Wer braucht ein Herz, wenn es gebrochen werden kann. Alex Wheatle

Wer braucht ein Herz, wenn es gebrochen werden kann - Alex Wheatle


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würde ich sie eben die beleidigte Leberwurst spielen lassen.

      Ich ging in die Küche. Die Schüssel mit dem Wasser und der Kratzschwamm vom Vorabend lagen noch auf dem Boden. Die Cornflakes-Packung war leer und der Brotkasten genauso. In der Keksdose fand ich nur noch Krümel. Keine Eier im Kühlschrank. Ich beschloss, die Schokomousse zu frühstücken. Verdammt, war die gut. Hinterher trank ich Wasser. Im Bad musste ich meine ganze Kraft aufbieten, um noch was aus der Zahnpasta rauszukriegen, damit ich mir meine Backenzähne schrubben konnte. Ich starrte mich im Spiegel an. Shevray war hübscher als ich – und verfügte ganz eindeutig über die dickeren Titten und die geschmeidigeren Oberschenkel.

      Ich ging in die Schule. Wieder machte ich kurz vor Sams Tür halt, überlegte es mir aber auch dieses Mal anders.

      Ausnahmsweise kam ich nicht zu spät, aber Mr Holman entdeckte mich trotzdem, als ich an der Anmeldung vorbeiflitzte. Er lächelte mich an, weshalb ich es unhöflich gefunden hätte, einfach davonzuflutschen, und kam auf mich zu.

      »Maureen«, sagte er. »Freut mich, dass du heute pünktlich bist.«

      »Soll das witzig sein? Lassen Sie’s lieber, steht Ihnen nicht.«

      »Ich wollte dich nur informieren.«

      »Worüber? Beeilen Sie sich, ich hab IT.«

      »Die Schule hat entschieden, einen Therapeuten einzustellen.«

      »Und?«

      »Wir Lehrer sind nicht dafür ausgebildet, uns der Probleme anzunehmen, mit denen die Schüler teilweise zu kämpfen haben. Ende der Woche geht ein Rundschreiben raus.«

      »Denken Sie, ich bräuchte einen Therapeuten?«

      »Das… das hab ich nicht gesagt.«

      Holman wirkte nervös, sah aus wie irre. Ich ließ ihn weiter Läuse fangen und verzog mich in die erste Stunde.

      In Anbetracht meines Dramas, musste ich mich echt für meine Leistungen in der Schule loben. Mein Französisch wurde immer besser – Mon Français est tres bon! – und Elaine und ich halfen uns gegenseitig bei den IT-Aufgaben.

      Mum hatte mir fünf SMS geschickt, um mir zu sagen, dass ich nach der Schule direkt nach Hause kommen sollte, aber ich ignorierte sie – wenn sie auf beleidigt machen und mich anschweigen konnte, dann konnte ich den Spieß auch umdrehen.

      Elaine musste online was für Englisch nachgucken, also gingen Naomi und ich mit ihr in die South Crong Bibliothek. Im Foyer hingen lauter Plakate mit RETTET UNSERE BIBLIOTHEK. Flyer lagen auf dem ganzen Tresen verstreut. Wir ließen uns als Online-Nutzer registrieren und begegneten Linval Thompson auf dem Weg in den Computerraum. Ich hatte ihn schon öfter mit seinem Angebergang voll eingebildet durch die Gegend schleichen, Wodka trinken und Joints rauchen sehen. Früher war er auf unserer Schule gewesen. Echt komisch, ihn jetzt hier mit einem Buch zu sehen. Einem für Unternehmensgründer.

      »Naomi!«, rief er. »Wieso hast du mich nicht angerufen? Hörst du deine Mailbox nicht ab? Hab auf deinen Anruf gewartet!«

      Linval trug eine teure Marken-Trainingshose, Marken-Sneaker und eine riesige Daunenjacke, die sämtlichen Titanic-Passagieren als Rettungsboot hätte dienen können. Ein blaues Tuch bedeckte die Hälfte seines kahlen Schädels.

      Naomi wurde rot, während Elaine die Arme verschränkte und abfällig die Oberlippe hochzog. »Sie hat kein Interesse«, erklärte Elaine. »Du kannst dich also verziehen und deinen Körpergeruch in einem anderen Postleitzahlenbezirk verbreiten – wir müssen lernen.«

      »Elaine, was hab ich dir eigentlich getan, dass du mir ständig die Tour vermasseln musst?«, fragte er.

      »Die Frage ist eher, mit wem du sonst abhängst«, entgegnete Elaine.

      Ich konnte nicht anders als kichern, und Naomi fiel ein. Linval machte jetzt eine ernste Miene.

      »Wieso muss du ständig die Brüder dissen, mit denen ich rumziehe?«, wollte er wissen. »Das ist meine Familie. Die halten zu mir. Weißt du, dass neulich einer von meinen Kumpels abgestochen wurde?«

      »Hab’s gehört«, sagte Elaine. »Ist tragisch, aber ich disse die Brüder, mit denen du rumziehst, weil sie garantiert dealen, andere einschüchtern und alle möglichen krummen Touren durchziehen. Wenn du bei dem Spiel mitmachst, wird’s böse enden.«

      Ich merkte, wie Linval allmählich die Hutschnur platzte. »Irgendwann schlag ich dir noch mal deine dreiste Klappe aus der Fresse!«, drohte er.

      »Dann schlagt ihr also außerdem auch noch Mädchen, du und deine Crew?«, erwiderte Elaine. »Wollt ihr einen Orden dafür?«

      »Elaine! Elaine!«, schaltete sich Naomi ein. »Schon okay.«

      Elaine unterstrich ein letztes Mal ihre Abneigung gegenüber Linval, indem sie noch einmal abfällig die Oberlippe hochzog.

      »Wie du siehst, bin ich noch auf der Schule«, sagte Naomi und zeigte auf ihren Blazer. »Glaubst du’s mir jetzt? Wie alt bist du? Zwanzig? Zweiundzwanzig? Du bist zu alt für …«

      »Neunzehn«, fiel Linval ihr ins Wort. »Johnny Depp ist mit einer zusammen, die fünfundzwanzig Jahre jünger ist, also alles wunderbar in Ordnung mit uns – wir könnten lässig Arm in Arm auf der Straße …«

      »Aber du wirst niemals die Tore der Schokoladenfabrik für uns öffnen«, lachte ich. »Oder mit Geistern durch die Karibik segeln.«

      Ich konnte mir die paar Scherze nicht verkneifen, um die Anspannung ein bisschen zu lösen, aber Elaine und Linval standen nicht auf die Einmischung.

      »Naomi!«, flehte Linval. »Vergiss deine spielverderberischen Schwestern. Wir können noch mal von vorne anfangen, ins Kino gehen, zum Bowling, dann ein Strawberry Delight in der Cheesecake Lounge und auf die Rollschuhbahn in Ashburton – kannst du fahren? Was meinst du, Naomi? Egal, was du willst, ich tauche korrekt und ordentlich auf und bin ein perfekter Gentleman. Anständig bis zum Anschlag!«

      Elaine entfuhr ein Lachen.

      Linval ignorierte uns. »Hast du am Samstag schon was vor?«, fragte er.

      »Sie geht shoppen«, sagte ich.

      »Und braucht keinen Begleiter«, setzte Elaine hinzu.

      Linval griff in die Tasche seiner Daunenjacke und zog ein Bündel Geldscheine heraus, die von einer goldenen Klammer zusammengehalten wurden. Naomi bekam ganz große Augen. Elaine schüttelte den Kopf, während ich versuchte, das Geld zu zählen. Er musste ungefähr dreihundert Pfund in der Hand halten.

      Linval grinste. »Komm mit mir shoppen. Wir gehen in die ganzen Designerläden in Ashburton. Ich kauf dir ein paar Klamotten, und danach gehen wir in den Steak Palace und ziehen uns ein paar durchgebratene Buffalo Ribs mit Fritten rein. Was sagst du, Naomi? Wir fahren mit dem Taxi hin und zurück – willst ja nicht mit deinen teuren Tüten in einen dreckigen Bus steigen!«

      Naomi stierte immer noch die Scheine an. »Viel … vielleicht ein anderes Mal«, sagte sie. »Aber ich geh lieber alleine oder mit meinen Schwestern shoppen.«

      Elaine wollte weiter. »Komm, Naomi, wir müssen lernen – und die Uhr tickt.«

      Linval steckte sein Geld wieder ein. »Ruf mich an«, sagte er zu Naomi. »Wir wären ein gutes Team. Deine Schwestern sind bloß so spröde, weil niemand was von ihnen will. Die sind neidisch.«

      »WORAUF?«, explodierte Elaine. Sie drehte sich um, raste zu Linval zurück und hätte ihm beinahe mit dem Zeigefinger ein Auge ausgestochen. »Glaubst du, ich brauche einen Kerl, der mir mein Leben ruiniert und mir vorschreibt, was ich machen soll? Schieb deinen ungehobelten Bauernarsch aus meinem Blickfeld und deine Achseln aus meinem Riechbereich!«

      »Du hast sie nicht mehr alle, wenn du denkst, dass ich von einem der Gangster hier aus der Gegend angegraben werden will«, warf ich ein.

      Linval lachte spöttisch. Bevor er ging, nahm er einen Zeigefinger und den kleinen ans Ohr. »Ruf mich an, Naomi. Oder schick mir eine SMS, wenn dein Guthaben


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