Raban und Röiven Insel der Elfen. Norbert Wibben

Raban und Röiven Insel der Elfen - Norbert Wibben


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Stücke, falls DU noch Appetit haben solltest. Ich möchte nichts essen. Ich habe gerade erst gefrühstückt. Wenn es dir möglich ist, könntest du mir jetzt erzählen, wo wir hier sind und warum du am Ende deiner Kräfte im Gras liegst.«

      »Ja, also. Das ist eine etwas längere Geschichte. Sie beginnt eigentlich, als ich noch nicht geschlüpft war und in einem Ei lebte.«

      »So weit zurück musst du sicher nicht gehen«, versucht Raban, eine offenbar sehr lange Geschichte abzukürzen.

      »Das war natürlich scherzhaft gemeint. Da es aber um mich geht, liegt dort der Anfang. – Um das jetzt kurz zu machen: Meine übergroße Sorge um die Kinder ist wohl die Ursache.«

      »Aha. Kannst du noch ein bisschen genauer werden?«

      »Zoe hat mir immer wieder gesagt, dass ich um die Kinder zu fürsorglich bemüht bin. Bei Ainoa hat sie sozusagen noch ein Auge zugedrückt, da wir sie ja beinahe verloren hätten. Bei unseren in diesem Jahr geschlüpften fünf Kindern verlangte sie aber vorgestern, dass ich sie endlich sich selbst überlassen solle. Das war, nachdem ich dich und Ilea unter der Linde verlassen hatte. Die haben sich vor uns versteckt, so dass wir sie nicht finden konnten. Zoe hat mich darauf hingewiesen, dass sie nun für sich selbst verantwortlich sind und mich aufgefordert, sie zu ihrer Familie im Norden zu begleiten. Sie wolle sie wiedersehen, da sie schon lange nicht mehr dort gewesen ist. Wenn ich unsere Kinder weiterhin zu sehr umsorge, enge ich sie derart ein, dass sie uns später nicht mehr besuchen kommen werden. Wenn ich mich dagegen so verhalte, wie ihre Eltern es bei ihr gemacht haben, würden unsere Kinder uns auch später noch gerne besuchen. Da ich nicht wusste, was richtig ist, zögerte ich zu lange. Mit einem ärgerlichen Knarzen flog Zoe davon. Da ich weiß, wo ich sie finde, ließ ich sie fliegen. Meine Kinder wollte ich wenigsten noch einmal sehen, bevor ich sie davonziehen lasse. Seitdem habe ich sie ununterbrochen gesucht, ohne Erfolg zu haben. Ich habe kein Futter zu mir genommen, damit ich keine Zeit verliere. Jetzt sorge ich mich sehr um meine Kinder. Hoffentlich ist ihnen nichts passiert!«

      Raban muss seine ganze Überredungskunst anwenden, um Röiven daran zu hindern, erneut nach seinen Kindern zu suchen. Als sein Freund trotzdem sofort wieder davonfliegen will, kann er sich nicht zurückhalten.

      »Du hast soeben noch völlig ausgepumpt am Boden gelegen, konntest kaum deine Augen offenhalten, torkelst sogar jetzt noch beim Gehen und willst nach ihnen suchen? Das ist, verzeih bitte meine Ausdrucksweise, völlig schwachsinnig von dir. Und dabei heißt es, Fithich seien kluge Vögel. Ihr geltet als ebenso weise und klug wie Eulen. Das kann aber nicht stimmen, wenn ich deinen Starrsinn bedenke. Solltest du dich jetzt in die Luft erheben, werde ich dich vor dir selbst schützen und mit »Torpor« daran hindern.«

      »Du willst was?«, knarzt der schwarze Vogel aufgeregt und plustert sich auf. »Mich mit einem Zauber lähmen? Mich, deinen Meister, von dem du nicht nur die Magie … Ähem, hast du gerade gesagt, wir Fithich gelten als genauso klug wie Eulen?« Röiven steht abrupt still, und versucht in der Miene seines Freundes zu lesen. »Meinst du das wirklich, oder willst du mich nur auf andere Gedanken bringen?«

      »Fithich spielen weltweit eine Rolle in Sagen und Märchen. Demnach haben alte Götter und Könige ihre Weisheit, Intelligenz und Flugfähigkeit genutzt. Schon bei den Germanen und anderen nordischen Völkern wurden sie hochverehrt. Fithich symbolisierten in der nordischen Mythologie die Weisheit. Eulen standen dagegen in der griechischen Mythologie für Weisheit und Klugheit. Also könnte man sagen, ihr seid ebenbürtig. Wissenschaftler haben inzwischen bewiesen, dass ihr zusammen mit Krähen die klügsten Vögel, also sogar schlauer als Eulen seid.«

      »Auf uns Fithich trifft das zu, das habe ich eigentlich schon immer gewusst.« Röiven beginnt hin und her zu stolzieren, um dann wieder innezuhalten. »Aber die Intelligenz des Lumpenpacks soll ebenso groß wie unsere sein? Da muss sich ein Fehler eingeschlichen haben. Ha, ha, ha.«

      »Auch wenn du es nicht wahrhaben willst, das mit den Krähen stimmt. Das habe ich dir bereits im letzten Jahr gesagt. Doch was nutzt die größte Klugheit, wenn sie vom Eigensinn verdrängt wird?«

      »Wovon wird sie verdrängt?«

      »Von Starrsinn, wenn du das besser verstehst. Das bedeutet, du hast dich in etwas verrannt und willst, entgegen besserem Wissen, nicht davon lassen.«

      »Hm …«

      »Was, hm?«

      »Ja nun …«

      »Ja?«

      »Dräng mich doch nicht so!«

      »Ich treibe dich nicht.«

      »Doch, das tust du.«

      »Wenn du das so nennen willst. – Aber, wie entscheidest du dich?«

      »Was soll ich entscheiden?«

      »R Ö I V E N!«

      »Warum betonst du derart meinen Namen? Ist doch schon längst entschieden.«

      »Und?«

      »Jo.«

      »Was soll das jetzt heißen?«

      »Jo. Wir Fithich sind die klügsten Vögel.«

      »Darum geht es doch gar nicht!«

      »Nicht?«

      »Nein. Bleibst du, oder willst du deinen Kindern unsinnigerweise hinterherfliegen?«

      »Ach das! Unsinnig ist das keinesfalls.«

      »Nun?«

      »Da ich mit einer überragenden Klugheit ausgestattet bin, was sogar eure Wissenschaftler bestätigen, werde ich natür…«

      Plötzlich erschallt in der Ferne ein Schrei, der schrill in ihren Köpfen widerhallt, um dann langgezogen zu verklingen. Obwohl nichts zu verstehen ist, deutet der Ruf auf höchste Not hin.

      »Was war das?«

      »Meine Kinder!«, knarzt Röiven und erhebt sich, um in die Richtung zu fliegen, aus der der Schrei kam. Raban hat sich ebenfalls erhoben und rennt dem Vogel hinterher. Es geht auf dem Bergrücken an der großen Eiche vorbei. Zu Fuß vermag der Junge den Raben natürlich nicht einzuholen, obwohl dessen Flug nicht ganz so schnell wie sonst ist, was eine Folge seiner Erschöpfung ist. Um mithalten zu können, nutzt Raban wiederholt den magischen Sprung. Trotzdem ist ihm der Kolkrabe voraus. Jetzt geht der Bergkamm in einen sich windenden Pfad über, der hangabwärts führt. Es stehen nur vereinzelte Bäume auf dem mit kargem Gras bewachsenen Hang. Konnte der Schall deshalb bis zu ihnen gelangen? Der Junge schüttelt den Kopf. Das ist jetzt unerheblich, da offenbar jemand Hilfe benötigt. Doch zu sehen ist niemand und ein weiterer Schrei erschallt nicht.

      »Siehst du etwas, mein Freund?«, sendet Raban.

      »Bisher nicht. Halt, sollte das …«, knarzt die Antwort.

      »Wo bist du? Ich kann dich nicht sehen.«

      »Im Tal, hinter den drei Bäumen. Dort steht ein Haus.«

      »Ich sehe dich!« Raban hat zwei magische Sprünge ausgeführt und erblickt nun ein altes Haus, das sich hinter den drei großen Fichten scheinbar auf den Boden duckt. Dieser Eindruck drängt sich sofort auf, da das mit Reet gedeckte Dach weit herunter reicht. Es ist stark gewellt und an vielen Stellen mit dunklem Moos bewachsen. Die Außenwände, soweit sie unter dem herabreichenden Dach zu erkennen sind, sind mit einem gelblich grauen Putz versehen. Die Fenster besitzen Sprossen, die Scheiben wirken stumpf. Das Haus macht den Eindruck, unbewohnt und lange nicht genutzt worden zu sein. Woher kam aber der Schrei? Der Junge blickt sich suchend um.

      »Hast du etwas entdeckt?«, fragt er gedanklich seinen Freund, der nicht mehr in der Luft schwebt.

      »Komm schnell und hilf mir«, antwortet dieser sofort.

      »Wo


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