Business Crime – Skandale mit System. Herbert Storn

Business Crime – Skandale mit System - Herbert Storn


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ist. Ein solches Strukturmerkmal der kriminellen Ökonomie gilt es gerade zu überwinden!

      Die Diskrepanz zwischen den Forderungen einer aufgeklärten Öffentlichkeit und dem Regierungshandeln ist ebenso groß wie von grundsätzlichem Charakter.24

      In den Auseinandersetzungen um das Lieferkettengesetz sammeln sich wie in einem Brennglas die vereinigten Probleme und Gegensätze zwischen Ökonomie und Menschenrechten: Globalisierung, Verkettung von Unternehmen, das Ausnutzen eines jeden kleinen Vorteils bei gleichzeitiger Ablehnung jeglicher Verantwortung, Rechtsverstöße, mangelnde Kontrolle, Wegsehen.

      Auch der Versuch, die immer wieder aufflackernden schrecklichen Bilder von den ›Kollateralschäden‹ wenigstens kosmetisch zu bannen, gehört dazu. Denn nicht nur die Unternehmen operieren weltumspannend, auch die Bilder verbreiten sich global. Und sie können nicht immer rechtzeitig abgefangen werden.

      Insofern ist das Lieferkettengesetz und seine bisherige und zukünftige Geschichte durchaus ein Musterbeispiel für das Grundanliegen dieses Buches. Denn es wird grundsätzlich festgestellt, dass ökonomisches Handeln (auch im globalen Bereich) sich gegebenenfalls öffentlich rechtfertigen muss. Das ist immer schon eine Voraussetzung für demokratische Einflussnahme. Allerdings drückt sich das Gesetz vor den Konsequenzen und schwächt damit den potentiellen Rechtfertigungsdruck wieder ab.

      »Die Betroffenen bleiben angstvoll stumm und wagen nicht, vor Gericht zu gehen …« – Das verbogene Arbeitsrecht

      Nicht zufällig kreisen die Probleme der kriminellen Ökonomie immer wieder um das Arbeitsverhältnis, gehört es doch zum ›Grundwiderspruch von Arbeit und Kapital‹.

      Werner Rügemer hat in seinem neuen Buch IMPERIUM EU – ARBEITSUNRECHT, KRISE, NEUE GEGENWEHR (2020) die Europäische Union mal von einem anderen Standpunkt als den üblichen ausgeleuchtet, nämlich vom Standpunkt des Arbeitskraftverkäufers bzw. der Arbeitsplatzverkäuferin.

      Und er kommt dabei zu einem vernichtenden Ergebnis, weil die immer wieder aufflammende öffentliche Auseinandersetzung über Lieferketten nur die Spitze eines riesigen Eisbergs ist, der sich mitten durch Europa schiebt. An diesem Eisberg zerschellen Menschenrechte wie auch erkämpfte Errungenschaften des Arbeitsrechts. Gewerkschaftliche Organisierung wird ebenso zerstört wie betriebliche Einflussnahme in Form von Betriebsräten. Und das nicht nur in der Peripherie, wie es in der Auseinandersetzung um das Lieferkettengesetz zu sein scheint, sondern auch im Zentrum der Europäischen Union.

      Denn die teils gravierenden Verletzungen von Arbeits- und Menschenrechten im ärmeren Teil der EU ermöglichen auf der anderen Seite erschwingliche Konsumentenpreise und vor allem gute Renditen in den reicheren EU-Staaten.

      Im Lissabon-Vertrag ist ausdrücklich festgehalten, die EU zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Und dafür werden insbesondere die Arbeitsbedingungen benutzt, die sich diesem Anspruch unterzuordnen haben. Dafür steht das bekannte Instrumentarium von der ›Flexibilisierung‹ der Arbeitsverhältnisse über die Aufweichung des Kündigungsschutzes bis hin zu niedrigen Löhnen und Gehältern zur Verfügung.

      Im Zusammenhang mit gehäuften Corona-Infektionen wurde der Marktführer der Schlachtkonzerne Tönnies ins Licht der öffentlichen Wahrnehmung gezerrt. Dabei war alles, was diesbezüglich herauskam, nicht neu – egal. Ob es also die nicht gerade gesundheitsfördernden Arbeitsbedingungen, die Nichtbeachtung von Gesundheitsvorschriften oder auch die katastrophalen Wohnverhältnisse der FleischarbeiterInnen waren – dies alles war letztlich bekannt. Aber wegen der Betroffenheit eines ganzen Landkreises im Zuge der Corona-Bekämpfung schafften es diese Arbeitsbedingungen tatsächlich ins grelle Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Und für ein paar Tage wurde dann sogar über Gesetzesänderungen im Arbeitsrecht öffentlich nachgedacht.

      Rügemer rückt dies in den dabei kaum erwähnten Zusammenhang mit der Rolle deutscher Unternehmen in der EU:

      »Deutschland wurde mit EU-Beihilfen zum Führungsstaat bei der Mehrfachausbeutung von Fleischarbeitern: Betrügerische Werkverträge (gefakte Leiharbeit); gesundheitsschädigende Arbeitsbedingungen; unbezahlte Überstunden; Abzüge für Vermittlungskosten, Fehlverhalten, Transporte und überhöhte Mieten (Mietwucher): modernste Sklaverei. Die Betroffenen bleiben angstvoll stumm und wagen nicht, vor Gericht zu gehen. (…)

      Bis zu 80 Prozent der Beschäftigten sind Werkvertragler. Marktführer Tönnies bezog sie aktuell von mindestens zwölf verschiedenen Vermittlern. Die ArbeiterInnen kommen aus den durch die EU verarmten Staaten: Hohe Arbeitslosigkeit, niedrigste Niedrig- und Mindestlöhne, in Moldau 200 Euro im Monat. Sie kommen oft für zwei, drei Jahre, dann werden sie erschöpft ausgetauscht.«25

      Diese Rolle schafft eine ökonomische und soziale Struktur, die andere EU-Staaten wiederum zum Handeln zwingt. Deren Regierungen versuchen immer wieder, das deutsche Modell zu kopieren, bedienen damit aber lediglich eine Spirale nach unten.

      Deutschland, das sich allzu gern als ›Musterknabe‹ präsentiert, unterläuft hier sogar die Arbeitsrechtsnormen aller Nachbarländer.

      »Deshalb gründeten die Schlachtkonzerne Vion N. V. aus den Niederlanden und Danish Crown aus Dänemark im führenden ArbeitsUnrechts-Paradies große Schlachthäuser (…). Deutschland, von der EU gefördert, zog das ArbeitsUnrecht an und wurde nach den USA der größte Exporteur von Billigfleisch.«26

      Rügemers vernichtendes, aber nach diesen Schilderungen sicherlich verständliches Urteil: »Kein Bereich des Rechts in der EU kennt ein solches verrechtlichtes Unrecht und ein solches Vollzugsdefizit und eine solche Grau- und Dunkelzone der systemischen Illegalität.«27

      Man sieht auch hier, dass die Grenzen zwischen illegalem Unternehmensverhalten und dem noch legalen Unterlaufen von Arbeitsrechtsstandards fließend sind, aber zusammengehören, und dass Rechtsverstöße Unrecht produzieren, wenn sie nicht verfolgt werden (können).

      Zwischenfazit

      Die Auswahl an Feldern, in denen die kriminelle Energie in der Wirtschaft mehr oder weniger ihre Wirkung entfaltet, zeigt bereits mehr als deutlich, dass die Grenze von Legalität zu Illegalität oft nur schwer zu ziehen ist. Sie zeigt aber auch, dass nicht alles verschwimmt, sondern die Tatbestände durchaus ge- und erfasst werden könnten, wenn man sich bemühen würde, sie nach und nach aufzuarbeiten.

      90 % der Bevölkerung sind von den Schädigungen betroffen. Diese aber werden zumeist nicht beziffert bzw. die Bezifferung dringt nicht ins breite öffentliche Bewusstsein.

      Die Kollateralschäden sind aber keine Schönheitsfehler, sondern erhebliche Systemschäden. Sinnlich wahrgenommen werden aber i.d.R. nur Einzelfälle. Oder wie es Hans See bereits in seinem Buch KAPITAL-VERBRECHEN 1992 formulierte:

      »Wenn man den Schleier der Werbung lüftet, mit dem wir Tag für Tag, Jahr für Jahr eingesprüht und eingehüllt werden, von den umsäuselnden bis marktschreierischen, jedenfalls die Verführungskünste ausnutzenden Medien bis zu den schicken Konsumtempeln und ›Einkaufsparadiesen‹, sieht die kapitalistische Warenwirtschaft nicht mehr so sanft, schick und geschmeidig aus, wie sie sich gerne darbietet. (…)

      Wenn die Menschen in den reichen Kapitalstaaten nicht nur die enormen Wachstumskräfte und eindrucksvollen Leistungen, sondern auch die anderen Folgen der Kapitalverbrechen sehen, spüren, hören oder riechen könnten, dann hätte eine reformsozialistische, ökologische Politik größere Verwirklichungschancen.«28

      Ja – wenn man die Folgen riechen, spüren oder sehen könnte … wenn! Erschwerend kommt hinzu, dass diese unschöne Seite der Wirtschaft regelmäßig und propagandistisch bedauernd als Ausnahme von der Regel dargestellt wird.

      Mehr noch: Täglich prasseln die wunderschönen Bilder und Filmsequenzen der so wunderbaren Welt der Werbung, des Glitzers und Glamours, der Supertechnik, der neuesten Spiele, Urlaubsparadiese und der heitersten Erleichterungen des Alltags


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