Vergiftete Hoffnung. Mara Pfeiffer

Vergiftete Hoffnung - Mara Pfeiffer


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seinem Baum im Friedwald zu fahren.

      „Jonas hatte auch kein eigenes Zimmer, Mama.“

      „Nein. Er hatte eine eigene Wohnung. Genau wie Hans.“

      „Hast du ein Zimmer in Hans’ Wohnung?“

      „Nein. Die ist dafür auch viel zu klein.“

      „Und unsere ist zu klein für ein Hans-Zimmer.“

      „Stimmt.“

      Luca zwirbelt mit den Haaren in seinen Locken. „Mama.“

      „Was denn, Cookie?“

      „Hättest du gerne eine andere Wohnung?“

      „Wie meinst du das?“

      „Eine für uns alle. Mit Hans?“

      „Hättest du das denn gerne?“

      Jo fährt auf den Stellplatz neben dem Tierheim und dreht sich zu ihrem Sohn um. Luca betrachtet angestrengt seine Nägel, von denen die dunkelgrüne Farbe schon fast vollständig abgeblättert ist. Sie macht eine weitere gedankliche Notiz, schwarzen Lack zu besorgen. Den hat er sich als nächstes gewünscht und sie weiß, der Zwerg wird sie an die alte Farbe nicht ranlassen, ohne, dass sie neue besorgt hat, die sie ihm anschließend aufträgt.

      „Ich mag Hans echt gerne, Mama.“

      Sie drückt ihrem Sohn die feuchte Hand. „Ich auch.“

      „Aber ist es okay, wenn ich keine andere Wohnung will? Auch, wenn Hans dann traurig ist?“

      Jo quetscht sich so gut es geht zwischen den Sitzlehnen hindurch, um Luca zu umarmen. „Natürlich ist das okay, Cookie.“

      Er schnieft.

      „Und Hans ist auch gar nicht traurig.“

      „Doch.“

      „Nein. Mach dir keine Sorgen.“

      „Aber er hat es mir gesagt.“

      Jos Herz setzt einen Schlag aus. Sie nimmt das Gesicht ihres Sohnes in beide Hände. „Was hat er gesagt?“

      „Dass er traurig ist, weil er nicht bei uns wohnen darf.“

      Zähneknirschen.

      „Als du weg warst.“

      „Cookie. Das war nicht in Ordnung von Hans.“

      „Du darfst nicht mit ihm schimpfen.“

      Etwas in Jos Brust explodiert.

      „Werde ich nicht, versprochen. Aber du darfst nicht mehr traurig sein, okay? Das ist ein Erwachsenenthema. Und Hans hätte nicht mit dir darüber sprechen dürfen. Ich rede mit ihm.“

      „Mama, bist du sauer?“

      „Auf keinen Fall.“

      So viele Lügen. Und so viel Wut. Als Jo mit Luca an der Hand auf das Tor der Tierhelfer zustapft, ist ihr ein bisschen schwindelig. Sie könnte Hans umbringen für das, was er getan hat. Wie kann er es wagen, ihren Sohn in diese Diskussion hineinzuziehen? Das ist astreine Erpressung. Sie muss unbedingt mit ihm reden.

      Als Jo die gusseiserne Klingel drückt, brummt ihr Handy. Sie zieht es ein Stück aus der Jackentasche, um aufs Display zu schauen. Es ist eine Nachricht von Adam. „Du fehlst.“

      Mist.

      Mist.

      Mist.

      Kapitel 7

      Die Leiterin des Tierheims kann sich noch an Jo erinnern und fragt nach Obama. Jo zeigt ihr Fotos, Luca kommentiert: Lieblingsplatz, Lieblingsessen, Lieblingsdecke. Der Katzenflügel ist gerade unter Quarantäne. Vor ein paar Tagen sind viele Tiere hier angekommen, die von irgendwelchen geldgeilen Arschgeigen in beengten Käfigen in einer viel zu kleinen Wohnung gehalten worden waren, um sie weiterzuverkaufen. Die meisten von ihnen in elendem Zustand. Jo erinnert sich daran, dass die Kollegin, die für Ingelheim in der Wochenkonferenz sitzt, davon erzählt hat. Nachbar*innen hatten sich wegen des üblen Geruchs aus der Wohnung beschwert. Die Polizei war angerückt und hatte das Lebendtierlager entdeckt. Insgesamt eine ziemlich miese Geschichte. Die armen Viecher.

      Kurz befürchtet Jo, nun unverrichteter Dinge wieder abfahren zu müssen, als die Leiterin ihnen anbietet, einen Wurf dreimonatiger Kitten anzuschauen. Weil die Neugeborenen im Tierheim in einem speziellen Bereich untergebracht sind, ist das Zimmer der Familie von der Quarantäne nicht betroffen. Eigentlich wollte Jo dem Sohn lieber die älteren Tiere zeigen. Nonna hat ihm extra erklärt, wie schwierig es für die ist, ein Zuhause zu finden, weil viele Leute lieber Babys adoptieren. Nun sitzt sie doch mit Luca inmitten einer Bande entzückender kleiner Plüschkätzchen in allen Farben und kann sich ungefähr vorstellen, wie das ausgehen wird.

      Sie beobachtet, wie Luca mit konzentriertem Gesichtsausdruck eine Babykatze nach der anderen in Spiele verwickelt. Die Fünf haben ganz unterschiedliche Farben und Muster. Besonders hat es Jo eines angetan, das bis auf die Pfötchen und einen Fleck am Bauch vollkommen schwarz ist. Es hat sich neben Luca eingerollt und schläft, den Kopf leicht an den Oberschenkel des Jungen gedrückt, während er mit einem Kitten nach dem anderen spielt, sie krault und streichelt. Nur das kleine schwarze scheint ihn so gar nicht zu interessieren. Plötzlich steht eine Mitarbeiterin des Tierheims in der Tür. Sie scheint überrascht, Jo und Luca hier zu sehen.

      „Hi, sorry. Ich muss Sie bitten, den Raum zu verlassen.“

      „Oh, okay. Machen Sie schon zu?“

      „Nein, aber wir haben beschlossen, wegen der Quarantäne mit der Familienfindung der Kleinen eine Woche früher anzufangen.“

      „Was meinen Sie?“

      „Wir geben die Kätzchen heute in die Vermittlung.“

      „Das heißt?“

      „Das heißt, wir lassen jetzt die Leute hier rein, die sich für eine Adoption interessieren. Draußen ist sogar schon eine Schlange, die Kleinen haben viele Fans, die sie in den letzten Wochen besucht haben. Und Sie wollten nur zum Spielen reinschauen, oder?“

      „Nein, wir möchten ein Kätzchen haben, gell Mama?“

      Jo zögert einen Moment. Sie war nicht darauf vorbereitet, dass sie darüber so schnell entscheiden muss.

      „Wollen Sie?“ Die Mitarbeiterin steht abwartend in der Tür. „Und wissen Sie auch schon, welches? Dann merke ich das auf der Tür vor, damit wir keine Dopplungen haben.“

      Luca setzt das Tier, mit dem er gerade gespielt hat, vorsichtig auf den Boden. Er tippt mit dem Finger zart auf den Kopf der kleinen schwarzen Katze, die sich neben ihm eingerollt hat. „Die da.“

      Zuhause schickt Jo ihren Sohn erstmal in die Wanne. Sie will in Ruhe das Interview mit René Adler runterschreiben und in die Redaktion schicken. Dafür ist sie ohnehin schon spät dran. Luca verschwindet ohne Murren im Badezimmer. Auf der Heimfahrt hat er nicht viel gesprochen, nur mit großer Ernsthaftigkeit das Papier in seinen Händen betrachtet. Nun liegt das Blatt neben Jo auf dem Schreibtisch und sie muss über Lucas krakelige Unterschrift neben ihrer eigenen grinsen. Er wollte den Vertrag, mit dem sie sich dazu verpflichten, das schwarze Kätzchen in zwei Wochen abzuholen, unbedingt mitunterzeichnen. „Sicher ist sicher“, hatte die Leiterin des Tierheims gescherzt und ihm zugenickt. Jo muss grinsen. Ihr Sohn schafft es sogar, die sonst oft eher brüsk auftretende Frau um den Finger zu wickeln. Von seiner Mutter ganz zu schweigen. Mit einem Seufzer streichelt sie Obama, der es sich auf ihrem Schoß gemütlich gemacht hat. „Hoffentlich bereue ich das nicht, Dicker. Und hoffentlich verstehst du dich mit der kleinen Maus.“

      Als Jo ihr Mailprogramm öffnet, um das fertige Interview an Dave zu schicken, beginnt ihr alter Laptop mächtig zu rödeln. Offenbar ist da Post mit viel Anhang in der Leitung. Das legt ihr fast das System lahm. Die Anzeige in der Taskleiste steht bei 53 Prozent. Vermutlich irgend so ein Werbeschwachsinn. Genervt rollt Jo weg vom Schreibtisch und rüber zum Sideboard, wo ihr Handy liegt.


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