Wo der Wind weht. Frederik Hetmann

Wo der Wind weht - Frederik Hetmann


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sein letztes Stündlein habe geschlagen.

      Allen Seeleuten kam das vor wie der Todesstreich. Das Schiff stand stockstill, den Bug unter Wasser. Es schien sich in die See bohren zu wollen. Meine zwei Kameraden und ich lagen auf unserer Plattform, bestürzt wie alle. Wir nahmen rasch Abschied voneinander. Ein Schreckensschrei lief durch das ganze Schiff, während Maat Putts, als er sah, dass das Wasser von Deck abfloss, alle Mann an die Pumpen rief. Dies schien uns wie ein Blitzschlag vor dem Sterben, aber es gab mir Gelegenheit, da ich mich noch am besten von uns allen auf den Beinen halten konnte, zu ergründen, was eigentlich vor sich gegangen war. Wir hatten unser Vorderdeck verloren, mit sechs Kanonen, unseren Ankern (allen außer einem, der an einer

      Trosse festgemacht war), und auch unsere beiden Köche, von denen einer durch einen seltsamen Zufall wieder auftauchte.

      Das große Loch, das so entstanden war, ließ einen Weg in den Laderaum frei, durch den Wasser eindringen musste, sobald der nächste Brecher kam. Es war ein günstiger Zufall, dass unter den Passagieren Zimmerleute waren, die sich bei diesem Unglück als sehr hilfreich erwiesen.

      Sofort hatten sie eine leichte Plattform aus Bohlen angebracht, an der bei unserem augenblicklichen Kurs die Wellen abprallten. Jeden Moment aber konnte der zunehmende Sturm neue Arbeiten nötig werden lassen. Das Bugspriet war topplastig; da es keine Haltung und keine Takelage mehr hatte, die es gerade hielten, schwankte es hin und her und schlug so heftig gegen den Bug, dass gar nichts anderes übrigblieb, als es abzuhauen.

      Alles war in fürchterlicher Unordnung und es war nur zu deutlich, dass die Gefahr noch zunahm. Die Verankerungen von allen Masten waren fort. Die Haltetaue, die noch geblieben waren, hingen locker und waren nutzlos. Es war leicht vorherzusehen, dass auch der Hauptmast bald herunterstürzen würde. Tom Reasin, immer bereit, sich der Gefahr auszusetzen, rannte mit einer Axt in der Hand hin, um den Hauptmast zu entlasten. Aber die Gefahr, in die er dabei geraten musste, war offensichtlich. Also rief man ihn wieder herunter. Kaum hatte er seinen Fuß wieder aufs Deck gesetzt, als das Unglück eintrat, Haupt- und Toppmast kamen zusammen herunter. Glücklicherweise fielen sie auf die dem Wind zugewandte Seite glatt in die See, ohne jemanden zu verletzen.

      Unser Hauptmast, der breitseits gefallen war, bereitete uns im Wasser mehr Kummer als in seiner eigentlichen Lage. Die Verankerungen und die Takelage hatten sich nicht gelockert. Sie hielten, und so wurde der Mast zu einem Rammbock, der gegen die Schiffswand hämmerte und dort bestimmt ein Leck geschlagen hätte, wenn es nicht gelungen wäre, mit Äxten die Verbindung zu kappen.

      Der wütenden See ausgesetzt, hin- und hergeworfen, da nun keine Takelage mehr das Schiff gerade hielt, fielen häufig Matrosen über Bord, ohne dass sich einer darum kümmern konnte, wenn er sah, wie der andere fortgerissen wurde … Nur der Besanmast stand noch, und damit hofften wir unser Schiff wieder auf den gewünschten Kurs zu bringen. Vorerst aber jagte es uns nach Osten. So verbrachten wir den 10. und 11. Dezember. Am Morgen des 12. begegneten wir einem englischen Kauffahrer, der seine Insignien zeigte und nicht mit uns sprechen wollte, obwohl der Sturm nachgelassen hatte und das Wetter für eine Verständigung längst nicht mehr so schwierig war. Wir sagten uns, der Grund liege wohl darin, dass er sich nicht zwingen lassen wollte. Er hielt unseren Zustand wohl für hoffnungslos, aber wir hatten mehr Kanonen, als ihm lieb sein konnte, und er fürchtete wohl, wir könnten uns einfach nehmen, was er nicht verkaufen oder geben wolle. Er schoss eine Kanone leeseits ab, blieb auf seinem Kurs, und bald verschwand sein Heck.

      Der Sturm weht immer noch so schwer, die Seeleute sind immer noch so erschöpft, dass vorerst nicht daran zu denken ist, das Schiff wieder nach Westen zu wenden. Die Lebensmittel an Bord werden so knapp, dass die Passagiere und die Besatzung damit beginnen, die Ratten zu verspeisen, die mit an Bord sind. Mit der Zeit wird auf dem Schiff eine ausgewachsene Ratte mit 16 Schilling gehandelt. Eine hochschwangere Frau bietet für ein Tier sogar 20 Schilling, aber der glückliche Besitzer gibt sie nicht her, und die Frau stirbt.

      Zurück konnten wir nicht. Vorwärts, wie wir es gewünscht hätten, ging es auch nicht. Infolgedessen mussten wir einen Mittelweg einschlagen. Wir mussten versuchen, Segel zu setzen und irgendwo die Küste von Neu-England zu erreichen. Die Fahrt mit dem schwer beschädigten Schiff dauerte bis zum 3. Januar. Am 4. kam Land in Sicht. Die genaue geographische Lage konnten wir nicht bestimmen, weil der Offizier, dem diese Aufgabe übertragen worden war, sich in den letzten Tagen dieser Mühe nicht mehr unterzogen hatte.

      Der Abend war klar und ruhig, das Wasser unbewegt. Das Land mochte dort, wo es uns am nächsten war, sechs oder sieben Meilen entfernt sein. Das Lot zeigte 25 Faden. Ein guter Platz, um Anker zu werfen. Alles schien dazu einzuladen, an Land zu gehen. Aber ein alter Offizier, der die Proviantbestände verwaltete, sofern da überhaupt noch etwas zu verwalten war, wollte sich auf keinen Fall auf den einzigen Anker verlassen, von dem wir seiner Meinung nach für unsere Rettung abhängig waren. Sein Argument klang einleuchtend.

      Kam ein Sturm auf und musste man die Ankerleinen kappen, dann war dieses wichtige Gerät verloren. Andererseits war das Kabel, das wir als einziges noch besaßen, zu kurz, um im Ozean zu ankern. Und schließlich war da auch an die erschöpfte Schiffsmannschaft zu denken, von der viele umgekommen oder über Bord gefallen waren, und an die Passagiere, die – durch Hunger geschwächt und dem Tod nahe – über Tage hin an Deck oder an den Pumpen ausgeharrt hatten. Sie waren zu schwerer Arbeit am Ankerspill kaum noch fähig.

      Gegen die Argumente des alten Mannes sprach der zusammengeschmolzene Vorrat an Zwieback, der kaum noch eine Woche reichen würde, und die Gewissheit, dass wir vor Hunger umkommen würden, sollte uns ein Nordweststurm noch einmal auf den Ozean hinaustragen.

      Außerdem war es sehr unwahrscheinlich, dass wir einen ordentlichen Hafen finden würden und dort mit unserem Schiff einlaufen konnten.

      Diese Gründe gaben schließlich den Ausschlag. Und als der Anker ausgeworfen war, erhielt Maat Putts den Befehl zu einer ersten Erkundungsreise an Land. Er nahm zwölf kranke Passagiere mit, die hofften, mit festem Boden unter den Füßen werde sich ihr Zustand bessern. Auch Major Morris fuhr mit. Je nachdem, wie es an Land sein würde, wollten wir entweder in unserem traurigen Zustand die Seereise fortsetzen oder landen, unser Schiff entladen und unser Glück unter den Indianern versuchen.

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      Nach vier oder fünf Stunden sahen wir, dass das Boot zurückkam, und zwar mit Maat Putts allein. Wir nahmen das als ein Zeichen dafür, dass er gute Nachricht bringen werde.

      Als er an Bord kam, hatte er tatsächlich nur Gutes zu berichten, nämlich dass er eine Flussmündung entdeckt hatte, in der wir mit unserem Schiff würden ankern können, und dass das Wasser an der Barre tief genug sei, um mit dem Schiff durchzukommen, sobald man es etwas geleichtert habe.

      Auch gab es ausgezeichnetes Trinkwasser, wovon mir Major Morris eine Flasche mitschickte. Und dann sollte es an der Küste nur so von Vögeln wimmeln. Morris war schon an Land geblieben und erwartete, dass die gesamte Schiffsbesatzung ihm folgen werde. Ich hatte meine Ohren weit aufgesperrt und setzte mich nun für den Plan, zu landen, mit aller Rednergabe ein, die mir zu Gebote stand.

      Der Kapitän war auch dafür, hoffte er doch, so das Leben jener Passagiere, die bis dahin alles gut überstanden hatten, zu retten.

      Da er sich aber in einer so wichtigen Sache nicht ganz allein auf Maat Putts' Urteil verlassen wollte, bestieg er zusammen mit einem Verwandten und mir und mit einigen anderen nun selbst die Jolle.

      Die Seeleute waren froh, dass ich ihnen half, das Boot an die Küste zu rudern. Meine Hände hatten dicke Schwielen bekommen von der Arbeit an den Pumpen, wo ich jeden Tag drei Stunden mitgeholfen hatte.

      Mein leidenschaftlicher Wunsch, an Land zu kommen und aus der Quelle trinken zu können, trieben mich an. Über die sieben Meilen hin zu rudern bereitete mir weiter gar keine Schwierigkeit. Es wurde mir leichter, als mir daheim manche Fahrt von einem Themseufer zum anderen geworden war.

      Während unserer Überfahrt zur Küste waren wir froh, in der fallenden Dunkelheit die Feuer unserer Freunde an Land zu sehen. Sie dienten uns nicht nur als Leuchtturm, sondern gaben uns auch die Gewissheit, dass wir uns dort würden aufwärmen können, denn es war


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