Liebe In Monte Carlo. Барбара Картленд
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Erstes Kapitel ~ 1904
„Tem ... pera! Tem ... pera!“
Die erregte Stimme schallte durch das kleine Haus. Tempera ließ das Kleid fallen, das sie gerade nähte, und lief zur Treppe. Unten stand ihre Stiefmutter. Sie trug einen federbesetzten Hut, ein grünes Kleid unter einem kurzen Pelzmantel und sah darin aus wie ein Paradiesvogel.
Sie blickte die Treppe hinauf und rief völlig außer Atem: „Oh, Tempera, ich habe es geschafft! Ich habe es geschafft! Komm schnell nach unten, ich muß es dir erzählen!“
Tempera lief die Treppe hinunter und folgte ihrer Stiefmutter in das kleine Vorderzimmer. Lady Rothley zog ihren Mantel aus und warf ihn auf einen Sessel.
Dabei preßte sie ihre Hände gegeneinander und sagte strahlend: „Er hat mich gefragt! Er hat mich tatsächlich gebeten, nach Südfrankreich zu fahren und auf sein Château zu kommen.“
Tempera rief entzückt: „Oh, Alaine, wie aufregend! Der Herzog ist nun doch deinem Charme erlegen!“
„Ich hatte da meine Zweifel“, erwiderte Lady Rothley ganz offen.
Sie setzte ihren Samthut ab und betrachtete sich im Spiegel über dem Kaminsims. Ein sehr schönes Gesicht unter rötlich goldenem Haar blickte sie an.
„Erzähl mir, was der Herzog gesagt hat“, bat Tempera, die hinter ihr stand. „Und wann wirst du abreisen?“
„Freitag“, gab Lady Rothley zur Antwort.
„Schon Freitag?“ rief Tempera überrascht. „Aber, Alaine, dann haben wir ja nur noch drei Tage Zeit, um alles vorzubereiten.“
„Von mir aus könnten es auch nur drei Minuten sein“, versetzte Lady Rothley. „Er hat mich eingeladen, und so werde ich auf sein Château bei Nizza fahren! Alles andere ist unwichtig.“
„Nun ... du hast sicher recht“, stimmte Tempera etwas zögernd zu. „Aber du brauchst Kleider.“
Lady Rothley beendete die eingehende Betrachtung ihres Spiegelbildes und wandte sich um: „Natürlich brauche ich Kleider, und außerdem brauche ich auch Geld, um sie zu kaufen.“
Sie sah den Ausdruck im Gesicht ihrer Stieftochter und fuhr fort: „Du weißt ja, daß die Sachen, die ich im letzten Sommer trug, nichts mehr taugen. Und in Südfrankreich kann es zu dieser Jahreszeit schon ziemlich warm sein. Schließlich haben wir ja März. Da kann es sogar schon heiß werden.“
„Das ist mir klar, Alaine“, stimmte ihr Tempera zu, „aber du weißt auch, daß es immer schwieriger wird, größere Geldbeträge aufzutreiben.“
„Ja, das stimmt. Haben wir denn nichts mehr, was wir verkaufen könnten?“
„Nur noch die eine Zeichnung, die wir für den Notfall aufbewahren wollten.“
„Dann verkaufe sie!“ rief Lady Rothley. „Dies hier ist eben ein Notfall. Ich bin mir sicher - ja, völlig sicher -, daß der Herzog sehr in mich verliebt ist.“
Da Tempera schwieg, fuhr Lady Rothley nach kurzer Pause fort: „Er sagte mir heute, ich sei der reinste Tizian. Wer war übrigens Tizian?“
Tempera lachte. Ihr besorgter Blick verschwand.
„Alaine, du mußt doch wissen, wer Tizian war! Und der Herzog hat völlig recht. Du siehst genauso aus wie seine ,Venus mit dem Lautenspieler' oder vielleicht auch wie die ,Venus mit dem Spiegel'.”
„Ist das ein Kompliment?” fragte Lady Rothley unsicher.
„Ein großes Kompliment!” beruhigte Tempera sie.
Sie liebte das Lächeln, das jetzt auf dem Gesicht ihrer Stiefmutter erschien.
Es war die Wahrheit, und der Herzog hatte damit völlig recht. Ihre Stiefmutter sah genauso aus wie die Modelle Tizians auf den beiden erwähnten Bildern. Denn Lady Rothley hatte dasselbe goldfarbene Haar, dasselbe runde Gesicht, die warmen Lippen, die großen fragenden Augen und dieselbe üppige Figur, nur hatte sie ihre Taille stark zusammengeschnürt, wodurch die vollen Kurven ihres Busens und ihrer Hüften betont wurden.
Diese S-Kurve war dem Einfluß und der Erfindung eines Amerikaners, Charles Dana Gibson, zu verdanken. Lady Rothley trug nämlich ein Korsett, das so geschnitten war, daß ihr Oberkörper kaum noch zur unteren Anatomie einer Frau zu gehören schien. Und so modellierte sie ihren Körper mit großem Geschick und war tatsächlich eine beeindruckend schöne Frau. Es überraschte Tempera daher nicht, daß der Herzog von Chevingham sie äußerst anziehend fand.
Als er ihre Stiefmutter zu den ersten Partys einlud, hatten sie dem keine besondere Bedeutung beigemessen. Denn die Partys in Chevingham House waren berühmt dafür, daß sich dort alle schönen Frauen versammelten.
Aber nach ein oder zwei Einladungen zu Bällen und Empfängen wurde Lady Rothley auch zu den intimeren Dinner-Partys gebeten. Und um diese Aufforderung beneidete sie wohl jeder Angehörige der oberen Gesellschaftsschicht.
Tempera und ihre Stiefmutter waren darüber sehr zufrieden, denn sie hielten die Abendgesellschaften für eine gute Gelegenheit, einen neuen Ehegatten für Lady Rothley zu finden. Dabei hatten sie ihre Erwartungen allerdings nie so hoch geschraubt, um auch den Herzog mit einzubeziehen. Aber die Einladung nach Südfrankreich schien doch dafür zu sprechen, daß er ein tieferes Interesse an ihr hatte.
„Ich muß Kleider haben - schöne Kleider!“ sagte Lady Rothley entschlossen.
Tempera bestätigte das, ohne zu zögern: „Natürlich, Alaine. Ich werde jetzt die Dürer-Zeichnung zu Papas Freund in der National Gallery bringen. Er hat sie schon immer bewundert, und wenn er sie nicht selbst kauft, wird er mich bestimmt an jemanden vermitteln, der sie erwerben will.“
„Während du das tust“, überlegte Lady Rothley, „wäre es wohl ganz gut, wenn ich sofort zu Lucille ginge und sie fragte, was sie bis zu meiner Abreise noch fertig bekommen kann.“
Tempera zögerte nur kurz, bevor sie zustimmte. Sie wußte, daß Madame Lucilles fließende Teegewänder und ihre herrlich modellierten Abendkleider ihrer Stiefmutter besser standen als alles, was andere Schneider anfertigen konnten. Allerdings war Lucille auch sehr teuer.
Aber da die Zeit drängte, ging Tempera jetzt schnell nach oben in ihr Zimmer, um Hut und Mantel zu holen.
Dann betrat sie das Arbeitszimmer ihres Vaters und nahm das einzige Bild, das dort noch verblieben war, von der Wand. Eine Reihe von hellen Rechtecken auf der Tapete zeigte nur zu deutlich, daß alles andere schon verkauft worden war.
Tempera sagte sich oft, sie hätte eigentlich vorhersehen müssen, daß ihnen nach dem Tod ihres Vaters kein Geld verblieb. Im Gegensatz zu ihrer Stiefmutter hatte sie noch genug gesunden Menschenverstand, um zu übersehen, wie wenig er in Wahrheit besessen hatte. Lady Rothley hingegen hatte stets in einer Phantasiewelt gelebt, in die etwas so Irdisches wie Geld niemals eingedrungen war.
Weil Sir Francis Rothley immer mit wichtigen Leuten verkehrte und ständig in große Häuser eingeladen wurde, die weltberühmte Kostbarkeiten enthielten, schien ihr der eigene Geldmangel nicht viel zu bedeuten. Jedenfalls nicht bis zu seinem Tod, einem Zeitpunkt, als sein kleines Einkommen als Treuhänder und Berater verschiedener Galerien versiegte.
Tempera hatte damals eine Liste ihrer Vermögenswerte angefertigt und ihre Stiefmutter zu der Einsicht gezwungen, daß es sehr schwierig sein würde, allein von ihrem Besitz zu leben.
„Wie können wir es denn schaffen?“ hatte Lady Rothley ratlos gefragt.
Niemals in ihrem ganzen behüteten Dasein hatte sie den Tatsachen ins Auge sehen müssen. Alaine Rothley war auf dem Lande aufgewachsen, als Tochter eines gebildeten, aber einfachen Landedelmannes. Sie hatte sich mit zwanzig Jahren mit einem Mann verlobt, der schon ein Jahr später in Indien ums Leben kam. Durch diese Tragödie war sie so unglücklich geworden, daß zunächst kein anderer Mann in ihrem Leben eine Rolle spielte. Dies änderte sich erst, als sie vierundzwanzig wurde und nach London zu einer Tante zog. Dort hatte sie zufällig Sir Francis Rothley auf einer Dinner-Party kennengelernt.
Er war von ihrer Schönheit so hingerissen, daß er - seit einem Jahr verwitwet - allen guten