Taras Bulba. Nikolai Gogol

Taras Bulba - Nikolai Gogol


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      LUNATA

Taras Bulba

      Taras Bulba

      © 1835 by Nikolai Wassiljewitsch Gogol

      Originaltitel Taras Bul'ba

      Aus dem Russischen von Korfiz Holm

      Umschlagbild Vasily Surikov Kopf eines jungen Kosaken

      © Lunata Berlin 2020

      Inhalt

       Erstes Kapitel

       Zweites Kapitel

       Drittes Kapitel

       Viertes Kapitel

       Fünftes Kapitel

       Sechstes Kapitel

       Siebentes Kapitel

       Achtes Kapitel

       Neuntes Kapitel

       Zehntes Kapitel

       Elftes Kapitel

       Zwölftes Kapitel

       Über den Autor

      Erstes Kapitel

      »Dreh dich schnell einmal um, mein Sohn! Lächerlich siehst du aus! Was habt ihr für Pfaffenkutten am Leib? Lauft ihr auf der Akademie alle in solchen Kutten herum?«

      So begrüßte der alte Bulba seine beiden Söhne, die auf der geistlichen Schule in Kiew studiert hatten und nun ins Vaterhaus heimkehrten.

      Die Söhne, stämmige Burschen, die als kürzlich entlassene Seminaristen noch ein bißchen ducknackig dreinsahen, waren grade von den Pferden gestiegen. Ihre kräftigen, gesunden Gesichter zeigten den ersten Bartflaum, den noch kein Rasiermesser berührt hatte. Daß ihr Vater sie so empfing, verblüffte sie nicht wenig; sie standen reglos, mit gesenkten Lidern.

      »Halt, halt! Laßt euch doch richtig ansehn!« fuhr Bulba fort. »Was für lange Kittel habt ihr da an? So was von Kitteln! Solche Kittel muß es auf der Welt noch nicht gegeben haben. Lauft doch einmal ein Stück! Ich möchte sehn, ob ihr nicht über eure Schöße stolpert und in den Dreck fliegt.«

      »Laß doch das dumme Lachen, Vater, laß das!« sagte endlich der ältere von den beiden.

      »Sieh nur den Hitzkopf an! Warum soll ich nicht lachen?«

      »Darum! Und magst du zehnmal unser Vater sein – wenn du mich auslachst, nun, bei Gott, dann hau ich zu!«

      »Na, du bist mir ein Sohn . . .! Was . . .? Deinen Vater . . .?« sagte Taras Bulba und prallte vor lauter Staunen ein paar Schritte zurück.

      »Vater oder nicht! Wenn mir einer dumm kommt, hau ich zu, wer es auch ist.«

      »Also, wie tragen wir es aus? Durch Faustkampf?«

      »Ist mir gleich!«

      »Recht! Also Faustkampf!« sagte Bulba und krempelte die Ärmel hoch. »Wird sich ja zeigen, wie du dich bewährst im Faustkampf!«

      Und Vater und Sohn begannen sich, statt einer Begrüßung nach der langen Trennung, Püffe in die Rippen, gegen Bauch und Brust zu geben. Bald traten sie zurück und maßen sich mit den Blicken, bald gingen sie wieder aufeinander los.

      »Seht nur, liebe Leute: der Alte ist närrisch! Er hat einfach den Verstand verloren!« sagte die blasse, abgehärmte, weichherzige Mutter der beiden, die in der Tür stand und ihre Lieblinge noch nicht hatte umarmen können. »Die Kinder kommen heim, man hat sie länger als ein Jahr nicht gesehen; und was denkt er sich aus: Faustkampf!«

      »Na, er haut nicht schlecht zu!« sagte Bulba und hielt inne. – »Ja, das kann man sagen!« fuhr er fort, nachdem er sich etwas verpustet hatte. »Scheint mir fast klüger zu sein, man versucht es nicht erst. Das wird mir ein guter Kosak! Na, sei gegrüßt, mein Sohn! Gib mir nen Kuss!« Und Vater und Sohn begannen sich zu küssen. »Brav, mein Sohn! Hau jeden so, wie du mich jetzt verdroschen hast; laß dir nichts gefallen, von keinem! Aber einen lächerlichen Kittel hast du darum doch an! Was baumelt denn da für ein Strick herunter? – Und du, Grünling, was stehst du da und läßt die Pfoten hängen?« wendete er sich an den jüngeren. »Warum haust du mich nicht, Hundsfott?«

      »Was er sich nicht noch alles ausdenken wird!« sagte die Mutter, die inzwischen ihren Jüngsten umarmt hatte. »Setzt sich in den Kopf, der leibliche Sohn soll den Vater schlagen! Und noch dazu grade jetzt: wo das arme Kind solch einen Weg hinter sich hat und so müde ist . . .!« Das Kind war gut zwanzig Jahre alt und genau sechs Fuß hoch. »Der Junge muß sich jetzt erst ausruhn und ein bißchen essen; und er will sich mit ihm prügeln!«

      »Ach, du bist ein Schlappschwanz, seh ich schon!« sagte Bulba. »Hör nicht auf die Mutter, mein Sohn: sie ist ein Weibsbild, sie weiß gar nichts. Wozu braucht ihr Erholung? Eure Erholung ist das freie Feld und ein guter Gaul! Das ist eure Erholung! Und seht ihr den Säbel da? Das ist eure Mutter! Lauter Dreck, was man euch in die Köpfe trichtert: die Akademie und alle die Bücher und Fibeln und Philosophie und das alles, was weiß ich – gepfiffen ist auf den ganzen . . .!« Hier gebrauchte Bulba ein Wort, das man einfach nicht drucken kann. »Nein, das Beste ist schon, ich schick euch noch diese Woche ins Lager. Das nenn ich Wissenschaft. Das ist die Schule für euch; da und sonst nirgends geht euch ein Licht auf.«

      »Und bloß eine Woche sollen die Jungen daheim sein?« sagte betrübt, mit Tränen in den Augen, die verhärmte alte Mutter. »Und kein Vergnügen sollen sie haben, die armen Kinder, und ihre Heimat sollen sie nicht kennenlernen, und ich soll sie nicht einmal richtig ansehn!«

      »Hör auf mit dem Heulen; hör auf, Alte! Ein Kosak ist nicht auf der Welt, um sich mit Weibsbildern abzugeben. Wenn du die beiden nur unter deinen Rock stecken und dich draufsetzen könntest, wie eine Henne auf ihre Eier . . .! Marsch, marsch, tisch auf, was da ist! Aber nichts von Krapfen, Honigkuchen, Mohnwecken und solchen Leckereien; einen ganzen Hammel trag auf, Lammsbraten trag auf und vierzigjährigen Met! Und nicht zu wenig Schnaps – keinen Schnaps mit neumodischen Erfindungen, nichts von Rosinen und dergleichen überspanntem Kram drin, reinen, schäumenden Schnaps – perlen muß er und zischen wie toll.«

      Bulba führte seine Söhne in die Stube. Dort waren zwei Mägde beim Aufräumen, hübsche Dinger mit roten Perlenschnüren um den Hals. Die Mädchen machten sich eilig zur Tür hinaus. Sie waren wohl erschrocken über die Ankunft der Jungherrn, die einem nicht gern etwas durch die Finger sahen, oder sie wollten vielleicht auch nur einfach die weibliche Sitte wahren, die einem Mädel gebietet, mit Gekreisch Hals über Kopf davonzurennen, sobald es ein Mannsbild erblickt, und dann noch lange vor übergroßer Scham das Gesicht hinterm Arm zu verstecken. Die Stube war im Geschmack jener Zeit eingerichtet, deren Gedächtnis nur noch in den Liedern und Volksballaden lebt, die heute im Grenzland keiner mehr von den langbärtigen blinden Alten singt, die sie einst zum leisen Geklimper der Pandora im Ring des Volkes sangen. Die Stube paßte gut in jene kriegerisch harte Zeit, da die Scharmützel und Schlachten wider die Union im Grenzland zu entbrennen begannen. Sie war mit lichter Leimfarbe sauber getüncht. An den Wänden Säbel, Knuten, Vogelgarne, Fischnetze und Flinten, ein kunstreich geschnitztes Pulverhorn, ein goldbeschlagener


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