Der Scheich. Wolfgang Kemp

Der Scheich - Wolfgang Kemp


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      Reihe zu Klampen Essay

       Herausgegeben von

       Anne Hamilton

      Wolfgang Kemp,

       geboren 1946, war Professor

       für Kunstgeschichte in Kassel, Marburg und Hamburg. Seit seiner Emeritierung lehrt er an der Leuphana Universität Lüneburg. Gastprofessuren führten ihn u. a. an die Harvard University, ans Wissenschaftskolleg Berlin und ans Getty Research Center in Los Angeles. Er hat zahlreiche Publikationen zur Kunstgeschichte, Architektur und Fotografie vorgelegt und schreibt regelmäßig für deutsche Zeitungen und Zeitschriften. Zuletzt sind von ihm erschienen: »Der explizite Betrachter. Zur Rezeption zeitgenössischer Kunst« (2015) und bei zu Klampen: »Der Oligarch« (2016).

      WOLFGANG KEMP

       Der Scheich

      zu Klampen

Essay

       Inhalt

       Cover

       Titel

       Impressum

       »What’s in a name?«

       Halloween in Dschidda

       Zurück in die »Public Library of US Diplomacy«: Botschafter Fowlers Depesche an sich selbst

       Der Scheich, der erste Rentner seines Staates

       Ausnahmescheichs

       The Place We Call Qatar

       »What’s in a name?«

      DIE Personen in diesem Buch haben sehr lange Namen, sogenannte Kettennamen (nasab). Sie können heißen:

       Turki bin Bandar bin Mohammed bin Abdurahman Al Saud

      oder

       Saud bin Saif al-Nasr bin Saud bin Abdulaziz Al Saud

      oder

       Sultan bin Turki bin Abdulaziz Al Saud

      oder

       Turki bin Saud al-Kabir Al Saud

      oder, ein Frauenname,

       Mishaal bint Fahd bin Mohammed Al Saud

      Ein Kettenname dokumentiert die patrilineare Abstammung seines Trägers: Turki Sohn des Bandar Sohn des Mohammed Sohn des Abdurahman aus dem Haus Saud, dem Herrscherhaus Saudi-Arabiens. In Abstammung ist das entscheidende Wort enthalten: Es geht um die Namensgebung in einer Stammesgesellschaft. Nasab bedeutet deswegen auch Blutlinie eines Stammes. Mit Stamm assoziiert man, wenn es um die arabische Welt geht, fast automatisch die Beduinen. Das ist richtig und falsch zugleich. Falsch ist es, weil z. B. der Clan der Saud in der beduinischen Gegenwelt der hadar, der Sesshaften, groß wurde, in den festen Siedlungen meist entlang der Küsten.1 Schon im 14. Jahrhundert hatte der Philosoph Ibn Khaldun seine Zivilisation auf die kulturgeographischen Unterschiede von badawa und hadara zurückgeführt, von Wüste und Weide und von Siedlungsland. Er wusste auch schon, wie man sich die sozialen Folgen der verschiedenen »Erdungen« vorzustellen hat: Unter den sehr viel härteren Herausforderungen, welche Wüste und Nomadentum bedeuten, sei die Stammesbindung (asabiyyah) viel stärker ausgebildet als bei den hadar, die schon durch den Handel und die Nähe zum Meer eine ganz andere Außenorientierung hatten.

      Bis heute spaltet der Gegensatz die Gesellschaften der arabischen Halbinsel, und jedem Araber, jeder Araberin am Golf ist eingeschrieben, dass sie diese Zivilisationsgrenze nur unter Sanktionen überschreiten dürfen. Ob man von beduinischer oder von hadarischer Abstammung ist, das weiß jeder / jede als erstes, und als zweites hat man den Rang seines Stammes verinnerlicht und welche Folgen daraus für eine stammesgemäße Heirat erwachsen. Studentinnen, 2008 in Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten befragt, wussten bis zu acht ranggleiche Stämme zu benennen, mit denen eine eheliche Verbindung in Frage kam. Asula, die Reinheit und Echtheit der Abstammungslinie, gilt es gegen alle Versuchungen der neuen Zeit zu bewahren. Die Studentinnen sahen das nicht als gravierende Einschränkung und Vorbestimmung, sondern als Garantie ihres sozialen und materiellen Überlebens, ja, sie fanden, sehr zur Überraschung ihrer Professorin aus dem Westen, das Konzept »Stamm« an sich »cool« und markierten damit den größten Unterschied zu den Nah-Ost-Studien, denen diese Größe eher peinlich geworden ist, so dass in den großen deutschen Enzyklopädien und Lexika zur Welt des Islam der Begriff nicht mehr vorkommt – das mag eine deutsche Vorsichtsmaßnahme sein. In der »New Cambridge History of Islam« (2010) verweist der Index beim Stichwort »tribes« auf eine einzige Seite, auf der die Bedeutung dieses Aspekts schlicht geleugnet wird.2

      Zurück zur Familie Saud, aus deren Rängen wir eingangs fünf Angehörige mit Namen aufgerufen haben. Die wichtigsten historischen Gestalten des Hauses bekämpften die Nomaden und ihre Kultur. Wenn aber im Zusammenhang mit diesem dominanten Stamm der Halbinsel die Assoziation Beduinen nicht zu tilgen ist, dann liegt das daran, dass die Kultur der hadar kein Leitbild hervorgebracht hat und dass es sehr viel ehrenvoller war und ist, wenn man sich in eine beduinische Genealogie einschreibt. Solange Ibn Saud, der Führer eines sesshaften Clans, mit seinen blutrünstigen Ikhwan-Kriegern die arabische Halbinsel sich untertan machte, sollten die Al Saud auf eine beduinische Abstammungslinie zurückgehen. Ibn Saud erschien somit als der oberste aller Beduinen. Später, nach der Gründung des Staates, wurde die Filiation aus einem sesshaften Stamm gepflegt, um ein Zeichen für Solidität und Staatenbildung zu setzen.3 Aber aus der Kultur der Sesshaften ließ sich wie gesagt kein symbolisches Kapital schöpfen. Die »erfundene Tradition« der Ölstaaten beruft sich auf die Beduinen. Zu ihnen werden die Söhne des Hauses Saud eine Zeitlang zur Ausbildung geschickt. Falken, Kamele und edle Pferde sind die Symboltiere des Nahen Ostens geblieben, und es werden vor einem Millionen-Fernsehpublikum enorm populäre Lyrikwettbewerbe ausgetragen, die sprachlich und gattungsmäßig an die beduinische Tradition anschließen.

      Es gibt weiterhin beduinische, überwiegend sesshaft gewordene Stämme, aber deren gewissermaßen bildhafte Repräsentanz des Ganzen spiegelt sich in ihrem Status nicht wider.4 Die Männer sind meist nicht im thawb, der traditionellen Männertracht, sondern in der modernen Funktionskleidung der Sicherheitskräfte zu sehen. Schon bei den Kolonialherren dienten die Stämme als Ordnungshüter; heute stellen sie das Personal der Nationalgarden und Sicherheitsdienste, ohne jedoch in Spitzenpositionen aufzusteigen. In Kuwait existieren am Rande der Gesellschaft etwa 100 000 sogenannte Bidun, das sind zwar ehemalige Beduinen, doch bedeutet Bidun etwas anderes, nämlich Staatenlose, Outcasts. Es sind Nomaden, die es nicht geschafft haben, sich als Staatsbürger des Emirats registrieren zu lassen, als Kuwait 1961 unabhängig wurde. In die berüchtigten ashwayyat oder Slums eingepfercht lebend, ohne Pass, bürgerliche Rechte, Sozialhilfe und Zugang zu Schulen, bilden sie eine Klasse von Ausgegrenzten, die zudem den Nachteil haben, dass sie in ihrer Mehrheit der Shia, also dem Schiitentum, angehören und damit, kämen sie in den Genuss der Staatsbürgerschaft, das Gleichgewicht der Religionen im Staat verändern würden. Soviel erst einmal zur Hochschätzung des Beduinentums im Nahen Osten. Man könnte sagen, die Beduinen haben in der Geschichte verloren, in der Kulturgeschichte gesiegt.


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