So sind wir. Christian Hafenecker

So sind wir - Christian Hafenecker


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       Impressum

       Prolog

      Dienstag, 28. September 2021, 9.00 Uhr. Die Presseabteilung der „neuen Volkspartei“ versendet hastig die Einladung zu einem Pressestatement mit Gaby Schwarz, stellvertretender Generalsekretärin der ÖVP, für 11.00 Uhr. Vor den in die türkise Parteizentrale geeilten Journalisten sollte die Spitzenfunktionärin dann einen skurrilen Auftritt abliefern. Sichtlich nervös sprach sie von angeblichen Medienanfragen zu einer bevorstehenden Hausdurchsuchung in der ÖVP-Zentrale, verbunden mit der nahezu trotzig wirkenden Ankündigung „Es ist nichts mehr da“ und dem Verweis darauf, dass die ÖVP schon länger alle Daten lösche, zu deren Aufbewahrung sie nicht verpflichtet sei.

      Auf den Tag genau eine Woche später ließen die Türkisen ihren Fraktionsobmann im beendeten Ibiza-Untersuchungsausschuss, den verhaltensauffälligen Nationalratsabgeordneten Andreas Hanger, auf einer extra einberufenen Pressekonferenz zum Rundumschlag gegen die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ausholen, die schon längst zum Feindbild der ÖVP geworden war. Selbst bestens vernetzte Polit-Insider fragten sich: Welchen Zweck verfolgt die Volkspartei mit diesen Medienauftritten? Wurden ihr etwa tatsächlich bevorstehende Ermittlungsmaßnahmen der Justiz durchgestochen und will sie Betroffene aus ihren Reihen vor diesen warnen?

      Der darauffolgende Tag, Mittwoch, der 6. Oktober 2021, brachte die Antwort: Hausdurchsuchungen in der ÖVP-Zentrale, im Bundeskanzleramt und im Finanzministerium. Schon wenige Stunden danach bestätigte die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft entsprechende Medienberichte und gab bekannt, dass unter anderem gegen ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz, sein engstes politisches Umfeld, eine Meinungsforscherin, Ex-ÖVP-Familienministerin Sophie Karmasin und gegen zwei der mächtigsten Medienmacher des Landes ermittelt werde. Die Vorwürfe: Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit in Zusammenhang mit einem in der Zweiten Republik beispiellosen Fall von Medienkorruption. Kurz und seine Getreuen sollen 2017 in Kooperation mit der beschuldigten Meinungsforscherin gefälschte Umfragen der Tageszeitung „Österreich“ zugespielt und die Kosten dafür in der Höhe von rund zwei Millionen Euro durch Scheinrechnungen dem Finanzministerium – also dem Steuerzahler – verrechnet haben.

      Auf Druck der Opposition und letztlich auch des grünen Koalitionspartners trat Sebastian Kurz am folgenden Samstagabend als Bundeskanzler zurück.

      An diesen innenpolitisch turbulenten Tagen befand sich das vorliegende Buch bereits auf dem Weg in die Druckerei. Ich erachtete es aber für unabdingbar, dem geneigten Leser einleitend eine Schilderung des endgültigen Beginns der Implosion des „Systems Kurz“ mit auf den Weg zu geben. Denn es waren die eineinhalb Jahre Arbeit des „Ibiza-Untersuchungsausschusses“, welche de facto durch das Schlüsselloch der Republik auf einen von der ÖVP in fast 35 durchgängigen Regierungsjahren errichteten, Tiefen Staat blicken ließen und darin schwarze Netzwerke sichtbar machten, auf denen die türkise Truppe ab ihrer Machtübernahme 2017 erst ihr „System Kurz“ aufbauen konnte.

      Die tiefschwarzen Fäden, die sich durch das Finanz-, Innen- und Justizministerium – zentrale Institutionen unseres Staates – ziehen, haben Sebastian Kurz und seine „türkise Familie“ in den vergangenen Jahren zum Zwecke des Machtausbaus miteinander berknüpft.

      Der „neue Stil“, mit dem der von manch begeistertem Anhänger zum Messias Verklärte vor vier Jahren gestartet war, ist ertrunken in einem Sumpf aus Korruption, Postenschacher, Niedertracht und einer Verachtung für Demokratie sowie Grund- und Freiheitsrechte, wie sie die politische Geschichte Österreichs seit 1945 noch nicht gesehen hat.

      Meiner Meinung nach ist das „System Kurz“ zu Ende. Auch wenn dessen gefallene Gallionsfigur zum jetzigen Zeitpunkt die politische Bühne noch nicht endgültig verlassen hat und seine Handlanger teilweise derzeit noch in der zweiten Reihe von Kabinetten und Ministerien am Werk sind, die ÖVP liegt am Boden, gestolpert über die „Superstar-Falle“ – ein Ende des Absturzes ist nicht in Sicht. Mittelfristig ist davon auszugehen, dass die alten, schwarzen Kräfte wieder das Ruder in der ÖVP übernehmen werden und das verfilzte Geflecht aus mächtigen Landesorganisationen auf der einen und klientelistischen Bünden auf der anderen Seite die verblichene Modefarbe „Türkis“ ersetzen.

      Der Skandal rund um frisierte Umfragen und gekaufte Berichterstattung ist aber bei weitem nicht nur ein Fanal für die Volkspartei, sondern vielmehr eine Zäsur für die gesamte Politik und Medienlandschaft. Der nunmehr von der FPÖ gemeinsam mit SPÖ und NEOS eingesetzte ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss schließt nahtlos an die Erkenntnisse seines Vorläufers an und wird das „Projekt Ballhausplatz“, den skrupellosen Plan von Kurz & Co. zur Machtübernahme, in den Fokus nehmen.

      Die im Zuge des Inseraten-Korruptionsskandals von der Staatsanwaltschaft als Beweismittel sichergestellten Chatnachrichten von Sebastian Kurz, Gernot Blümel, Thomas Schmid und türkisen Mitarbeitern legen insgesamt Abgründe offen, wogegen die Ibiza-Video-Affäre – eingedenk aller Verfehlungen ihrer Protagonisten – geradezu lächerlich erscheint. In Verbindung mit den in diesem Buch dokumentierten Machenschaften des schwarzen Tiefen Staates und des Systems Kurz ergibt sich ein demokratiepolitischer Notstand, in welchen die ÖVP unsere Republik manövriert hat und aus dem es nur einen Ausweg gibt: vollständige Aufklärung, um Österreich aus den Fängen der schwarzen Netzwerke zu befreien.

      Die folgenden Kapitel sollen einen ersten Beitrag dazu leisten und Hintergründe, Funktionsweisen und Zahnräder des türkis-schwarzen Systems schonungslos offenlegen.

      Eine Fortsetzung folgt…

       Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus öffnen die Büchse der Pandora

      Wo waren Sie, als Prinzessin Diana in Paris bei einem Autounfall ums Leben kam oder als Flugzeuge von Terroristen in die Zwillingstürme des World Trade Centers in New York gelenkt wurden? Diese Frage können Sie bestimmt ganz leicht beantworten.

      Genau dasselbe Phänomen beobachtet man im Zusammenhang mit Freitag, dem 17. Mai 2019. Jenem Tag, an dem zur besten Sendezeit das auf sieben Minuten zusammengeschnittene „Ibiza-Video“ erstmals im ORF gezeigt wird. Kai Jan Krainer, SPÖ-Fraktionsführer im parlamentarischen „Ibiza“-Untersuchungsausschuss, erinnert sich sofort, dass er zuhause gewesen ist. Auf die Frage, was sein erster Gedanke war, als er dieses Video sah, antwortet er geheimnisvoll:

      „Ich hatte so ein Déjà-vu. Das kam ja auch. Nicht ganz so, aber so ähnlich.“ (Anm. Schlussendlich hat der ÖVP-nahe Unternehmer René Benko sich über ein ihm zurechenbares Firmennetzwerk an der Kronen Zeitung beteiligt)

      Auch die NEOS-Fraktionsführerin im U-Ausschuss, Stephanie Krisper, weiß sofort, wo sie sich aufhielt:

      „Ich war im Zug von Wien nach Bleiburg. Das Video konnte ich wegen schlechten WLANs im Zug aber erst im Hotel in Bleiburg in Ruhe ansehen. Es war dann mehr als beunruhigend“.

      Dass mit den versteckten Aufnahmen der Gespräche des damaligen FPÖ-Obmanns Heinz-Christian Strache und des damaligen FPÖ-Wien-Chefs Johann Gudenus mit einer vermeintlichen Oligarchen-Nichte auf einer Finca in Spanien eine „Bombe platzt“, wie einen Tag zuvor in einem Kalendereintrag von Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu lesen war, kann im Nachhinein nur bestätigt werden. Strache und Gudenus öffneten die Büchse der Pandora, die viel Unheil in die politische Landschaft Österreichs brachte.1

      Die Video-Falle von Ibiza war aber nicht nur der Anfang vom Ende der türkis-blauen Bundesregierung unter ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz, sie war vielmehr der Endpunkt einer Verschwörung, die vermutlich seit dem Jahr 2014 zum Ziel hatte, die FPÖ und ihren damaligen Obmann Strache zu Fall zu bringen. Der kriminellen Energie der Protagonisten spielten dabei die verwundbaren Stellen von Strache und Gudenus in die Hand. Und bald sollte sich herausstellen, dass die ÖVP zumindest streckenweise in die Vorkommnisse involviert war.

      Es muss im Jahr 2011 oder 2012 gewesen sein, als der


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