Wo der Wind weht. Frederik Hetmann

Wo der Wind weht - Frederik Hetmann


Скачать книгу
sie einmal sein Blut geleckt haben, ganz scharf auf ihn. Und Kapitän Santos fuhr weiter zur See!

      Des Käpt'ns Schiff, der Trawler Hetty Kay, lag zehn Meilen vor Race, als der Portlandsturm einsetzte. Das war am 27. November. Am 28. lief der Kahn dann endlich wieder in den Hafen ein und machte, wenn auch stark beschädigt, an der Mole fest. Die Mannschaft wusste nur zu berichten, dass der Kapitän und zwei andere Männer über Bord gespült worden seien.

      Die Leichen der beiden Matrosen wurden später an Land gespült. Der Kapitän aber blieb verschwunden. Hingegen fand Joe Barcia einige Tage später das Holzbein des Kapitäns am Strand und gab es der Witwe, Mary Santos. Die beiden waren dreißig Jahre verheiratet gewesen und als Joe Barcia der Frau das Bein gab, streichelte sie es und sprach zu ihm wie zu einem Menschen. Nichts geschah, bis zu jener Nacht vom 26. November, ein Jahr später. Um Mitternacht wird Mary plötzlich wach. Und wer steht da vor ihr in voller Lebensgröße? Niemand anders als ihr Mann, der Kapitän. Er setzt sich auf die Bettkante, beugt sich vor und flüstert ihr etwas ins Ohr.

      »Das Barometer fällt, Mary«, sagt er, »der Wind dreht auf Nordost. Wir sind reingekommen, weil es Nebel gegeben hat. Ich komme mir nur eben mein Holzbein holen. Werd's brauchen können bei der rauen See heute Nacht, wenn wir wieder auslaufen.«

      Als sie wieder hinschaut, ist der Kapitän verschwunden. Am nächsten Morgen, so erzählt Mary, hatte sie einen Fleck auf der Wange.

      Eine Täuschung war es also nicht gewesen.

      Ehe sie sich an diesem Abend schlafen legte, nahm sie das Holzbein ihres Mannes, das sie im Gewürzschrank verwahrte, und stellte es in eine Ecke des Wohnzimmers nahe dem Kamin.

      In der Nacht kam, wie vorhergesagt, eine Brise auf, und nach einigen Stunden blies da schon der schönste Sturm aus Nordost. Die Weidenbäume vor dem Fenster heulten, als säßen dort die Seelen der armen Matrosen, die in der Hölle unten durch das große Feuer müssen. Ganz plötzlich hörte Mary ein Tappen unten im Wohnzimmer, und eine Tür fiel zu.

      Sie blieb im Bett.

      Erst am nächsten Morgen ging sie nachsehen, ob das Holzbein des Kapitäns noch an seinem Platz sei. Es war da. Aber als sie es aufnahm, spürte sie, dass es feucht war. Nun hatte es freilich in dieser Nacht so stark geregnet, dass Wasser durch den Kamin hereingekommen sein mochte. Aber ihre Beobachtung beschäftigte sie dennoch so sehr, dass sie krank wurde und den Arzt kommen ließ. Der Doktor untersuchte sie und meinte, sie sei gesund. Ob sie sich vielleicht erschreckt habe? Da erzählte sie ihm die ganze Geschichte. Der Arzt holte das Holzbein herbei und meinte: »Meine liebe Mrs. Santos, hören Sie auf einen guten Rat, und geben Sie dieses verdammte Holzbein einem Matrosen mit. Er soll es mit auf See nehmen, mit Blei beschweren und dann draußen irgendwo versenken.«

      »Ja«, sagte Mary, »das will ich gern tun. Aber Sie müssen nicht meinen, dass ich Ihnen hier Märchen erzählt habe. Ich habe nämlich am Holz geleckt, heute früh. Es schmeckt salzig. Und schließlich regnet es doch kein Salzwasser!«

       The Dying British Sergeant

      Der arme englische Soldat, dessen trauriges Ende hier besungen wird, soll gewiss seinen Kameraden als abschreckendes Beispiel dienen. Das Lied will klarmachen: Briten, in Nordamerika kämpft ihr für die falsche Sache! Zwischen den Zeilen steht die Aufforderung, ins Heer der um ihre Unabhängigkeit kämpfenden Amerikaner überzulaufen. Wir haben also mit dieser Ballade ein Stück politischer Propaganda aus dem Amerikanischen Revolutionskrieg vor uns.

      Darüber hinaus ist die Ballade mit der Anfangsformel: »Mal herhören, gute Leute…!« typisch dafür, dass Lieder zu dieser Zeit nicht selten auch der Verbreitung von Neuigkeiten und Nachrichten dienten.

Foto Foto

      Come all you good people, where-e'er you be

      Who walk on the land or sail by the sea,

      Come listen to the words of a dyin' man,

      I think you will remember them.

      'Twas in October, the eighteenth day,

      Our ship set sail for Amerikay,

      The drums and the trumpets loud did sound,

      And then to Boston we were bound.

      And when to Boston we did come

      We thought by the aid of our British guns

      To make them Yankees own our King,

      And daily tribute to him bring.

      But to our sad and sore surprise

      We saw men like grasshoppers rise,

      »Freedom or death« was all their cry,

      Indeed, they were not feared to die.

      When I received my deathly wound

      I bid farewell to England's ground,

      My wife and children shall mourn for me

      Whilst I lie dead in Amerikee.

       Mal herhören, gute Leute, wo immer ihr seid,

       die ihr in dieses Land hereinmarschiert oder segelt übers Meer.

       Hört einem sterbenden Mann zu.

       Ihr werdet an seine letzten Worte noch lange denken.

       Es war im Oktober, am 18. Tag,

       als unser Schiff nach Amerika segelte.

       Laut tönten Trompeten und Trommeln.

       Nach Boston waren wir unterwegs.

       Als wir nun in Boston ankamen,

       gedachten wir mit Hilfe der britischen Waffen

       die Yankees dazu zu zwingen,

       dem König ihren täglichen Tribut zu entrichten.

       Aber mit traurigem und schmerzlichem Erstaunen

       sahen wir überall Männer so zahlreich wie die Heuschrecken.

       Freiheit oder Tod riefen sie.

       Und wahrlich, sie fürchteten sich nicht zu sterben.

       Als ich meine Todeswunde empfing,

       sagte ich der englischen Erde für immer adieu.

       eine Frau und meine Kinder werden um mich trauern,

       während ich tot in Amerika liege.

       Amerikas erste Lügengeschichte

      Nachstehende Lügengeschichte findet sich in dem von Benjamin Franklin 1733 herausgegebenen Almanach Poor Richard (Armer Richard), der neben Angaben über das Wetter, die Mondphasen, die Länge der Tage und Nächte, den Daten der Messen, Märkte und Gerichtstage eben auch diese vielleicht erste amerikanische Tall-Tale enthält, also eine Geschichte, die von großen wunderbaren Dingen erzählt.

      Die Schwänze der Schafe in Amerika tragen so viel Wolle, dass ein jedes einen kleinen Wagen mit vier Rädern hinten angebunden hat, um so zu verhindern, dass die Schwänze auf dem Boden schleifen.

      Schellfische, die von ihren Feinden angegriffen werden, flüchten sich in Gewässer, in denen sie sich am sichersten wähnen. Walfische, die es sich in den Kopf gesetzt haben, Schellfisch zu fressen, verfolgen diesen überallhin, und der große Sprung des Walfisches auf einer solchen


Скачать книгу