Zwischen Eis und Feuer. Jón Svensson

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      Jón Svensson

      Zwischen Eis und Feuer

      Ein Ritt durch Island

      Im Verein mit dem Verfasser

      besorgte Neubearbeitung der autorisierten Übersetzung

      von Johannes Mayrhofer

      Saga

      1. Winkende Ferien Mit Schiff Richtung Island

      Im Juli 1894, gegen Ende eines anstrengenden Schuljahres, erhielt ich eines schönen Morgens die Nachricht, ich solle mich eilends bereit machen für eine Reise nach Island, um dort meine Sommerferien zu verbringen.

      Das war für mich eine ausserordentlich freudige Botschaft.

      Ich war damals Lehrer an einer Lateinschule bei Kopenhagen. Meine Ferien dauerten volle zwei Monate, da konnte man schon eine grössere Reise unternehmen.

      Aber was noch viel mehr war: die Reise sollte nach Island gehen, nach dem zaubervollen Wunderland droben im Atlantischen Meer, mit seiner erinnerungsreichen stolzen Vorzeit und seiner grossartigen, herrlichen Natur, nach dem Land mit den brausenden Quellen, die ihre kochendheissen Wasser hoch in die Luft hinaufwerfen, nach dem Land mit den riesengrossen Wasserfällen, mit den zweitausend Feuerschlünden, von denen der grösste gross genug wäre, dass ganz Kopenhagen, die Hauptstadt Dänemarks, bequem auf seinem Grunde Platz hätte, während der kleinste nur einem kleinen, harmlosen Brünnlein gleicht, das aber in dem harten Basaltgestein unendlich tief in die Erde hinabreicht.

      Dieses wunderbare, so eigentümlich schöne Land und seine ruhmvolle Geschichte liebte ich mit einer leidenschaftlichen Liebe.

      Aber nicht nur das Land, auch seine Bevölkerung bewunderte und liebte ich: diese hochbegabten, feinfühligen, etwas stolzen und streitbaren, aber zugleich herzensguten und unvergleichlich gastfreien Menschen, dieses kleine isländische Volk, das nun über tausend Jahre schon da oben am Polarkreis mit rührender Treue über die alten Erinnerungen des skandinavischen Nordens wacht, das noch heute die so klangreiche, kräftige, poetische und feinentwickelte Sprache der alten Normannen redet: die Sprache der Edda und der Sagas, dieselbe Sprache noch, die einst Harald Schönhaar, Knut der Grosse und all die alten Helden gesprochen haben, deren männliche Taten das kleine isländische Volk vor dem Vergessen bewahrt hat.

      Ja, dieses Land und Volk, sie waren mir gleich lieb, und ich freute mich unsäglich darauf, dorthin reisen zu dürfen.— Ich sollte Island, mein Heimatland, das ich als zwölfjähriger Knabe im Jahre 1870 verlassen hatte, zum ersten Mal jetzt wiedersehen!

      Das Glück, das ich in meinem Herzen darüber empfand, kann ich unmöglich beschreiben. Ich will deshalb gleich anfangen zu erzählen, wie die Reise vor sich gehen sollte.

      Die Fahrt über das Meer zwischen Dänemark und Island hatte ich schon früher einmal gemacht, aber nur in der Richtung von Island nach Dänemark. Es war im Jahre 1870, als ich, wie gesagt, noch ein kleiner zwölfjähriger Junge war.

      Das Schiff, auf dem ich damals reiste, war der kleine dänische Segler „Valdemar von Rönne“.

      Jene Reise dauerte fünf volle Wochen. Eisberge und wütende Herbststürme waren schuld daran, dass es so langsam ging. Die ganze abenteuerliche Fahrt habe ich in dem Buche „Nonni“ geschildert.

      Mein nächstes Reiseziel war damals Kopenhagen, wo ich ein Jahr lang bleiben musste. Diesen Aufenthalt habe ich in meinem Buch „Die Stadt am Meer“ beschrieben.

      Am 6. Juli 1894 nun sollte ich mit dem Dampfer „Botnia“ von Kopenhagen nach Reykjavik, der Hauptstadt Islands, fahren, von dort dann quer über die ganze vulkanische Insel reiten, von Südwest nach Norden, bis hinauf zu dem herrlichen Eyjafjördur, und von da sollte mich Anfang September der dänische Dampfer „Thyra“ wieder nach Kopenhagen zurückbringen.

      Besonders der Ritt durch das Innere von Island erschien mir als der Glanzpunkt der ganzen Reise. Ein solcher Ritt über ausgedehnte, mir noch ganz unbekannte Strecken Landes musste reich werden an Erlebnissen und Abenteuern, die ich immer am meisten liebte, zumal da es ursprünglich meine Absicht gewesen war, allein, ohne Führer und Begleiter, zu reisen.

      Aber ein gutes Geschick wollte es anders: es besorgte mir einen liebenswürdigen kleinen Reisekameraden.

      Sobald nämlich meine Schüler davon erfuhren, dass ich nach dem fernen Island reisen sollte, kamen sie in der Pause draussen auf dem Spielplatz der genannten Schule alle zu mir herangestürmt und überschütteten mich, so wie nur die lebhaften dänischen Kinder es können, mit einer Menge Fragen.

      Zuerst wollten sie sicher wissen, ob das mit der Islandfahrt überhaupt wahr sei. Als ich es bejahte, ging das Fragen los:

      „Sie wollen also dahin reisen, wo aus den heissen Quellen das kochende Wasser hoch in die Luft hinaufspritzt?“

      „Ja, dahin will ich reisen.“

      „Und wo es die Schafe mit vier Hörnern gibt?“ rief ein anderer.

      „Ganz richtig, die gibt es dort“, bestätigte ich.

      „Und man reitet dort auf kleinen Pferden und setzt auf ihrem Rücken über die Flüsse?“

      „Ja, das tut man.“

      „Und es gibt dort Höhlen und unterirdische Gänge, in denen Geächtete leben?“

      Hierauf antwortete ich:

      „Ob es die jetzt noch gibt, weiss ich nicht. Früher allerdings hat es sie wohl gegeben.“

      „Aber das Eis soll in Island so lange gefrieren, dass es zuletzt ganz trocken wird und als Brennholz gebraucht werden kann?“ bemerkte darauf ganz ernsthaft ein Kleiner.

      Als ich ihn fragte, ob das ein Witz sein solle, erwiderte er:

      „Nein, nein, mein Papa hat gesagt, das steht in einem alten Geschichtsbuch.“

      Ich erklärte ihm darauf, dass dies wohl richtig sei, aber jener alte Schriftsteller (es war der Geschichtschreiber Adam von Bremen im 11. Jahrhundert) habe sich da geirrt. —

      Nach dieser kurzen geschichtlichen Abschweifung ging das Fragen lustig weiter:

      „In Island werden Sie gewiss auch die Hekla sehen?“ rief jetzt wieder einer.

      „Ja, natürlich werde ich sie sehen!“

      „Und werden Sie in den heissen Quellen auch Essen kochen?“

      „Selbstverständlich, das werde ich bestimmt tun!“

      „Und wie weit werden Sie überhaupt in das Land hineinreiten?“

      „Ich werde quer durch die ganze Insel reisen“, sagte ich; „da werde ich über Berg und Tal, über Stock und Stein und über reissende Flüsse setzen müssen.“

      „Und wann kommen Sie wieder zurück?“

      „In etwa zwei Monaten.“ —

      Auf einer solchen Reise wollten natürlich die Jungen am liebsten gleich alle mit dabei sein, und einer um den andern rief mir zu:

      „Könnten Sie mich da nicht auch mitnehmen?“

      „O ja, wenn eure Eltern es erlauben“, sagte ich.

      Die meisten glaubten, dass sie diese Erlaubnis ohne weiteres bekommen würden.

      Da läutete auf einmal die Schulglocke und brach unsere Unterredung ab. Der ganze Bubenschwarm stürmte auseinander und in die Schulzimmer zurück.

      Was mich betraf, so hätte ich gern alle diese lustigen, lebhaften Jungen nach dem schönen Island mitgenommen; jedoch ich war überzeugt, dass ihre Eltern keinem die Einwilligung zu einer so langen und gefährlichen Reise geben würden. —

      Darin irrte ich mich aber. Einer der Schüler, ein frischer, zwölfjähriger Junge aus Kopenhagen, der Sohn einer angesehenen Familie, brachte es fertig, dass er mitreisen durfte. Er hatte bei der Preisverteilung am Schluss des Schuljahres den ersten Preis in seiner Klasse erhalten, und zum Lohn dafür gaben ihm seine Eltern die so heiss begehrte Erlaubnis.


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