So sind wir. Christian Hafenecker
Viel Alkohol und eine hohe Sprachbarriere
Strache antwortet am Donnerstag, dem 16. Mai, um 14:32 Uhr, also fast genau 24 Stunden nach der WhatsApp-Anfrage von „Spiegel“ und der „Süddeutschen Zeitung“. Über WhatsApp schrieb er:
„Das von Ihnen angesprochene rein private Treffen hat im Juli 2017 in einer Finca auf Spanien in lockerer, ungezwungener und feuchtfröhlicher Urlaubsatmosphäre stattgefunden. Eine vermeintlich lettische Staatsbürgerin mit ihrem deutschen Bekannten bzw. Vertrauten haben zu diesem Abendessen eingeladen. Die beiden Personen kannten Johann und Tajana Gudenus bereits seit Längerem und haben mich zusätzlich zu besagtem Abendessen eingeladen. Dabei wurde von der vermeintlich lettischen Staatsbürgerin (welche ich bis dato nicht persönlich kannte) mitgeteilt, dass sie mit ihrer Tochter nach Wien ziehen und in Österreich wirtschaftlich Fuß fassen und investieren wolle. Auf die relevanten gesetzlichen Bestimmungen und die Notwendigkeit der Einhaltung der österreichischen Rechtsordnung wurde von mir in diesem Gespräch bei allen Themen mehrmals hingewiesen. Das gilt auch für allenfalls in Aussicht gestellte Parteispenden bzw. Spenden an gemeinnützige Vereine im Sinne der jeweiligen Vereinsstatuten. Ein weiterer Kontakt zwischen mir und den von Ihnen zitierten Personen fand danach nicht mehr statt. Daran bestand von meiner Seite auch keinerlei Interesse. Auch habe ich oder die FPÖ niemals irgendwelche Vorteile von diesen Personen erhalten oder gewährt. Auch sind von den (von) Ihnen genannten Personen und Unternehmen keine Spenden an die FPÖ eingegangen. Im Übrigen gab es neben dem Umstand, dass viel Alkohol im Laufe des Abends gereicht wurde, auch eine hohe Sprachbarriere, wo ohne einen professionellen Übersetzer von Russisch, Englisch auf Deutsch übersetzt wurde. Mit freundlichen Grüßen Heinz-Christian Strache.“57
„Kann sein, dass morgen Österreich brennt“
Die Reaktion von Johann Gudenus ist ähnlich aufgebaut. Es gibt nur einen markanten Unterschied zur Strache-Äußerung, ein Postskriptum am Ende des Schreibens:
„Schöne Grüße an Herrn Böhmermann.“58
Gudenus nahm damit Bezug auf die Rede des deutschen TV-Satirikers Jan Böhmermann bei der Romy-Gala Mitte April 2019 in Wien und vermutete wahrscheinlich, dass Böhmermann hinter der Video-Falle stecken könnte. Eine durchaus denkbare Variante zu diesem Zeitpunkt, die nicht nur Gudenus für möglich gehalten hatte. Denn in seiner Videobotschaft sprach Böhmermann bei der Entgegennahme des „Kurier“-Fernsehpreises bereits Wochen vor den Ereignissen von einer „russischen Oligarchenvilla auf Ibiza“. Er verhandle dort gerade, meinte er scherzhaft, die Übernahme der „Kronen Zeitung“.
Böhmermann sagte, er hänge „gerade ziemlich zugekokst und Red-Bull-betankt mit ein paar FPÖ-Geschäftsfreunden in einer russischen Öligarchenvilla auf Ibiza“ rum.59
Zumal der Satiriker dann auch noch einen Tag vor der Veröffentlichung des „Ibiza-Videos“ in seiner Sendung „Neo Magazin Royal“ im ZDF einen Hinweis auf die innenpolitische Enthüllung lieferte, nämlich, „kann sein, dass morgen Österreich brennt“, war nach dem 17. Mai klar, dass Böhmermann zu einem Personenkreis zählt, der von der Existenz des Videos wusste, bevor es von den Medien veröffentlicht wurde.60
Auf dem Kurznachrichtendienst „Twitter“ hat Böhmermann jedenfalls zeitgleich mit der Veröffentlichung des „Ibiza-Videos“ um 18 Uhr folgende Nachricht hinterlassen:
Abbildung 3: Tweet von Jan Böhmermann am 17. Mai 2019
Der Link auf Twitter führt zu einem Video der Musikgruppe „Vengaboys“ und ihrem Hit „We’re going to Ibiza“ aus dem Jahr 1999.
Frederik Obermaier und Bastian Obermayer behaupten in ihrem Buch, dass die Information an Böhmermann nicht von der „Süddeutschen Zeitung“ kam. Woher Böhmermann Kenntnis vom „Ibiza-Video“ hatte, ist bis dato nicht bekannt.
Die Selbstjustiz des Julian Hessenthaler
„Es war eine notwendige Aktion, weil einer Anzeige nicht nachgegangen wurde.“
Mit großer Spannung wurde dem Auftritt des „Ibiza“-Drahtziehers, des Detektivs Julian Hessenthaler, vor dem U-Ausschuss entgegen gesehen. In der 43. Sitzung am 8. April 2021 war es soweit. Hessenthaler, der sich zu dieser Zeit wegen mutmaßlicher Drogendelikte und mutmaßlicher Erpressung in Untersuchungshaft befand, kam in Begleitung des Rechtsanwalts Alfred J. Noll, eines früheren Nationalratsabgeordneten von Jetzt - Liste Pilz.
Da sich Hessenthaler also in laufenden Verfahren befand, nahm er sein Entschlagungsrecht oft in Anspruch. Bereits in seiner einleitenden Stellungnahme schilderte er, dass er deshalb zur „Selbstjustiz“ gegriffen und Heinz-Christian Strache in die Video-Falle gelockt habe, weil die Polizei einer aufliegenden Anzeige nicht nachgegangen sei. Das Video, so Hessenthaler, hätte es nicht geben müssen, wäre die Exekutive aktiv geworden.61
Wörtlich sagte Hessenthaler vor dem U-Ausschuss:
„Wäre der Anzeige des befreundeten Anwalts, der den Strache-Leibwächter Oliver R. vertrat, pflichtgemäß nachgegangen worden, dann hätten Ermittlungen geführt werden müssen. Hätte es diese Ermittlungen gegeben, dann wäre das Ibizavideo überflüssig geworden. Nichts von dem, was nach dem Mai 2019 öffentlich wurde, wäre nicht auch schon vorher erkennbar gewesen – erkennbar zumindest für professionell agierende staatliche Stellen – aber es wurde bewusst weggesehen. Die Polizei hat nichts getan, sie hat sich Versäumnisse zuschulden kommen lassen. Es war daher erforderlich, die bekannten Vorwürfe des Strache-Leibwächters Oliver R. objektiv zu untermauern. Es ging mir darum, die Glaubwürdigkeit von Oliver R. in anschaulicher und bildlicher Weise zu bestätigen. Bereits beim ersten Treffen mit Johann Gudenus habe ich dessen deutliche Korruptionsbereitschaft wahrgenommen. Dieser Eindruck hat es umso mehr nahegelegt, für eine bildlich-objektive und unwiderlegliche Dokumentation zu sorgen. Es gab keine involvierten Nachrichtendienste, es gab keinen Auftraggeber, es gab auch keine Hintermänner. Ich hatte keine Absichten, irgendetwas zu verkaufen, schon gar nicht hatte ich vor, jemanden zu erpressen. […] Das Ibiza-Video sollte auch die seit jeher in der Luft liegenden Vorwürfe objektiv dokumentieren, um damit eine Auseinandersetzung mit der generellen Thematik von Einflussnahme und Käuflichkeit in dieser Republik zu fördern. Die jetzt vorliegenden Chatverläufe und das damit gebotene Sittenbild zeigen, wie notwendig dies in diesem Land ist. Im Rückblick muss man sagen, dieses Ziel scheint bestenfalls teilweise erreicht. […] Unmittelbar nach Bekanntwerden des Videos wurde versucht, das Bild einer kriminellen Verschwörung in die Welt zu setzen und dieses Bild durch gezielte Medienleaks und die damit einhergehenden Kampagnen zu stützen und aufrechtzuerhalten. Ganz gezielt wurden aus den Boten der schlechten Nachricht Täter fabriziert. Schon vor der Veröffentlichung des Ibiza-Videos im Mai 2019 wurden Drohungen und konstruierte Beschuldigungen an uns herangetragen. Sie alle wissen, dass ich mich nunmehr in Untersuchungshaft befinde. Ich sehe mich mit massiven Anschuldigungen konfrontiert, ich bitte daher um Ihr Verständnis, dass ich angesichts meiner bisherigen Erfahrungen und vor dem Hintergrund der anhängigen Ermittlungsverfahren bei der Befragung auch von meinem Entschlagungsrecht ausgiebig Gebrauch machen werde müssen.“62
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