So sind wir. Christian Hafenecker
des SPÖ-Beraters Tal Silberstein bekannt. Wenige Wochen später trifft der in dieser Zeit sicherlich schwer beschäftigte SPÖ-Wahlkampfchef Vetter seinen Volksschulfreund M. auf einen gemütlichen Kaffee, angeblich ohne zu wissen, worum es dabei gehen soll. Bei diesem Treffen erfährt er von belastendem Bildmaterial über Strache und Gudenus, Politiker jener Partei, welche die SPÖ laut Umfragen bei der kommenden Wahl überholen könnte. Erzählt möchte er davon niemandem haben, da er die „vagen Andeutungen“ für ein Gerücht hielt.34
„Lass uns reich werden! Aber mit lustig“
Im März 2018 kommt es zu einer beruflichen Reise nach Berlin. M. und Vetter sprechen erneut über das belastende Material. Ein interessantes Detail in diesem Zusammenhang ist auch, dass Vetter im Dezember 2018 eine Grußkarte an M. schickt, auf der „Lass uns reich werden! Aber mit lustig.“ geschrieben steht.35
Zeitnah zu dem zweiten Treffen mit Vetter kommt es zu einem Gespräch zwischen M. und dem SPÖ-nahen PR-Berater Nikolaus Pelinka. Die beiden kennen sich aus einer gemeinsamen Tätigkeit in der Rechtsanwaltskanzlei von Gabriel Lansky zu Beginn der 2000er-Jahre. Bei dem Treffen im Kaffeehaus erzählt M. von belastendem Material gegen Strache und fragt Pelinka, ob er ihn mit potenziellen Käufern zusammenbringen könne oder selbst Interesse habe, das Material zu erwerben. Die Rede ist von einem siebenstelligen Betrag. M. macht dabei auch Andeutungen in Richtung einer Provision für die Vermittlungstätigkeit. Auch wenn Pelinka im Endeffekt selbst kein Interesse an dem Material hat, erzählt er mehreren Personen davon.36
Auf die Frage im U-Ausschuss, wie vielen Leuten er vom Video-Material erzählt habe, antwortete Nikolaus Pelinka:
„Eins, zwei, drei, viele ist eine gute Definition. Ich würde vermuten, dass es um mehrere Dutzend Menschen geht, aber immer in verschiedenen Abstufungen.“37
Unter diesen Personen waren jedenfalls die SPÖ-Politiker Thomas Drozda und Christian Kern, deren Interesse Pelinka mit seinen Ausführungen weckte. Pelinka übergab Drozda Ende März oder Anfang April 2018 die Kontaktdaten des Anwalts, was Drozda in seiner Einvernahme beim Bundeskriminalamt später als „Vermittlung“ bezeichnete.
Wie Drozda vor dem Untersuchungsausschuss aussagte, wurde mit der Information zu vermeintlich belastendem Material über Strache und die FPÖ das Interesse der SPÖ-Spitze geweckt. In Folge dessen wurde Drozda von SPÖ-Chef Kern angewiesen, sich die Sache genauer anzuschauen. Am 12. April 2018 kommt es zu einem Treffen zwischen Drozda und Anwalt M. in dessen Kanzlei. Dort unterrichtet M. den SPÖ-Politiker über die Existenz eines Videos, in dem unter anderem Korruptionsideen gesponnen würden. Darüber hinaus legt der Anwalt Fotos von vermeintlichen Geldtaschen vor. Am Tag nach dem Gespräch informiert Drozda seinen Parteiobmann Christian Kern und auch den Anwalt der SPÖ, Michael Pilz.38
Am 24. April 2018 kommt es zu einem einstündigen Gespräch zwischen dem SPÖ-Anwalt Pilz und dem „Ibiza“-Drahtzieher M.. Pilz bekommt dort einige Szenen aus dem Video vorgespielt und hat somit Kenntnis über dessen Inhalte. Für den Erwerb des Materials verlangt M. sechs Millionen Euro. Noch am selben Tag berichtet Pilz Drozda über die Inhalte des Treffens.39
Am 2. Mai 2018 findet ein Sechsaugengespräch zwischen Drozda, Pilz und Kern statt, wo über das Treffen bei M. gesprochen wird. An diesem Tag wird entschieden, eine offizielle Absage der SPÖ an M. per eingeschriebenen Brief zu übermitteln, welche am 9. Mai 2018 versendet wird.40
Eine merkwürdige TV-Wette zwischen Kern und Strache
Diese Erkenntnisse lassen vermuten, dass die SPÖ-Spitze, zumindest Parteichef Kern und Bundesgeschäftsführer Drozda, spätestens ab April 2018, also ein Jahr vor der Veröffentlichung des Videos, über dessen grobe Inhalte Kenntnis hatten. Einen Tag nach dem Treffen zwischen Pilz und M. wettet SPÖ-Chef Kern in einem TV-Duell mit Heinz-Christian Strache im ORF um eine Flasche Rotwein, dass er, Kern, „sicher länger Parteichef“ bleiben werde als Strache.41
Jedoch war die SPÖ nicht die einzige Partei, zu der die Hersteller des „Ibiza-Videos“ Kontakt suchten. Im Spätsommer 2017 bittet M. den ehemaligen Politiker des Liberalen Forums und Haselsteiner-Vertrauten Zoltán Aczél um einen raschen Termin. Da Aczél zu dieser Zeit im Ausland weilt, ersucht er seinen Geschäftspartner und ehemaligen Nationalratsabgeordneten des LIF, Alexander Zach, der über seine Unternehmen mehr als 200.000 Euro an die NEOS spendete, den Termin wahrzunehmen. Zach ist ein ehemaliger Schulkollege von M. und somit bestens mit ihm bekannt.42
Ein erstes Treffen zwischen Zach und M. findet Ende August 2017 in der Anwaltskanzlei statt. Dort wird Zach ein Audiofile über ein Tablet vorgespielt, auf dem Strache und Gudenus abschätzig über Haselsteiner sprechen und Andeutungen machen, ihm und der STRABAG Bauaufträge zu entziehen. Mit dieser Information kontaktiert er Aczél und vereinbart einen weiteren Termin, welcher diesmal zu Dritt stattfinden sollte. Es steht jedenfalls von Beginn an im Raum, dass dieses Material seinen Preis hat. An den genauen Betrag konnte sich Alexander Zach im U-Ausschuss nicht mehr erinnern, er sagte:
„Also ich kann jetzt auch nicht mehr sagen, wann welcher Preis genannt wurde, aber diese Zahl von fünf Millionen, um die fünf Millionen stand im Raum“.43
Obwohl laut Zach kein Interesse an dem Material bestand, findet knapp zwei Wochen später der Termin mit M., Zach und Aczél in einem Kaffeehaus statt. Anlass für das Gespräch war demnach lediglich die Absage.
Warum für eine Absage ein Termin zu dritt in einem Kaffeehaus veranstaltet werden musste, obwohl ein einfaches Telefonat gereicht hätte, konnte Zach nicht näher erklären. Mit Haselsteiner sei über dieses Thema jedenfalls nie gesprochen worden, da von seiner Seite vermutlich ohnehin kein Interesse an dem laut Zach „wertlosen“ Material bestanden hätte.
Auch die österreichischen Behörden erfuhren nicht erst am Abend der Veröffentlichung von der Existenz des „Ibiza-Videos“. Slaven K., ein aus dem Umfeld von Julian Hessenthaler stammender V-Mann des Bundeskriminalamtes, hatte seinen Polizeikontakt bereits im Herbst 2018 über die Existenz und die Inhalte des Videos informiert.44
Kurz vor der Veröffentlichung des Videos sprach Hessenthaler erneut mit Slaven K., um dessen Kontakte zu nutzen und das Bundeskriminalamt „vorzuwarnen“. Er wollte dadurch den Eindruck verhindern, dass hier eine aus dem Ausland gesteuerte Wahlmanipulation im Gange sei.45
Wenn man im Zuge des Untersuchungsausschusses mitverfolgt hat, wie massiv die ÖVP mittlerweile mit der Errichtung eines „Tiefen Staates“ vorangekommen ist und dadurch auch Zugriff auf die obersten Organe der Republik hat, kann man nur zu einem Rückschluss kommen: Die ÖVP wusste bereits im Herbst 2018 von der Existenz des „Ibiza-Videos“. Anders als die FPÖ, denn behördenintern wurden die durch die Polizei gewonnenen Informationen nicht an die Spitze des Innenministeriums weitergegeben.
„Ich war in diesem schwarzen Netzwerk ein Fremdkörper“
Der im Jahr 2018 amtierende Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) sagte sowohl im Untersuchungsausschuss, als auch in einem Interview in der FPÖ-TV-Sendung „Der schwarze Faden“, dass weder zu ihm noch in sein Kabinett irgendeine Information über das „Ibiza-Video“ durchgedrungen sei. Kickl weiter:
„Wenn es im schwarz eingefärbten BKA bekannt war, ist anzunehmen, dass Informationen auch an die ÖVP gingen. Für mich ist nicht vorstellbar, dass wenn man Kenntnis von einem Video hat, das den Vizekanzler der Republik betrifft, dieses brisante Video nicht auch der Spitze der ÖVP zur Kenntnis gebracht hat. Jahrelange Monokultur in zwei maßgeblichen Ressorts, Innen und Justiz, machte der ÖVP Gelegenheit. Ich war in diesem schwarzen Netzwerk ein Fremdkörper“.46
Kickl untermauerte diesen Eindruck, indem er aussagte, dass er sich gewundert