Der Gang unter der Erde. Hans Hyan

Der Gang unter der Erde - Hans Hyan


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fragte sie. „Ach, Herr Konsul, er hat sich entsetzlich aufgeregt, als der Winter kam. Und war schon so furchtbar niedergedrückt ... Willis wegen ...“

      Der Konsul sah sie fragend an, sagte aber nichts. Sie gingen nebeneinander den breiten Korridor hinauf. Der Plüschläufer dämpfte das Geräusch ihrer Schritte, und dem Konsul war, als ob dieser matt erhellte Gang sich in schattenhafte Angst und Unsicherheit verlor.

      Rudolf Hermann konnte nicht weitergehen. Ganz unmöglich, daß er jetzt mit diesem zerbrochenen Menschen, dem Reese, über das Verbrechen sprach. In dieser Stunde war er nicht wie sonst imstande, Mitgefühl für andere aufzubringen. Er suchte selbst nach einer Seele, die ihm helfen und ihn stützen konnte. Er sah Gertrud mit einem langen Blick an und wandte sich rückwärts:

      „Ich muß noch einmal nach unten ... geh du zu Papa und sieh, daß du ihn ein bißchen beruhigst.“

      Das Mädchen bewegte die vollen Lippen, als wollte sie etwas erwidern, aber dann nickte sie nur und ging weiter den Gang entlang.

      IV

      Kommissar Starkmann war mit dem Wachtmeister Vogel und Assistent Nebeltau um die Ecke nach dem Harlemer Platz gegangen. Sie wollten durch den zweiten Eingang des Hauses über den Hof in den Heizkeller. So blieben Herr Henderson und Doktor Splittericht allein im Tresorraum.

      Sie hatten auf zwei Hockern Platz genommen, und der Chef, der Kriminalpolizei steckte sich noch eine von den schweren Zigarren an, die er entgegen dem Rat seines Arztes vornehmlich dann gern rauchte, wenn eine besonders schwierige Aufgabe seinen Geist beschäftigte.

      Doktor Splittericht rauchte ebensowenig wie er trank. „Ich habe das früher getan“, dachte er bei sich, „und bin mir so lange weder über mich selbst noch über meine Mitmenschen recht klargeworden. Heute, wo ich immer nüchtern bin, sehe ich manchmal durch die Menschen hindurch wie durch Glas. Glücklicher macht mich das auch nicht, aber es gewährt mir eine gewisse Genugtuung. Ich habe das Gefühl, daß ich so besser meine Pflicht erfülle.“ — Laut sagte er das nicht. Er hatte ja kein Interesse daran, Herrn Henderson zu kränken, mit dem er seit vielen Jahren in fast freundschaftlichen Beziehungen stand. Splittericht war der Vertraute des ungemein rechtlichen und tüchtigen Mannes gewesen, solange er im Kriminaldienst stand. Als es ihm mit den Jahren immer schwerer wurde, sich in den Beamten-Rangstaat einzuordnen, litt es ihn nicht länger bei der Behörde. Sein Ruf war auch in Privatkreisen so groß, daß er als Detektiv das Zehnfache seines Beamtengehaltes verdiente. Um so mehr, als ihn die Kriminalpolizei noch jetzt bei besonderen Gelegenheiten gern zu Rate zog.

      Die Herren saßen eine Weile schweigend beieinander. Zarte blaue Wolken zogen von der großen Zigarre des Oberregierungsrates durch den Raum, bis Splittericht auf einmal sagte:

      „Wenn ich nur wüßte, wieso der Zalewski ’n Herzschlag gekriegt hat ...“

      „Wird ’n Herzfehler gehabt haben, lieber Doktor!“

      Splittericht nickte:

      „Ganz recht, Herr Oberregierungsrat ... möglich ist das schon ... aber so herzleidende Leute wenden sich selten einem so anstrengenden Beruf zu ... haben auch meist gar nicht die Energie, die dazu nötig ist ... Ich kann mir nicht helfen, Herr Oberregierungsrat, an der Sache stimmt etwas nicht ...“

      Kommissar Starkmann kam ohne seine beiden Helfer wieder herunter in den Tresor.

      „Was sagen Sie dazu, Herr Starkmann ... ich meine, zu dem Herzschlag des Zalewski?“

      Starkmann zuckte die Achseln:

      „Was soll man da sagen! Der andere hat ihm vielleicht ’ne Pille gegeben, hat ihn beerben wollen, konnte die anderthalb Millionen alleine gebrauchen!“

      Splittericht schüttelte den Kopf:

      „Ausgeschlossen. Sie kennen doch unsere schweren Jungen ebenso gut wie ich selbst, Herr Kollege. Aber Sie denken vielleicht nicht so an das psychologische Moment bei der Tat. Wenn so ein Mensch an seine doch unerhört schwierige Aufgabe herangeht, dann erfüllt ihn das ganz und gar! Daß er dabei auch noch einen so raffiniert ausgeklügelten Mordplan wälzen soll — nein!

      Übrigens hätte Doktor Rangower das ohne weiteres festgestellt ... müßte auch ein ganz besonders tückischer Geselle sein, der Täter! Nein, hier liegt irgendeine Kombination vor, die, das will ich offen gestehen, mir vorläufig selber ganz rätselhaft ist.“

      Der Doktor-Kommissar stand auf und ging nachdenklich beobachtend durch den engen Raum. Er kam dabei an einem kleinen Tisch vorbei, der neben dem Geldschrank stand. Auf der polierten Platte befand sich ein handgroßer Wasserfleck ... Wie kam der dahin?

      Splittericht ging zu den beiden Herren zurück. Er sagte kein Wort.

      Herr Henderson blickte fragend zu Kommissar Starkmann hin, der in seiner unbekümmerten Weise mit einem halben Lachen erwiderte:

      „Na, ich habe jedenfalls meine beiden Greifer zu der ‚schwarzen Alma‘ geschickt. Die hat die alte Zachowsche Kaschemme in der Boyenstraße, und da werden wir vielleicht Husaren-Albert finden. Das war der beste Freund von Zalewski. Das heißt, sie haben sich mal um ein Mädel gegenseitig halbtotgeschlagen. Wer weiß, ob das Husaren-Albert dem da“ — er deutete mit der Stiefelspitze auf den bedeckten Leichnam — „nicht noch nachträglich hat eintränken wollen.“

      Doktor Splittericht war sichtlich anderer Meinung.

      Starkmann meinte rasch und nicht allzu höflich:

      „Na, eine Erklärung haben Sie doch auch nicht, Herr Doktor?“

      „Nein, aber ich werde sie finden, Herr Kollege ... Sie verzeihen, Herr Oberregierungsrat, ich will mir nur einmal die oberen Räume ansehen.“

      V

      In der Liguster-Allee in Westend, nahe dem großen Rondell, das mit seinem Alpenrosenschmuck und den gewaltigen Fliederhecken im Frühsommer das Entzücken der ganzen Gegend ist, lag die Villa des Konsuls. Heute war in dieser so stillen Gegend ein emsiges Kommen und Gehen. Lieferanten aller Art brachten Blumen und Eßwaren für die Verlobungsfeier der einzigen Tochter.

      Rose Hermann stand im Erker ihres kleinen Musiksalons und blickte auf die winterliche Straße hinaus.

      Vor der Villa gegenüber hatte ein Konditorlehrling seinen Tortenkorb abgestellt. Ein großer schwarzer Pudel nahm das für eine Einladung zu Baisertorte und Schlagsahne. Die dicken weißen Sahneflocken hingen an dem krausen Schnauzbart des Hundes. Dabei war der schwarzlockige Spitzbube so gerissen, sich immer wieder nach dem Konditor umzusehen.

      Rose öffnete geräuschlos das Parterrefenster und pfiff zwischen den Zähnen scharf und schneidend. Und dann, dann lachte sie, bis ihr die hellen Tränen aus den Augen liefen, über den wie ein schwarzer Blitz davonschießenden Pudel.

      „Gnädiges Fräulein ...“

      Rose sah sich, wie auf einer Torheit ertappt, rasch um:

      „Ja, Annette, was ist denn?“

      Eine Zofe, ungewöhnlich hübsch mit ihren dunklen Locken und Augen, sah den Konditorjungen aus dem Eingang der Villa heraustreten und die Verwüstung im Korb bemerken.

      Der weiß gekleidete Junge mit der viereckigen Pikeemütze stand erst wie eine Bildsäule. Dann erblickte er den an der Ecke auf den Keulen sitzenden und den Verlauf der Dinge abwartenden Pudel. Und einen Strom von Flüchen und Schimpfworten hinausschreiend, raste er hinter dem Pudel her, der in großen Sätzen entfloh. Die beiden Mädchen am Fenster der Bankiersvilla hielten sich an der Fensterbank, um nicht umzusinken vor Lachen.

      Endlich hatten sie sich beruhigt:

      „Was willst du denn, Annette ...?“

      „Ach, Fräulein Rose“, die Zofe sah sich besorgt um, obwohl niemand im Zimmer war, und sagte ganz leise:

      „Ich habe wieder einen ... Fräulein ... einen Brief ...“

      In das schöne, helle Oval der Blonden kam ein Ausdruck, als erstarrte sie zu Eis:


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