Die Tote. Heinrich Mann

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      Heinrich Mann

      Die Tote

      Und andere Novellen

      Heinrich Mann

      Die Tote

      Und andere Novellen

      Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2021

       EV: O. C. Recht Verlag, München, 1921

       1. Auflage, ISBN 978-3-962818-43-2

      null-papier.de/712

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      Inhaltsverzeichnis

       Die Tote

       I.

       II.

       III.

       Der Bru­der

       Die Ver­jag­ten

      Dan­ke

      Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

      Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

      Ihr

       Jür­gen Schul­ze

Die Tote

      Als am Ende des Sees der Zug hielt, stieg Leo Cro­mer, ohne die Ge­dan­ken an die ge­hab­te Be­ra­tung ab­zu­bre­chen, aus, ging in dem Mond­licht um den Schup­pen her­um, der eine Bahn­hofs­hal­le be­deu­te­te, und be­trat den dunklen Baum­gang. Ein­mal er­hob er den Kopf; hin­ter den Stäm­men das Was­ser lag weiß wie Ge­we­be des Lichts, die Ufer schie­nen un­wirk­lich, die Stil­le ein Ge­schrei von Geis­tern … Dies war der dich­te­re Schat­ten sei­nes ei­ge­nen Grun­des, er stand und at­me­te die ver­bor­ge­ne Wär­me, das tie­fe Al­lein­sein. Da­hin­ten, zu Wol­ken ver­sil­ber­ten Lau­bes hin­ab, stieg die flim­mern­de Trep­pe sei­nes Hau­ses, die Va­sen ran­nen über von Licht, die Stu­fen her­nie­der ging es wie eine Schlep­pe. Sie ward be­wegt! Aus ih­ren Fal­ten neig­te sich ein Fuß! … »Was heißt das?« dach­te Cro­mer. »Jetzt habe ich also Ge­sich­te? Ich schei­ne nicht eben glück­lich zu sein – wenn ge­ra­de sie sich mir zeigt?« Er frag­te noch: »Wäre ich es denn zu­frie­den, dass sie, wie frü­her, wenn ich aus der Stadt heim­kam, bei dem Busch dort auf mich zu­trä­te? Bin ich schon alt und müde ge­nug, um bil­lig zu sein und mich zu be­schei­den? … Sie hat wohl ge­büßt«, sag­te er; aber er hob die Schul­tern. »Buße? Ein We­sen wie sie, stirbt aus Zorn, sei­ner Selb­st­ach­tung zu­lie­be, oder ein­fach um des gu­ten Ab­gangs wil­len. Nicht für mich ist sie ge­stor­ben! Ich habe ihr nicht zu dan­ken ge­habt. Ich habe nichts be­reut.«

      Auf der Ter­ras­se an­ge­langt, wen­de­te er sich noch­mals um; er sah auf­wärts und hin­ab, zu dem Gar­ten, der dun­kel duf­te­te, und in die brei­ten Ster­nen­strö­me des Au­gust­him­mels. »Wer schla­fen geht, ver­säumt viel, – aber auch, wer den­ken und han­deln geht … Un­serei­ner weiß dies von vor­mals; ganz er­fass­lich sind sol­che Näch­te nicht mehr für uns … Was für Ge­dan­ken üb­ri­gens bei je­mand, der ge­ra­des­wegs aus ei­ner Ver­samm­lung von Macht­men­schen kommt! Ich ken­ne mich längst, die Fra­gen sind er­le­digt, ich habe nichts ver­säumt, was mir ge­ge­ben war. Er­fol­ge: ich habe sie ge­kannt. Ich habe mit Men­schen über­ge­nug zu tun ge­habt, ich habe Frau­en und Män­ner er­obert und nie­der­ge­kämpft, habe vie­len die Spur mei­nes Da­seins auf­ge­drückt, die mich has­sen oder lie­ben muss­ten. Ich habe selbst ge­hasst, selbst ge­liebt.«

      Er zog sich ge­gen die Fassa­de zu­rück, in den Schat­ten ei­nes Pi­las­ters. »Wie dies al­les schal wird, so­bald man es sich rüh­men möch­te! Wie es zer­rinnt! Men­schen: habe ich denn mehr bei ih­nen er­fah­ren, als ein kraft­lo­ses und schmerz­li­ches an­ein­an­der Hinglei­ten? Das Le­ben ist ver­gan­gen wie eine Dis­kus­si­on im Klub; man hat ein­an­der amü­siert oder weh ge­tan, zum Schluss aber steht je­der auf, mit sei­ner Mei­nung. In Wahr­heit habe ich kei­nen Mann über­zeugt, kei­ne Frau ganz ge­won­nen, habe nie­mand je zu mir her­über­ge­bracht.«

      Angst­voll folg­te sein Blick der Bahn der Ster­ne, die her­ab­stürz­ten aus dem wim­meln­den Schein, und die, be­vor das Auge sie er­fass­te, schon im Dun­kel wa­ren. »Die Men­schen hal­ten ein­an­der nicht. Ich habe Lida nicht ge­hal­ten. Wo­her der bit­te­re Geist, der See­len neh­men will und doch nicht an sie glaubt! Ich habe lie­ber ver­wor­fen als stand­ge­hal­ten, und bes­se­re Au­gen für den Ver­rat ge­habt als für die Hin­ga­be. Lida we­nigs­tens ist mir die Ant­wort nicht schul­dig ge­blie­ben, die To­ten ha­ben das letz­te Wort. Da ste­he ich nun …«

      Und er dach­te an die längst Ver­gan­ge­ne, so nahe, als trie­be der Geis­ter­strom des Mond­lichts, in das er hin­aus­starr­te, ihn bis zu dem Ufer, wo ihr Schat­ten war­te­te. Sie war das glän­zen­de Glück sei­ner ers­ten rei­fen Jah­re ge­we­sen. Er hat­te Er­fol­ge ge­habt, die be­kannt wur­den; die­se Lie­be, die er ent­ge­gen­nahm, trug zum ers­ten Mal Zei­chen von Tri­but und Lohn. Aber auch er hul­dig­te ih­rer welt­li­chen Gel­tung, dem Reich­tum an Be­wun­de­rung, dem die schö­ne Schau­spie­le­rin ge­bot. Sie lieb­ten ein­an­der, wie Geist und Sin­ne den Voll­be­sitz des Le­bens lie­ben. Ihre Be­zie­hun­gen wa­ren un­sen­ti­men­tal und dar­um ge­fähr­det bei je­dem Ver­sa­gen. Mo­na­te lang ge­trennt durch ihre Gast­spie­le und sei­ne po­li­ti­schen oder Ge­schäfts­rei­sen, er­war­te­ten sie ein­an­der im­mer nur auf der Höhe und den Er­eig­nis­sen über­le­gen. Pro­ble­me? Je­der von ih­nen hat­te sie bei an­de­ren ab­tun kön­nen; zwi­schen ih­nen bei­den la­gen kei­ne, sie hät­ten sonst, an­statt ihre Hei­rat zu er­wä­gen, einen ra­schen Strich ge­zo­gen. Wa­rum nur, bei sol­chem Ein­ver­ständ­nis, die un­ver­mit­tel­te Be­fan­gen­heit seit ih­rem letz­ten Gast­spiel, das Erzwun­ge­ne je­nes Brie­fes, und als sie zu­rück­kam, das un­kla­re We­sen? Er glaub­te an Mis­ser­folg, Krank­heit, Geld­ver­lus­te, nur nicht an das, was dann in der Ab­schieds­sze­ne wund und ver­wor­ren end­lich aus ihr her­vor­kam, weil er es her­vor­zerr­te. Sie hat­te ihn be­tro­gen. Wozu be­tro­gen? Sie war frei, war stolz, nichts nö­tig­te sie, zu be­rech­nen und zu lü­gen. Sie war vor ihm zu­sam­men­ge­bro­chen und wein­te – und er emp­fand, was er mit ihr, mit ihr nie hät­te emp­fin­den dür­fen, Mit­leid, ein ver­ach­tungs­vol­les Mit­leid. Er dreh­te ihr den Rücken. Gleich nach­dem er ihre Woh­nung ver­las­sen hat­te, ge­sch­ah das Un­glück.

      Ein ge­wöhn­li­cher Un­glücks­fall. Die Frau, die nun nicht mehr da war, hat­te sich selbst ver­lo­ren, be­vor er sie ver­lor. Ihr Ende war äu­ßer­lich, schat­ten­haft; ihn, der als Freund ei­ner be­lieb­ten Künst­le­rin an ih­rem Sar­ge re­prä­sen­tier­te, ging es noch we­ni­ger an als die an­de­ren. Was ihm üb­rig blieb, war Bit­ter­keit, Zorn und eine Ver­meh­rung sei­ner Zwei­fel am Le­ben selbst. Man konn­te noch ge­win­nen, man konn­te nicht mehr glau­ben, zu be­sit­zen … Den­noch hat­te er wie­der ge­liebt, Zwi­schen­fäl­le, die auch schon da­hin wa­ren. »Eben­so gut könn­te ich der oder je­ner ge­den­ken, warum ih­rer? Ist es, weil sie ster­ben muss­te, und weil sol­che süße und wei­ße Nacht wer­ben möch­te für den Tod? Es ist wahr, sie kam als Letz­te, be­vor ich al­ter­te. Aber noch jetzt bin ich weit von fünf­zig.«

      Er trat in das Haus; es schi­en ihm er­füllt von ei­nem Duft, wie wenn das Mond­licht ge­duf­tet hät­te. Durch das of­fe­ne Fens­ter sei­nes Zim­mers fiel es auf die Wand, scharf ab­ge­grenzt und weiß wie ein Spie­gel. Er ging im Dun­keln zu Bett, such­te aber nicht ein­zu­schla­fen. Es schi­en


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