Appeasement und Überwachung. Shimona Löwenstein

Appeasement und Überwachung - Shimona Löwenstein


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und warum, soll später an bestimmten Beispielen erklärt werden.

      Zuerst sollte aber erst klargestellt werden, worum es in diesem Buch geht und was damit beabsichtigt wird. Also es geht hier nicht um Kriege, Bürgerkriege, Terror und sonstige Massenverbrechen in der ganzen Welt, über die in den Medien berichtet wird. Und auch nicht um Bekämpfung von Armut und Kriminalität in der Dritten Welt, die in der gerade erläuterten fiktiven Geschichte angesprochen wurde. Diese Darstellung bezieht sich nur auf unsere westliche demokratische Gesellschaft, speziell die deutsche, und zwar auch nur in bezug auf Innenpolitik, nicht etwa auf internationale Beziehungen oder militärische Auslandseinsätze. Das alles sind zwar damit auch zusammenhängende Themen, die aber anderswo behandelt werden.

      Man könnte einwenden: Was gibt dann noch zu bemängeln? Deutschland ist doch im internationalen Vergleich ein durchaus friedliches Land mit immer noch relativ großem Wohlstand, sozialen Absicherungen und allgemeiner Schulpflicht, ein Rechtsstaat und stabile Demokratie. Das ist alles richtig – trotz heftiger Kritik an bestimmten Entwicklungstendenzen der letzten Jahrzehnte. Das heißt aber nicht unbedingt, daß es so bleiben muß. Außerdem ist in der letzten Zeit eine Art Brutalisierung der Gesellschaft in mehreren Hinsichten zu beobachten, die auf schlimmere Zustände in der Zukunft schließen läßt. Doch selbst wenn dies nicht der Fall wäre, schließlich geht es bei diesem Thema immer darum, wie bestimmte Formen der in der Gesellschaft real vorhandenen Gewalttätigkeit (menschenfeindliche Handlungen, Jugendgewalt, Mißhandlungen und Körperverletzung und andere kriminelle Taten, wie Erpressung, Einschüchterung usw., bis hin zu Morden und möglichen Terroranschlägen) sowie die ideologischen Motive, die zu solchen Taten verleiten (z.B. Rechtsradikalismus oder Islamismus) soweit wie möglich beseitigt werden können, damit ein friedliches und möglichst sicheres Zusammenleben in einer freiheitlich verfaßten Gesellschaft gewährleistet wird. Nur scheinen die heute vermehrt propagierten und bestehende rechtsstaatliche Strukturen beeinflussenden Methoden der scheinbar„präventiven Gewaltbekämpfung“ nicht zu greifen, manchmal sogar die Ausbreitung der Gewalttaten eher zu begünstigen. Mit dieser Problematik, nämlich den theoretischen Annahmen bzw. ideologischen Hintergründen der friedlichen (Antigewalttraining, Konfliktmanagement) sowie auch der restriktiven (Überwachung, Zensur) Mittel der Kriminalitäts- und Gewaltbekämpfung und deren Versagen in der Praxis, setzt sich diese Darstellung an Beispielen aus drei gesellschaftlichen Bereichen auseinander. Es soll auf die Diskrepanz zwischen den Zielvorstellungen der theoretischen Lösungen und der gesellschaftlichen Realität sowie auf bestimmte Deformationen im Konzept des Rechtsstaats (in bezug auf Rechtssicherheit, Gleichbehandlung usw.) und der Gerechtigkeit (Perspektive der Opfer) und andere unerwünschte Nebenfolgen hingewiesen werden, die infolge dieses neuen Paradigmas im Umgang mit Kriminalität und Gewalt auftreten.

      Was ist mit diesem neuen Paradigma gemeint? Es handelt sich um keine neue Vorstellung über Friedfertigkeit und Gewaltlosigkeit um jeden Preis, die mit dem Schlagwort „Gewalt ist keine Lösung“ zu einer kaum angefochtenen Handlungsmaxime der heutigen Gesellschaft geworden ist. Diese Einstellung ist durchaus begrüßenswert und richtig, sofern man sie als notwendige Voraussetzung und Bestandteil aller gesellschaftlichen Spielregeln auffaßt und diese von allen Teilnehmern gleichermaßen akzeptiert wird. Wenn es jedoch nicht der Fall ist, oder wenn es gerade darum geht, diesen Übergriffen Einhalt zu gebieten, versagt sie. Nur handelt es bei der Kriminalitäts- und Gewaltbekämpfung gerade um die Fälle des Bruchs mit den zivilisierten Regeln des Umgangs der Menschen miteinander, es geht hier nicht um friedliche Konfliktlösung durch Überzeugung und gegenseitigen Respekt, sondern um den Schutz der Menschen und der Regeln selbst, die diese Art von friedlichen Lösungen überhaupt ermöglichen. Das ist schließlich auch die Pointe einer möglichen Fehlinterpretation der vorigen fiktiven Geschichte des Schulkinds: Die gut gemeinte „präventive“ Maßnahme trifft nicht die richtige Zielgruppe, d.h. diejenigen, die mit Rechten und Gesetzen nichts anzufangen wissen oder sie überhaupt ablehnen. Mit anderen Worten: Die eigene Friedfertigkeit nutzt nichts angesichts brutaler Gewalt. Das gilt nicht nur für den Einzelfall, sondern allgemein: Auch Resozialisierung und Dialog der Kulturen als Mittel gegen Gewalt können nur dann funktionieren, wenn sie auch von den Anderen akzeptiert werden. Allgemeine Überwachungs- oder Zensurmaßnahmen treffen ebenfalls am Ziel vorbei nicht die Gegner, sondern die Grundlagen der zivilisierten Gesellschaft selbst.

      Was bleibt denn übrig? Muß man denn, um Gewalt zu bekämpfen, selbst gewalttätig werden? In einem Rechtsstaat wäre dies eine falsche Folgerung. Die einzig legitimierte Gewalt bleibt allein dem Rechtsstaat vorbehalten. Und dieser besitzt auch seine Mittel zur Kriminalitätsbekämpfung, seine institutionellen Schranken, Justiz und Polizei, die dafür zuständig sind; deswegen spricht man auch vom „Gewaltmonopol“ des Staates. Sie sollen nur auch konsequent angewendet werden. Problematisch wird die Sache, wenn seine Institutionen selbst angezweifelt oder unterwandert werden, oder wenn sie sich in etwas anderes verwandeln, das nicht mehr dessen allgemeinen Prinzipien entspricht, sondern nur dem Schutz bestimmter Gruppen, Klassen oder Meinungen dient. Wenn der Staat in seiner wichtigsten Aufgabe – dem Schutz von Recht und Freiheit in einer Gesellschaft – versagt, dann ist die erste Folgerung naheliegend: von Selbstjustiz bis hin zum Bürgerkrieg, mit den entsprechenden Folgen für das gesellschaftliche Zusammenleben. Wie unwahrscheinlich uns diese Möglichkeit heute noch erscheinen mag, sie ist real. Darum besteht der beste Schutz gegen Kriminalität, Gewalt und Terror nicht in irgendeinen Aktionen oder Initiativen, sondern in der Rechtsstaatlichkeit selbst.

      Im Unterschied zu allen anderen Aufgaben und Zielen, die der Staat heute für sich beansprucht, darf dessen Schutzfunktion nicht an Private delegiert werden. Auch sollen die verfassungsmäßig garantierten Grundsätze und Rechte (Meinungsfreiheit, Gleichbehandlung usw.) nicht zur Debatte stehen und auch nicht durch Sonderrechte und postulierte Tabus außer Kraft gesetzt werden. Es wäre wichtig, die Bedeutung dieser Grundsätze im allgemeinen Bewußtsein zu verankern, statt sie der scheinbaren Friedfertigkeit willen durch falsche Sympathiebekündungen und Rechtfertigungen derjenigen, die sie verletzen oder mißachten, zu relativieren. Um gegen die tatsächliche in der Gesellschaft bestehende Kriminalität vorzugehen, bedarf es auch keines neuen Paradigmas, etwa im Sinne eines „integrativen Gewaltbegriffs“. Dessen undifferenzierte Verwendung scheint im Gegenteil eher irreführend zu sein, weil sie wesentliche Unterschiede nicht nur in der Größenordnung (etwa zwischen einer Beleidigung und einem Terroranschlag) oder Art der Gewaltanwendung (z.B. zwischen psychischer oder körperlicher, direkter oder indirekter usw.), sondern auch ihrer grundsätzlichen Illegitimität oder Legitimität (z.B. zwischen Verbrechen und dessen gerichtlicher Verurteilung und Bestrafung) verwischt und nicht selten auch zur Verwechslung zwischen Ursache und Folge, Täter und Opfer verleitet. Was Gewalt ist, und welche Formen davon unbedingt abgelehnt und verfolgt werden müssen, kann nur in den jeweiligen Kontexten definiert und geklärt werden, da sonst wichtige Maßstäbe (zwischen Recht und Unrecht, Kritik und Verunglimpfung oder auch zwischen legitimem Konkurrenzkampf und nicht legitimierter Machtausübung, institutionellem Zwang und Willkür) oder auch der Anspruch des Staates auf Gewaltmonopol keinen Bestand mehr haben.

      Es gilt, sich in Konfliktfällen (sofern es sich um solche handelt) zivilisierter Mittel und Umgangsformen zu bedienen, verfassungswidrige und kriminelle Handlungen dagegen auf keinen Fall zu dulden. Rechtssicherheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit sollen die Intentionen für Verbesserungen der Gesellschaftsordnung sein. Eine allgemeine Predigt gewaltfreier Lösungen um jeden Preis ist dagegen nicht zielführend. Die davon abgeleiteten gar nicht mehr so friedlichen Maßnahmen erweisen sich auch meistens als Sackgassen oder Irrwege. Das ist die Hauptthese dieses Buchs, die in den folgenden Kapiteln erörtert wird.

      Frieden jenseits von Gut und Böse?

      Friedliche Lösungen für Konflikte zu suchen und zu etablieren ist eine Errungenschaft der zivilisierten Gesellschaft. Nichtsdestoweniger hat sich in der letzten Zeit eine Einstellung durchgesetzt, bei der es weniger um Lösungen konkreter Probleme, als um etwas anderes zu gehen scheint. „Gewalt“ als Phänomen ist zum beliebten Thema wissenschaftlicher Diskussionen und Spekulationen in verschiedenen Bereichen geworden. Es werden ganze Konferenzen veranstaltet und Abhandlungen verfaßt, die nicht diese oder jene Form, sondern die Gewalt als solche zum Gegenstand haben. So hat beispielsweise Jan Philipp Reemtsma in seinem Buch Vertrauen und Gewalt einen Versuch unternommen, Gewalt möglichst


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