Wie im Flug. Ursula Stenzel

Wie im Flug - Ursula Stenzel


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meine Taufpatin in den Dienst der von christlich geprägter Ethik bestimmten Humanität gestellt hatte, leider in den meisten Fällen vergeblich. Born wurde übrigens in Israel mit dem Titel eines „Gerechten unter den Völkern“ geehrt, und Tante Trude stand bis zu ihrem viel zu frühen Ableben 1959 mit ihm in enger Verbindung. Ich habe noch ihre Worte im Ohr, wenn sie eine Einladung bei uns absagte: „Nein, da kann ich nicht, da habe ich Pater Born.“ Diese Termine waren ihr heilig. Gertrud Steinitz-Metzler und Arnold Dolezal, der Pfarrer von St. Nepomuk in der Leopoldstadt, waren die geistigen und psychischen Stützen meiner Eltern und auch meiner Schwester während der Zeit des Nationalsozialismus.

      Ich greife diese Romandokumentation meiner Taufpatin hier auf, weil sie für mich die ganze Tragik der katholischen Kirche, des Wiener Erzbischofs Kardinal Innitzer und der konvertierten Juden zum Ausdruck bringt. Der Übertritt zum Katholizismus hat sie nicht vor der Verfolgung bewahrt. Ich möchte in diesem Zusammenhang erwähnen, dass meine Schwester Marianne erst am 19. April 1937 getauft wurde, also mit fünf Jahren, und sich meine Mutter erst am 2. April 1938 taufen ließ. Es erscheint mir aus heutiger Sicht bemerkenswert, dass in meinem Elternhaus über die Beweggründe meiner Mutter, zum katholischen Glauben überzutreten, kaum gesprochen worden ist, außer dass sie dies aus Liebe zu meinem zugegebenermaßen sehr gläubigen Vater getan hat. Zur Zeit ihrer Eheschließung 1931 waren beide noch konfessionslos, wohl aus Rücksichtnahme auf die Familie meiner Mutter. Zweifellos und auch aus der Erkenntnis erst jüngst veröffentlichter historischer Arbeiten1 über das Schicksal der Mischlinge und Mischehen2 im Dritten Reich hat die Erwartung, durch den Übertritt zur katholischen Kirche geschützt zu sein, eine Rolle gespielt. Der Schutz war allerdings ein relativer. Auch gegeben durch das heldenhafte Verhalten meines Vaters, der zu seiner Frau und seiner Tochter ohne Wenn und Aber stand. Dass mein Vater bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nicht einrücken musste, war ein Glücksfall und seinem Geburtsjahrgang 1901 geschuldet. Er war also bei Kriegsausbruch zu alt. Allerdings musste er einer Arbeit nachgehen, schon allein, um seine Familie zu erhalten. So kam er zur Firma Pintsch in Simmering, ein Glücksfall, denn infolge der dortigen Rüstungsproduktion wurde mein Vater UK gestellt, galt also als unabkömmlich und wurde auch weiterhin nicht zur Wehrmacht eingezogen. Was meiner Mutter trotz ihrer Konversion und der Ehe mit meinem Vater nicht erspart blieb, waren Diskriminierungen im Alltag, das Gebrandmarktsein durch das verpflichtende Tragen des Judensterns, die ständige Angst, das Gefühl, vogelfrei zu sein. In den letzten Kriegsjahren wurde sie zur besagten Zwangsarbeit in der Leergutsammelstelle verpflichtet. Meine Schwester galt als „Mischling ersten Grades“ und war daher nicht würdig, nach der Volksschule eine normale weiterführende Schule zu besuchen. Sie musste in eine Schule für „geistig Minderbemittelte“ gehen, obwohl sie die Aufnahmeprüfung bestanden hatte. Als meinen Eltern dies mitgeteilt wurde, waren beide selbstmordreif; mein Vater bekam einen solchen Schreikrampf, dass seine Stimme bis an sein Lebensende gebrochen war. Dass meine Mutter erst im April 1938 konvertierte, halte ich für besonders bemerkenswert, da ihre Mutter damals noch lebte und diesen Schritt offenbar goutierte, denn Klara Stern ist ihrer schweren Krankheit erst am 18. November 1938 erlegen. Sie hat den Übertritt ihrer Tochter zum Katholizismus also noch erlebt.

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      © Privatarchiv

       Weihnachten in der Kriegszeit: Besuch von Pfarrer Dolezal.

      Kardinal Innitzer ist trotz seines Engagements für die „nichtarischen Katholiken“ den Makel nicht losgeworden, dass er an der Spitze der österreichischen Bischofskonferenz die Katholiken dazu aufgerufen hatte, bei der Volksabstimmung am 10. April 1938 für den Anschluss zu stimmen, und diesen Aufruf in einem Begleitschreiben handschriftlich mit „Heil Hitler“ unterzeichnet hatte. Er war bestrebt, die Kirche vor Repressalien zu bewahren. Dies ist nicht gelungen, wie die heute noch sichtbaren Spuren des Sturmes auf das erzbischöfliche Palais durch die organisierte Hitlerjugend am 8. Oktober 1938 bezeugen.

      Einzelne Priester haben sich von Anbeginn an der Instrumentalisierung durch die Nationalsozialisten widersetzt. Einer davon war Arnold Dolezal, der meinen Eltern und meiner Schwester beigestanden hat und viele Male bei uns zu Gast war. Ich habe ihn als hochkultivierten und Würde ausstrahlenden Priester in Erinnerung und weiß, wie viel Rückhalt er meinen Eltern und meiner Schwester während der Jahre des Nationalsozialismus gegeben hat.

      Mein Vater zeigte seine Verbundenheit mit der katholischen Kirche in der NS-Zeit demonstrativ, mit Kirchenplakaten ebenso wie mit dem Besuch eines Seminars über das Alte Testament, das ein gewisser Franz König hielt, der spätere Kardinal und Erzbischof von Wien. Den Einsatz all dieser Menschen, ob es Carl von Peez, Gertha Gloss, Arnold Dolezal oder Gertrud Steinitz-Metzler waren, kann man nicht hoch genug einschätzen, und es ist mir ein Anliegen, sie in meinen Erinnerungen zu würdigen.

      Unter den konvertierten Wiener Juden und auch in meinem Elternhaus war von Innitzer in einem Anflug von Ironie und Resignation als „inser Unnützer“ die Rede. Es war nicht despektierlich, nicht abwertend, sondern eher liebevoll gemeint. Ich erwähne das hier nur, weil ich der heutigen Generation der Enkel und Urenkel, der Besserwisser und Selbstgerechten etwas mehr historisches Verständnis und Nachsicht wünsche, auch und gerade gegenüber der katholischen Kirche und ihrer Rolle im Dritten Reich.

       Die Ursulinen

      Die Ursulinen waren ebenfalls entscheidende Überlebenshelfer, und aus dieser Verbundenheit heraus habe ich den Namen Ursula erhalten. Als es meiner Schwester aus rassischen Gründen versagt war, eine normale weiterführende Schule, ein Gymnasium, zu besuchen, und der kindliche Ausdruck in ihrem Gesicht einem zu frühen Erwachsensein wich, wovon die Kindheitsfotos ein beredtes Zeugnis ablegen, fand sie Zuflucht bei den Ursulinen in der Johannesgasse in der Inneren Stadt.

      Die Mutter meines Vaters, meine geliebte Omi, eine geborene Henriette Deipenbrock und seit Langem geschiedene Stenzel, die bis zu ihrem Tod mit 91 Jahren mit uns unter einem Dach wohnte, erinnerte sich daran, dass nicht nur sie, sondern auch ihre Schwester Ella und schließlich auch ihre Tochter Vera, die ältere Schwester meines Vaters, also alle Mädchen in dieser Familie, bei den Ursulinen in die Schule gegangen waren – meine Großmutter und ihre Schwester noch in Mährisch-Ostrau, wo sie wegen der Versetzung ihres Vaters Heinrich Deipenbrock, der Inspektor bei der Nordbahn gewesen war, ihre Kindheit verbracht hatten, später die Schwester meines Vaters, Vera Stenzel, eine Absolventin der Lehrerbildungsanstalt der Ursulinen in Wien, die damals in dem altehrwürdigen Klostergemäuer in der Johannesgasse untergebracht war, wo heute die Abteilung für Kirchenmusik der Universität für Musik und darstellende Kunst ihre Heimstatt gefunden hat und auch ich zur Schule gegangen bin.

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      © Privatarchiv

       Meine Schwester als fröhliches Kleinkind.

      In dieser verzweifelten und hoffnungslosen Situation meiner Schwester Marianne entsannen sich meine Großmama und meine Eltern also der Ursulinen. Es muss das Jahr 1942 oder 1943 gewesen sein. Meine Mutter nahm meine Schwester an der Hand und klopfte an die Klosterpforte. Eine, wie sie sagte, junge und bildhübsche Nonne, als Mater Martina stellte sie sich vor, öffnete und führte sie hinein in einen Raum, wo andere junge Mädchen, ebenfalls aus verfolgten Familien, betreut wurden. Den Ursulinen war ja wie anderen Klosterschulen der Unterricht versagt worden. Es wurde gespielt, auf jeden Fall alles unternommen, um diesen jungen Mädchen ein wenig Ablenkung und Geborgenheit zu vermitteln. Darunter befand sich auch Ursel Kehlmann, die Schwester des späteren Regisseurs Michael Kehlmann und Tante seines Sohnes, des Schriftstellers Daniel Kehlmann. Es klingt wie Namedropping, das ist es aber nicht: Die Namen der Kinder, die von den Ursulinen hier in Obsorge genommen wurden, lasen sich wie das „Who’s who“ der gutbürgerlichen Wiener Gesellschaft, Kehlmann, Maculan, Schönbichler usw.

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      © Privatarchiv

       Mit


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