Wer braucht ein Herz, wenn es gebrochen werden kann. Alex Wheatle

Wer braucht ein Herz, wenn es gebrochen werden kann - Alex Wheatle


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      »Hat sich Cristiano Ronaldo den großen Zeh gebrochen?«, fragte ich.

      Lloyd schüttelte den Kopf. Mum strich ihm über den Unterarm, als wollte sie ein totes Eichhörnchen wiederbeleben. Sie brauchte eine Weile, bis sie mich ansah. Ihr Blick verhärtete sich wie der eines verunglückten Hypnotiseurs.

      »Warum?«, fragte sie.

      »Warum was?«, erwiderte ich.

      Sie stand auf. Ein-aus, ein-aus atmete sie, ihre Adern pochten, ihre Lippen bebten, sie wartete auf den richtigen Moment, um ihre Schimpfattacke zu starten. Dann ging es mir auf, mit Wucht, als wäre mir das höchste Hochhaus von Crong auf den Kopf gefallen – die Bullen hatten sich gemeldet. Vor dem großen Ausbruch knetete sie Lloyds Schulter mit der Hand. Ein-aus, ein-aus. Ihre Adern tanzten wie in ihrem Hals gefangene Würmer. Lloyd starrte unter sich, strengte sich an, den Mund zu halten – Mum musste ihm das Versprechen abgenommen haben, zu schweigen. Gute Entscheidung.

      »Darf ich nicht auch mal ein bisschen glücklich sein?«, schrie Mum. »Hab ich das nach all den Jahren nicht verdient? Ich hab mich weiß Gott mit genug Abschaum abgegeben und mich wie Scheiße behandeln lassen. Als du auf die Welt gekommen bist, hätte ich dich ins Heim stecken können, weißt du das? Mein Leben wäre so viel einfacher gewesen! Aber ich hab’s nicht gemacht. Ich hab dich behalten! Und das ist der Dank, verdammt noch mal?«

      »Dein Freund hat mich aus dem Bett geprügelt, Mum! Was glaubst du wohl, was ich mache?«

      Wütend starrte ich Lloyd an, forderte ihn mit Blicken heraus. Lieber bekriegte ich mich mit ihm als mit Mum. Er schaute weg und kaute auf seiner Lippe.

      »Ich hab dir gesagt, dass es ihm leidtut!«, fauchte Mum. »Gestern hast du ihn provoziert. Du hast ihn getreten!«

      »DAS IST KEINE AUSREDE!«, tobte ich. »Als er mich aus dem Bett katapultiert hat, hab ich ihn nicht getreten! Wie kannst du so was in deiner eigenen Wohnung zulassen? Du müsstest mich eigentlich beschützen.«

      »Mo, es tut mir wirklich leid«, unterbrach Lloyd. »Aber als du mich gestern getreten hast, hab ich nicht zurückgeschlagen, oder?«

      Ich hatte Elaines Stimme im Kopf. Sie wollte so was nicht tolerieren.

      »Wenn’s dir so leidtut, dann schieb deinen Schwabbelarsch raus aus unserer Wohnung!«, tobte ich. »Ich lebe mit niemandem zusammen, der mich schlägt.«

      »Hat dir Elaine das eingeredet?«, fragte Mum. »War sie das? Sag ihr, sie soll sich um ihren eigenen verdammten Scheiß kümmern. Ich hab immer schon gesagt, das Mädchen hat eine viel zu große Klappe – genau wie ihre Mum! Muss zu allem ihren Senf dazugeben, auch wenn’s keiner hören will. Sag ihr, sie soll ihre Nase nicht in anderer Leute Angelegenheiten stecken – und sich um ihren eigenen Typen kümmern, der was mit dieser Nutte in Crongton Green angefangen hat.«

      »Elaine hat damit nichts zu tun. Und zieh bloß nicht ihre Familie da mit rein!«

      »Warum bist du dann zur Polizei gegangen? Du weißt doch, wie die sind – die legen Leute rein, verprügeln sie – besonders solche, mit denen du dich gerne rumtreibst. Heute waren sie hier und haben Lloyd gesucht. Das hat ihm gerade noch gefehlt, verdammt! Jeden Tag ist er unterwegs und sucht Arbeit. Er will neu anfangen. Aber die Bullen haben ihm alle möglichen Fragen gestellt. Ich hab mir solche Sorgen gemacht, dass ich nicht zur Arbeit bin.«

      »Das möchte ich wetten, dass du dir Sorgen gemacht hast. Wegen mir hast du dir nie solche Sorgen gemacht.«

      »Hast du eine Ahnung, was ihm blühen kann? Hast du? Du weißt, dass er auf Bewährung draußen ist.«

      »Nein, das weiß ich nicht, und mir ist scheißegal, was ihm blüht.«

      »Das ist unnötig, Mo«, protestierte Lloyd und stand auf. »Ich bin der Mann deiner Mum und ich bleib’s auch. Wir können das alle zusammen hinkriegen, aber du machst es uns sehr schwer.«

      »Du glaubst, das ist schwer? Du hast keine Ahnung. Und du wirst nicht noch mal deine fette Hand gegen mich erheben. Ich schwöre, wenn doch, dann blüht dir was viel Schlimmeres, als dass ich’s den Bullen stecke.«

      »Wenn er wieder in den Knast muss, dann hast du das auf dem Gewissen«, wetterte Mum. »Denk nur an Jason. Der braucht seinen Dad. Hast du dir das mal überlegt, bevor du zur Polizei gerannt bist? Hast du? Du nimmst dem armen Jungen seinen Dad!«

      »Mum, du kapierst es nicht, oder? Er hat mich geschlagen! Hast du daran mal gedacht? Läuten da keine Alarmglocken bei dir?«

      »Und er hat sich dafür entschuldigt! Er hat mir geschworen, dass er’s nie wieder macht. Der Fall ist erledigt. Was willst du noch? Dass er um eine Audienz beim verfluchten Papst bittet und es dem auch noch verspricht?«

      »Den Papst lügt er wahrscheinlich genauso an und klaut ihm seinen Wein«, feuerte ich zurück.

      »Wenn Lloyd wieder ins Gefängnis muss, dann schwöre ich, das werde ich dir nie verzeihen. Niemals! Ich hab ein Recht, glücklich zu sein. Hast du nicht letztes Jahr noch zu mir gesagt, dass ich jemanden in meinem Leben brauche? ›Geh öfter mal aus, Mum.‹ Lern jemanden kennen, Mum. Genieß das Leben, Mum.‹ Hast du das gesagt?«

      »Hab ich. Aber doch nicht mit dem!«

      »Können wir das Ganze nicht einfach ein kleines bisschen runterfahren und …«, sagte Lloyd.

      »Ich komm erst wieder runter, wenn du aus meiner Welt verschwunden und Geschichte geworden bist«, brüllte ich.

      Mum kam auf mich zumarschiert, ihre Arme hingen an ihr herunter und ihr Gesicht war tränenüberströmt. Ich wich nicht aus. Sie packte mich an den Schultern und schüttelte mich. »Ich lass mir das nicht bieten, Mo. Du redest mit mir, als wär ich ein Stück Scheiße. ICH BIN VERDAMMT NOCH MAL DEINE MUTTER! ICH HAB DICH BEHALTEN, OBWOHL ICH DICH INS HEIM HÄTTE STECKEN KÖNNEN! Du kannst mir nicht vorschreiben, mit wem ich zusammen sein darf und mit wem nicht. Ich hab ein Recht, selbst zu entscheiden, wen ich in meinem Leben haben will!«

      »Nimm die Finger weg von mir!«, schrie ich. »Finger weg!«

      Mum liefen die Tränen immer weiter über die Wangen. Meine Ansage hatte tiefe Wunden gerissen. Gut! Sie schüttelte wild den Kopf, schloss die Augen. Holte blind aus und krallte mir ins Gesicht, kratzte mich bis hinter den Ohren. Das brannte wie ein Wespenstich. Ich versuchte, ihren Arm festzuhalten, aber sie machte auf Leopard, also ballte ich meine Finger zur Faust, holte aus und schlug zu.

      Mum hatte sie nicht kommen sehen. Sie sackte zu Boden wie der Müllsack eines Bauarbeiters. Baduff! Ich starrte sie an, wie sie da ausgestreckt lag. Der Schmerz in meiner Hand schoss mir durch den Arm in die Schulter. Bevor ich was tun konnte, um den Schmerz zu lindern, war Lloyd schon mit geballten Fäusten hinter mir her. Er knurrte wie ein Kampfhund. Seine Augen waren zu Schlitzen verengt. Seine Wangen rot. O Gott, dieses Mal bin ich zu weit gegangen. Ich schluckte reine unverwässerte Angst. Scheiße! Der bringt mich um. Ich erstarrte.

      Dann hörte ich jemanden an unsere Tür hämmern. Die Rettung! Ich konnte meine Beine wieder spüren und rannte in den Flur.

      »Du verdammte Schlampe!«, wetterte Lloyd. »Ich geb mir Mühe, nett zu dir zu sein, aber du motzt bloß rum! Ich hab dir sogar angeboten, mal mit dir wegzugehen, aber du denkst nicht dran, beschimpfst mich auch noch. Dir werde ich dein Maul schon stopfen!«

      Ich schrie so laut ich konnte, was Lloyd zu verunsichern schien. Jemand versuchte, unsere Wohnungstür einzutreten. Lloyd wich zurück, unsicher, was er tun sollte. Mum ging in den Flur. Blänngg, blänngg, blänngg! Lloyd und sie tauschten verzweifelte Blicke. Während sie noch zögerten, machte ich auf.

      Sams Mum Lorna stand da und fuchtelte mit einem Brotmesser herum. Erleichterung! Was für ein abgefahrener Anblick. Sie trug ihre Busfahreruniform. Gebügelte graue Hose. Weiße Bluse. Grün-schwarz gestreifte Krawatte. Dienstmarke mit der Nummer 23182. Sie ging langsam, aber zielstrebig auf Lloyd zu. Ich hörte Mum nach Luft schnappen,


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