Milchohr. Norbert Schimmelpfennig
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Norbert Schimmelpfennig
Milchohr
und weitere Gespenstergeschichten
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Inhaltsverzeichnis
Schloss Neuherzstein und Altherzstein
Neues vom Teufel mit den drei Plutoniumhaaren
Milchohr
Casper der Geist liebte es, mit der Pforte zur Welt der Sterblichen zu spielen. So auch an diesem Tag, als das Haus überraschenden Besuch erhielt: Erstmals seit langem hatte der Balltänzer, ein etwa zwölf Jahre alter Junge, jemanden zu sich eingeladen. In letzter Zeit hatte der Junge immer nur mit seinem Fußball getanzt, manchmal allein, manchmal mit seiner älteren Schwester, der das Zimmer daneben gehörte.
Die Pforte zur Welt der Sterblichen befand sich in einer Lücke zwischen zwei Schränken, die schon seit hundert Jahren in diesem Haus standen und von den jetzigen Bewohnern übernommen worden waren. Sehr lange hatte das Haus leer gestanden, doch mittlerweile mussten auch schon Jahre vergangen sein, seit die jetzige Familie eingezogen war. Am Anfang lag der blonde Junge, dem dieses Zimmer jetzt gehörte, in einer Wiege und wurde von seinen Eltern und seiner größeren Schwester in den Arm genommen. Aber nun war er fast genauso groß wie seine Schwester, die immer wieder mal rüberkam. Dann tanzten beide manchmal um den Fußball herum oder sprangen immer wieder über ihn hinweg. Deshalb hatte Casper die beiden einmal Balltänzerin und Balltänzer genannt.
An diesem Tag jedoch besuchte ein Junge mit schwarzen Haaren den Balltänzer, war fast genauso groß wie dieser. Casper konnte immer sehr gut hören, was die Menschen sprachen – umgekehrt freilich nicht. So hörte er den fremden Jungen jetzt sagen:
„Gibt es eigentlich noch einen Raum neben deinem Zimmer?“
„Nur das Zimmer meiner Schwester!“, antwortete der Balltänzer, aber der fremde Junge fragte weiter:
„Ich meinte auf der anderen Seite, wo die zwei großen Schränke stehen! Euer Korridor reicht ja noch weiter, da wäre noch Platz für einen weiteren Raum!“
„Nein, wirklich nicht!“
Doch jetzt streckte der fremde Junge seine linke Hand in die Lücke zwischen den Schränken, klopfte gegen die Wand und hielt gleichzeitig sein linkes Ohr in die Lücke, so weit er konnte. Ehe Casper sich verziehen konnte, hatte er schon dieses Ohr berührt. Zwar spürte der Junge dies nicht, aber als er sich wieder zu seinem Freund drehte, sah dieser ihn seltsam an. Ohne sich etwas zu denken, sagte er:
„Es hört sich irgendwie hohl hinter der Wand an! Aber was starrst du mich denn so an?“
„Dein linkes Ohr, Michi – es ist ganz weiß geworden!“
Michi sah in einen Spiegel, der an einer anderen Wand hing. Aber darin konnte er sein linkes Ohr gar nicht mehr erkennen! Er fasste mit der Hand danach, und jetzt erschien dieses Ohr doch noch in dem Spiegel, war aber in der Tat ganz weiß geworden! Sobald er es losließ, war es auch schon wieder unsichtbar im Spiegel.
Caspar probierte einfach etwas aus und sagte:
„Willkommen in der Geisterwelt!“
Michi sah den Balltänzer an und fragte ihn:
„Hast du das auch gehört: Willkommen in der Geisterwelt?“
„Ach, du spinnst ja!“, erwiderte der Balltänzer und fügte noch hinzu:
„Wenn du noch mehr hörst, was ich nicht höre, nenne ich dich ab jetzt Milchohr!“
Auch Casper rief jetzt aus: „Milchohr!“
Aber der Angesprochene tat so, als hätte er nichts gehört. Mit der Zeit jedoch könnte er seine neue Gabe nutzen, da wusste Casper so einige Möglichkeiten. Schließlich gab es anderswo auch Geister, die untereinander Streiche mit den Menschen verabredeten!
Für heute hatte Casper erst einmal genug, und er zog sich in seinen türlosen Raum auf der anderen Seite der Wand zurück.
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