Depression und Burn-out überwinden. Dr. Sabine Gapp-Bauß
viele an Depression Leidende noch keine Hilfe finden konnten. Auch gibt es keine Patentrezepte für Menschen, die an einer zunehmend süchtigen Gesellschaft mit all ihrer Wohlstandsverwahrlosung und der damit verbundenen Sinnentleerung leiden. Jedoch haben mir meine guten Erfahrungen in der Arbeit mit Depressiven, die schon sehr lange krank oder wiederholt erkrankt waren, bestätigt: Heilung im Sinne einer geglückten Lebensbewältigung ist grundsätzlich immer möglich. Mit welchen Hilfsmitteln, ob mit oder ohne medikamentöse Unterstützung, sei dahingestellt. Sie, die Sie auf der Suche nach Antworten sind, werden hier viele Anregungen finden, wie Sie einen Schritt weiterkommen auf dem Weg zu Ihrer ganz persönlichen Gesundheit, nämlich der Fähigkeit, Ihr Leben wieder selbst zu steuern. Heilung setzt also die folgenden Schritte voraus:
•die Symptome verstehen
•das System beruhigen
•gute Rahmenbedingungen schaffen
•neue Perspektiven entwickeln
An der Tür des Aufenthaltsraumes einer psychosomatischen Klinik fand ich folgenden Spruch, dem nichts hinzuzufügen ist:
„Krankheit ist ein Symptom verirrten Lebens. Sie drosselt das Tempo falscher Bewegung. Denn verlangsamtes Leben findet zu sich selbst zurück. Der Körper verweigert sich weiterer Oberflächlichkeit und zwingt das Leben in die Tiefe.“
Foto Franziska Bauß
Themenkreis 1: Die Krise ist da
Der erste Schritt
Zum Verständnis:
Es gibt ein einfaches Grundprinzip: Alles, was wir annehmen, kann sich wandeln. Alles, was wir zu vermeiden versuchen, nicht wahrhaben wollen oder wogegen wir ankämpfen, bleibt so, wie es ist, oder verstärkt sich. Vor allem aber: Für unser Gehirn ist das sehr anstrengend und macht nur zusätzlichen Stress. Diese Einschätzung mag Ihnen vielleicht absurd vorkommen oder nach Fatalismus klingen. Dem ist nicht so. Annahme heißt, den derzeitigen Zustand voll und ganz anzunehmen. So verrückt es für Sie klingen mag:
Lassen Sie innerlich los, indem Sie die Schultern locker lassen und ausatmen. Gestehen Sie sich ein: „Ja, ich bin gerade in einer Krise. Ich weiß weder ein noch aus und ich brauche Unterstützung.“ Damit hört der Kampf auf und in Ihrem Innern kommt etwas zur Ruhe. Das ist der erste Schritt auf Ihrem Heilungsweg.
Es ist geradezu eine paradoxe Intention, die Depression mit all ihren Begleiterscheinungen wie Verzagtheit, Angst und innerer Leere willkommen zu heißen im Sinne einer wichtigen Information, die Ihnen etwas sagen und von Ihnen ganz persönlich verstanden werden möchte.
Warum wehren wir uns dann so vehement gegen diesen Zustand? Nun, Annehmen ist nicht so einfach. Krank sein will kaum jemand. Jeder Mensch kämpft erst einmal dagegen an, sich schlecht zu fühlen oder gar krank zu sein, selbst wenn es nur eine Grippe ist. Erst recht kämpfen wir, solange es geht, gegen Stimmungstiefs oder Schwächezustände an. Sie stören das eigene Selbstbild, insbesondere, wenn wir gelernt haben, immer zu funktionieren und uns stark zu zeigen. Vielleicht sind Sie außerdem seit Jahren an Gefühle des Unwohlseins und innere Spannungszustände gewöhnt. Gestresst, unglücklich und überanstrengt zu sein gehört für Sie vielleicht zum normalen Lebensgefühl. Auch deshalb fällt es schwer, sich auf einmal als schonungsbedürftig zu bezeichnen und die Krankheit anzunehmen.
Immerhin ist es ein gutes Zeichen unseres Menschseins, dass wir so lange wie möglich hoffen, es würde uns von alleine bald wieder besser gehen. Hinzu kommt, dass die Depression eine Diagnose ist, die in unserer Gesellschaft immer noch mit Scham besetzt ist. Viel „besser“ ist es, einen Herzinfarkt zu bekommen. Die Gesellschaft honoriert diese Diagnose sehr viel eher. Würde man den Herzinfarkt als „die Krankheit des gebrochenen Herzens“ bezeichnen, so hätte dies einen deutlichen Imagewechsel zur Folge. Ich halte deshalb das Eingeständnis, seelische Probleme zu haben und Hilfe zu suchen, für einen sehr mutigen Schritt, mit dem der Heilungsprozess beginnt. Indem wir wenigstens für einen Moment die unangenehmen Symptome willkommen heißen und sie genau ansehen, geben wir unserer Seele die so notwendige Entlastung. Der Kampf hört auf und der seelische Stresspegel wird sofort „heruntergedimmt“.
Ich erinnere mich an eine Frau, die seit Jahren gewohnt war, ihr Grundgefühl von Überforderung, das schon als Kind sehr ausgeprägt war, tapfer „wegzudrücken“. Ihre innere Leere und viele Körpersymptome signalisierten jedoch den starken seelischen Schmerz und sie hatte große Angst davor, dies zuzugeben. „Nein, das muss man unterdrücken!“, war ihre Überzeugung, die sie mit heftigem Kopfschütteln bekräftigte. Als ich ihr die Angst vor der „Kapitulation“ nahm und sie zu diesem überwältigenden Gefühl von Überforderung, Ohnmacht und Selbstabwertung stehen konnte, entspannte sich ihr ganzer Körper: „Jetzt, wo ich es zulasse und Ihnen glauben kann, dass das nicht gefährlich ist, geht es mir besser“, bemerkte sie.
Menschen, die in eine Krise geraten sind, äußern sich oft sehr widersprüchlich: Auf der einen Seite sind sie ganz froh, sich endlich eingestehen zu dürfen, dass es so nicht weitergeht, doch andererseits macht die Erkenntnis, krank zu sein, ihnen Angst. Da fallen Bemerkungen wie diese: „Es fühlt sich eigentlich an wie eine Erlösung, dass ich morgen nicht wieder vor all diesen Aufgaben stehe, aber ich kann doch jetzt nicht einfach nur noch meinen Bedürfnissen nachgehen.“ Außerdem fragen sich die meisten: „ Wann bin ich wieder gesund?“ Es gibt zwar unter Psychiatern den gängigen Spruch: „Jede Depression ist irgendwann vorbei!“ Doch diese Aussage ist für die Betroffenen wenig tröstlich.
Annahme ist bei jeder Krankheit ein wichtiger Heilungsfaktor, doch mehr noch als bei körperlichen Krankheiten ist für die Heilung seelischer Beeinträchtigungen die Selbstannahme eine unabdingbare Voraussetzung.
Der Stress wird nämlich dadurch erhöht, dass die Betroffenen viel Energie darauf verwenden, sich „zusammenzureißen“ und gegen Erschöpfung, Niedergeschlagenheit und innere Spannungen anzukämpfen. Durch Annehmen verringert sich dieser Stress automatisch und die Neurotransmitter im Gehirn kommen wieder in die Balance. Damit beginnt ein äußerst wichtiger psychischer Prozess.
Die Krankheit anzunehmen ist in gewisser Weise eine „Kapitulation“. Zu kapitulieren beinhaltet den Mut, zuzugeben, dass Sie Ihr Leben gerade nicht mehr im Griff haben und Hilfe brauchen. Viele Betroffene haben mir nach ihrer Genesung berichtet, dass die wirkliche Kapitulation vor den eigenen Problemen ein erlösender Moment gewesen sei, an dem ihre Heilung begonnen habe. Warum ist das so und was geschieht da in unserem Inneren?
In dem Moment, in dem wir den Dingen ins Auge sehen und sagen: „Ja, so ist es gerade mit mir“, hört das Kämpfen auf. Die Seele entspannt sich. Der Atem wird ruhiger, die Spannung in den Muskeln lässt deutlich nach und die Ausschüttung von Stresshormonen nimmt ab. Unser Gehirn kann sich erholen, da es nicht mehr ausschließlich mit Verdrängung beschäftigt ist. Verdrängen kostet viel Energie und aktiviert das innere Notfallprogramm. Um diese Energie aufzubringen, benötigen wir viele zusätzliche Vitamine und Mineralien, die aber dem Körper, insbesondere dem Nervensystem, nicht zur Verfügung stehen. Dieser Mangel destabilisiert die Psyche.
Die Kapitulation ist wie der Ausstieg aus dem Hamsterrad. Es entsteht ein neuer Blickwinkel. Statt immer nur danach zu schauen, was man können müsste oder was andere von einem erwarten, kann die ganze Energie auf die Analyse des derzeitigen Lebens und die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse verwendet werden. Genau das ist die Voraussetzung für den Heilungsprozess. Je bewusster Sie diesen Schritt tun, desto schneller kommt das gesamte System zur Ruhe. Mit der folgenden Übung können Sie die Selbstannahme bekräftigen.
Meine Empfehlung:
Begeben Sie sich an einen Ort, an dem Sie ungestört sind, oder kommen Sie gerade da, wo Sie sind, einmal ganz zu sich: Spüren Sie ganz konkret den Boden unter Ihren Füßen und den Kontakt Ihres Körpers mit der Unterlage, dem Stuhl, dem Sessel. Legen Sie Ihre Hände überkreuz auf Ihren Brustkorb oder