Die Bargada / Dorf an der Grenze. Aline Valangin

Die Bargada / Dorf an der Grenze - Aline Valangin


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es, als kämen sie nur mehr zusammen, um sich zu streiten, wer dem andern folgen müsse, wobei es Orsanna immer deutlicher aufging, daß sie Giovanni nicht heiraten würde, wenn er nicht auf den Hof einzöge. Er hatte nachzugeben.

      Doch Giovanni dachte nicht daran, nachzugeben. Knecht seiner Frau, Knecht der Alten, Knecht des angestammten Meisters Bernardo, der wohl weggezogen war, aber einmal wiederkehren konnte, was auch Or­sanna dagegen behaupten mochte! Nein; wollte Orsanna nicht zu ihm ziehen, sollte sie es sein lassen. Es gab andere Mädchen, weniger hoffärtige, weniger herrschsüchtige.

      Kam er auf seiner Arbeitstour vor der Wirtschaft «Zur Post», die nun von der alten Paulina und ihrer Tochter Alda betrieben wurde, vorbei, setzte er sich gerne hinein. Der Wein war gut, und das Mädchen gefiel ihm nicht schlecht. Solange er in der Wirtsstube saß, lachte sie übers ganze Gesicht. Hatte die Mutter draußen zu tun, ging Alda auf den Fußspitzen bis zu seinem Stuhl und lehnte sich an ihn, der es nicht versäumte, ihre runde Weichheit tastend zu prüfen … Vielleicht waren es auch die Gespräche der Frauen, die ihn fesselten. Sie wußten vieles. Sie wußten alles, auch über die Bargada alles, über ihre frühern und jetzigen Bewohner, über Orsanna … Er konnte von diesen Dingen nie genug hören. Und er brauchte nicht zu fragen, die Frauen wurden nicht müde, zu erzählen. Eine seltsame Begebenheit reihte sich an die andere, und wenn Giovanni etwa auflachte, das sei alles Unsinn, so tischten sie gleich noch weit Besseres auf. Ja, er solle nur lachen! Da gab es ein Fenster im zweiten Stock der Bargada; es war nur angemalt des guten Aussehens wegen, aber – wer hätte es nicht schon gesehen – zu Zeiten, wenn einer der Armini am Sterben lag, dann leuchtete es auf, als brenne dahinter ein Licht … In einem solchen Hause sei nicht gut verkehren … Und hatte sich da nicht die Paulina doch einst überreden lassen, bei den Armini einzutreten und Kaffee zu trinken? Die alte Giulia hatte ihn selbst gekocht und schenkte ihn ein. Oben darauf legte sie ein wenig geschlagenen Rahm, mit Brotkrumen vermischt, und wünschte guten Appetit. Gleich verging der Paulina jedes Gelüste auf den Trank. So nimm doch, nimm, sagte die Giulia und stützte sich dabei auf ihre Ellenbogen, nimm doch, nimm, es soll dir gut tun. Und während Paulina aus Furcht ein paar Schlücke nahm, sah sie die Giulia immerzu sonderbar an. Gerade in den Mund sah sie ihr, das war es, zwischen den Zähnen hindurch in den Mund. Und als Paulina endlich aufstehen, danke sagen und gehen konnte, da war ihr so übel, daß sie nur knapp bis zur Fuchsenbrücke kam. Dort mußte sie sich übers Geländer neigen und mit Wucht alles von sich geben, was sie eben eingenommen … Ob es nun ratsam war, in dem Haus etwas zu genießen?

      Giovanni schüttelte den Kopf und sagte etwas von verrückten Weibern. Aber da kam er an die Rechte. Gleich fing Paulina wieder an: Und der Peppo selig, hatte er es nicht erfahren, ob es ratsam sei, etwas mit Arminis zu tun zu haben? Er spottete, alle seien Narren, und er wage es wohl, sich eine Ziege aus Arminis Stall zu kaufen. Eine Ziege sei eine Ziege, und wenn sie gut sei, so sei sie es, woher sie auch komme. Und um zu beweisen, daß er recht habe, ging er da nicht hin und kaufte sich die langhaarige, schwarze Ziege von Tomaso, jene seidenweiche, in die er sich dann so vernarrte, daß er darüber alles vergaß, sogar seine eigene Frau, daß es gesagt sei … Nein, nein … es war besser, man hielt sich abseits! Halb um Orsannas Sippe zu verteidigen, halb um mehr noch von diesen Geschichten zu erfahren, gab Giovanni einmal zu, er sei auch schon auf der Bargada ein und aus gegangen – was die Frauen wußten und weshalb sie mit solchem Eifer gegen die Arminis loszogen C; er trete etwa in die Küche und sitze zu den Alten, und ihm sei noch nie etwas Absonderliches aufgefallen. Da kreischte Paulina auf und versteckte das Gesicht in den Händen, während Alda breit das Kreuz schlug. «Nie gehört, wie es im Keller schnarcht und gähnt?» rief sie mit einer Stimme, die sich überschlug. «Gott steh dir bei, die Bärin, du wirst sie noch kennenlernen …»

      Giovanni fuhr es kalt über den Rücken. Er faßte das Tischblatt mit beiden Händen, als wolle er ein Stück herausbrechen. Nun sei es aber genug des Blödsinns, rief er aus. Das Glucksen im Keller sei ein Wetterzeichen. Genau wie hier in der Wirtschaft «Zur Post» die hintere Wand feucht anlaufe, wennʼs regnen wolle, so sei dann das Geräusch dort zu hören. Er wolle zahlen. Doch es schüttelte ihn. Er blieb sitzen und bestellte frischen Wein, obschon er wußte, daß Orsanna auf ihn wartete.

      Ja, Orsanna wartete auf Giovanni, und oft vergebens. Dann lag sie, überwach, mit weit offenen Augen in ihrer dunklen Kammer und lauschte. Hundert für einmal meinte sie, Giovannis Schritt von weitem zu vernehmen, zu hören, wie er leise die Haustüre öffne, die Treppe hinaufschleiche und bei ihr eintrete. Sie täuschte sich. Er war es nicht. Es war sonst etwas, das sich regte. Knisterte die Finsternis, wispelte der Wind draußen, tappte irgendein Tier herum? Sie wollte aufstehen und nachsehen, aber ihr war, sie sei mit jedem einzelnen Glied ans Bett gebunden, und nur ihre Gedanken könnten schweifen, wohin es sie trieb. In Schmerz und Zorn Giovanni, dem Treulosen, entgegen.

      Aber sie wartete nicht allein. Giulia, die Orsannas Liebesangelegenheit als ihre eigene Sache nahm und kaum mehr an anderes dachte, wartete mit. Sie wußte, was zwischen den beiden gespielt wurde; sie erriet, was sie nicht wußte. Sie kannte die Gewohnheiten der Liebenden, denn sie huschte nachts im Hause herum und sah, ungesehen, was die beiden trieben. Sie war nicht wenig stolz, auf ihre Art bei allem dabei zu sein, und bildete sich gerne ein, die Fäden, die halte sie in der Hand, und sie sei es, die daran ziehe und die andern nach ihrem Belieben bewege. Verstand sie doch etwas von Wünschen und Wirkungen … Solange das verliebte Tun des Paares anhielt, war sie vergnügt und beglückwünschte sich selbst dazu. Doch früher als Orsanna spürte sie die langsame Wandlung in Giovannis Gefühlen. Sie kam in Sorge. Was sollte das heißen? Der Bursch entzog sich der Bargada? Orsanna wußte ihn nicht zu halten? Da mußte sie einschreiten. Mit sorgfältiger Beflissenheit machte sie sich bereit, Orsanna zu helfen. Nicht vergebens gab es allerlei erprobte Mittelchen, um widerspenstige Freier zu binden, vergehende Liebe neu entbrennen zu lassen … Sie nahm sich die Zeit zu allem Nötigen, verknotete kunstvoll roten Bindfaden und vergrub ihn auf dem Wege, wo er seine geheime Kraft dem Gemeinten entsenden konnte, legte Steine aus, mit Sprüchen geladen, versteckte hinter Bäumen am Wege Männchen aus dem Holz der alten Bargadaesche, die als kräftige Wegweiser dienen sollten. Daß dies nicht viel zu nützen schien, daß Giovanni trotzdem seltener zu Orsanna kam, wunderte sie. Es hieß also, mehr zu tun, einen Schritt weiter zu gehen. Orsanna selbst mußte Mittel anwenden.

      Sie hatte sich bis dahin gehütet, der Nichte gegenüber, die schwieg, deren Liebesbeziehung zu erwähnen. Heimlich freute sie Orsannas Annahme, sie wisse von nichts. Nun aber konnte sie nicht weiter zuwarten, bis es dem Mädchen paßte, sich ihr anzuvertrauen. Als Nacht und Stunde herankamen, die Giulia als die richtigen errechnet hatte, trat sie sachte in die Kammer der Nichte, ein Licht in der einen, ein Pfännchen in der andern Hand. Orsanna setzte sich im Bett auf, mehr verblüfft als erschreckt, obwohl die Alte befremdlich genug aussah. Sie hatte ihren Rock hoch aufgeschürzt. Über ihre Beine hinunter hingen, bis auf die Füße, ein Paar ausgefranste Männerhosen. Das dunkle Kopftuch versteckte fast ihr ganzes Gesicht. Nur die spitze Nase guckte rot daraus hervor. «So gehtʼs nicht weiter», sagte Giulia ohne Einleitung. «Du mußt etwas tun.» Sie hielt Orsanna das Pfännchen hin. «Das mußt du mit ihm trinken. Er kommt heute nacht, es ist sicher.» Orsanna fühlte wie Erleichterung sie durchflutete, als habe sich in ihr plötzlich eine Schleuse geöffnet. Ohne den kürzesten Zweifel war sie für das Unternehmen der Alten gewonnen. Die Frauen sahen sich an. Da gab es nichts zu erklären, auch nichts zu verstecken. Eine Spiegel der andern, nickten sie sich gleichzeitig zu. Orsanna nahm das Pfännchen und neigte ihr Gesicht darüber. Langsam zog sie den herben Geruch der Kräuter ein. Als sie aufsah, war die Alte verschwunden.

      Um diese Zeit trat Giovanni ins Haus ein. Er bemerkte den Lichtschein und blieb unschlüssig stehen. Aus Furcht, eine der Alten könnte ihn überraschen, drückte er sich hinter ein Faß, das neben der Küchentür aufgestellt war. Von hier beobachtete er das Licht. Es bewegte sich vorwärts, der Treppe zu. Doch, was war das? Was kam da die Stufen herunter? Das war kein Mensch! Das war ein Tier, mit zottigem Fell, das war die Bärin! Aufrecht ging sie, auf schweren Füßen, fürchterliche Krallen an den Zehen. Giovanni bog sich in jähem Schrecken zusammen und verbarg sein Gesicht in den Armen, sich zu schützen und nichts mehr zu sehen. Es flackerte ihm vor den Augen in roten Flammen und gelben Blitzen. Ihm schien, der Boden bebe, die Luft sei dick wie Rauch und rieche, weiß Gott, nach Schwefel. Zwischenhinein sagte er sich, er habe wohl einen Rausch, der Wein der Alda sei stärker,


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