriegebäude, das in seinen oberen Etagen Wohnungen enthielt, während in den unteren Stockwerken sich nur Geschäftsräume befanden. Das Parterre und den ersten Stock bewohnte die „Allgemeine Handelsbank“ — diese Feststellung zauberte ein mephistophelisches Lächeln auf Doktor Splitterichts Gesicht. Er legitimierte sich den erregt durcheinanderredenden Arbeitern gegenüber und forderte sie auf, hier an der Stelle zu bleiben, bis er von einem Telefongespräch zurückkäme. Dann eilte er nach dem Harlemer Platz, trat in einen Telefonkiosk und ließ sich mit dem Polizeipräsidium verbinden.

      „Die Abteilung IV, bitte, Fräulein ...! Kommissar Starkmann ... jawohl, hier Splittericht. Sie müssen schnell mal herunterkommen, Herr Kollege, nach der Flinsberger Straße neun. Mit ein paar von Ihren Leuten, ja ... es handelt sich um ein ganz groß angelegtes Verbrechen ... wie? ... ja, Bankraub ... Allgemeine Handelsbank in der Flinsberger Straße neun ... das Straßenpflaster ist unterminiert. Die Leute sind offenbar unter dem Straßenniveau durch die Hausmauer in den Tresorkeller gedrungen ... richtig, ja! ... Ich sichere den Tatort bis zu Ihrer Ankunft.“

      Der Detektiv hängte ab und nahm gleich die zweite Verbindung zu der Privatwohnung des ihm gut bekannten Oberregierungsrats Henderson, des Leiters der Abteilung IV. Auch den verständigte er von seiner Entdeckung und entschuldigte sich wegen des frühen Anrufs — es war kurz nach sieben Uhr.

      „Aber ich bitte Sie, liebster Doktor“, klang es von der anderen Seite, „wir sind Ihnen doch sehr dankbar ... es ist ja so merkwürdig, daß Sie immer schon da waren, wenn wir erst hinkommen ...“ Sie lachten beide, „in einer Viertelstunde bin ich bei Ihnen.“

      Als Doktor Splittericht zurückkam, hatten die Telefonarbeiter den Gang schon ein ganzes Ende weiter bloßgelegt. Die Flinsberger und die Straße am Harlemer Platz schnitten sich hier. Den Schnittpunkt bildete das Bankhaus. Aber der Eingang zur Bank befand sich an der Flinsberger Straße. Doktor Splittericht stieg nun auf die etwa zwei Meter tief liegende Gangsohle hinab. Den Revolver in der rechten, seine Taschenlampe in der linken Hand, drang er zuerst nach links vor und kam etwa drei Meter weiter an das Ende des Stollens und an ein Loch in der Hausmauer, durch das er sich nur schwer hindurchzwängen konnte. Er befand sich jetzt, wie der helle Lichtstrahl seiner Lampe zeigte, in einer Art Schornstein, in dem er sich kaum bewegen konnte. Kein Zweifel, das war ein Luftschacht!

      Splittericht kroch vorläufig wieder durch das Mauerloch in den Gang zurück und ging in gebückter Haltung durch ihn hindurch bis zu seinem rechten Ende. Auch hier stieß er auf ein Loch in der Hausmauer, durch das er in den Heizungskeller hineinblickte. Er wollte sich eben weiter orientieren, als er Stimmen in seinem Rücken hörte und, sich umdrehend, den Kommissar Starkmann sah, der ihm neugierig mit der elektrischen Laterne ins Gesicht leuchtete.

      „Ah, Sie sind der Kriminalpolizei wieder um eine Nasenlänge voraus, Herr Doktor!“

      „Leider“, meinte Splittericht bekümmert, „ich habe wirklich selber genug zu tun. Aber ich kann doch beim besten Willen an so einer Sache nicht vorbeigehen.“

      „Waren Sie schon da drin?“ Der Kommissar deutete auf das Loch in der Mauer, durch das Splittericht im nächsten Augenblick verschwand. Der Beamte folgte ihm. Das erste, was sie sahen, war ein gewaltiger Berg weißen Sandes — der Rauminhalt des Stollens, den die Einbrecher mit großer Mühe herausgeschafft hatten. Da lag noch der Eimer, den der im Stollen stehende Schränker ein Mal um das andere mit Erde füllte, um ihn jedesmal dem hinter der Mauer im Heizkeller stehenden Komplizen durch das Loch hindurchzureichen.

      „Ein tolles Stück Arbeit“, sagte der Kommissar, „woran die Herrschaften wahrscheinlich tagelang geschuftet haben! Den Sand und die Bruchstelle haben sie immer wieder mit Kohlen bewerfen müssen ... es konnte ja doch jemand hier reinkommen, wenngleich die Stelle im Keller ziemlich abseits liegt ...“

      Die beiden Fänger leuchteten nun den Keller in allen seinen Gängen ab. Sie besichtigten die Heizung, das recht komplizierte System der elektrischen Schalter für die Beleuchtung des großen Hauses und kamen so durch mehrere Gänge an die Tresorwand.

      „Von hier aus ist nichts zu machen gewesen, das haben die beiden Ganowen sofort gesehen. Der Tresor besteht aus einer zollstarken doppelten Stahlwand und ist mit einer Mischung von Beton, Kalk und Kieseln, sogenanntem Eisenmörtel, ausgefüllt. Kein Bohrer und kein Schneidebrenner kann dagegen an“, Kommissar Starkmann betrachtete die Wand interessiert, er sah deutlich, wo die Einbrecher das Material des Tresors auf seine Festigkeit geprüft hatten. „Nun bin ich bloß gespannt, ob und wie sie reingekommen sind.“

      „Das will ich Ihnen sagen“, nickte Splittericht, „darum sind sie ja durch die Hauswand, unterm Trottoir durchgekommen, dann wieder durch die Hausmauer und an den Tresor, aber von der Schmalseite her ... da liegt nämlich der Luftschacht.“

      „Woher wissen Sie denn das?“

      Das stille Leuchten, das über das meist unbewegliche Gesicht des Detektivs lief, ärgerte den andern. Er dachte bei sich: Du alter Besserwisser, zaubern kannst du doch auch nicht!

      „Woher wissen Sie denn das, Herr Kollege?“

      Aber Splittericht antwortete nicht. Er ging zurück, kroch durch die Mauer, wobei ihm der Kommissar auf dem Fuß folgte, glitt den Gang entlang und kam durch die jenseitige Maueröffnung in den Luftschacht hinein. Hier war nur sehr wenig Raum. Herr Starkmann konnte ihm nicht folgen. Er hörte nur, wie Splittericht meinte:

      „Es ist so, wie ich dachte: der Luftschacht ist von außen durchbrochen, dann haben die Leute die Anker, die in der Luftklappe den Durchlaß zum Tresor schützen sollen, mit der Schweißlampe weggefräst und der Dünnere ist reingekrochen ... Das werden wir beide kaum fertigkriegen, Herr Starkmann ... Wir


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