Ricarda Huch: Deutsche Geschichte – Mittelalter – I. Römisches Reich Deutscher Nation –. Ricarda Huch
über die Trennung geleistet wurden, dass im westfränkischen Reich Französisch, im ostfränkischen Deutsch gesprochen wurde.
Die endgültige Trennung der deutschredenden Stämme vom Westfrankenreich wurde offenbar, als im Jahre 911 der letzte ostfränkische König, Ludwig das Kind, starb. Die Deutschen dachten nicht daran, sich nun wieder dem westfränkischen Karolinger anzuschließen, sondern ein Teil wählte Konrad zum König, der als Herzog von Franken und Anverwandter der karolingischen Familie der geeignete Nachfolger zu sein schien. Während seiner kurzen Regierung bemühte sich Konrad vergeblich um den Anschluss aller Stämme; außer in Franken und Schwaben wurde er nirgends anerkannt. Seine edle Gesinnung bewies er dadurch, dass er sterbend seinem Bruder Eberhard empfahl, auf die Nachfolge zu verzichten und die Krone seinem bisherigen Gegner, dem Sachsenherzog Heinrich, anzubieten.
(* um 876; † 2. Juli 936 in der Pfalz Memleben) aus dem Adelsgeschlecht der Liudolfinger war ab 912 Herzog von Sachsen und von 919 bis 936 König des Ostfrankenreiches.
Als mit dem Tod Karls des Großen der Mittelpunkt erschlaffte, in dem die Reichsglieder zusammengefasst waren, wurde das Grundwesen der Germanen wieder wirksam, denen weniger der Trieb nach Einheit im Blut liegt als der Drang des einzelnen oder der Gruppe nach Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Der romanische Staat betont die Vertretung des Ganzen, schafft einen Beamtenapparat, der vom Mittelpunkt ausgehend die Glieder von oben nach unten erfasst und bewegt, wodurch für diesen die Möglichkeit entsteht, sich der beherrschten Teile zu bedienen, sie mit großer Kraft nach außen zu verwenden, sie auszubeuten. Der germanische Staat geht von den einfachen unteren Gliedern, der Familie, der Sippe, der Gemeinde aus und begegnet allmählich der von obenher beherrschenden Vertretung des Ganzen. Die Entfaltungsmöglichkeit und Freiheit des Individuums ist dem Germanen unendlich wichtig, und er opfert davon nur so viel wie nötig ist, damit ein Ganzes überhaupt sich bilden kann, während nach romanischer Auffassung der Staat im Besitz der Allgewalt ist und dem einzelnen an Befugnissen möglichst wenig überlässt. Die Vorteile des zentralisierten Staates sind Straffheit, Ordnung, Möglichkeit der Machtentfaltung nach außen, die des gegliederten Staates Mannigfaltigkeit, Reichtum an eigenartigen Individualitäten, Fülle der Natur, des schöpferischen Lebens. Im Hinblick auf den Beamtenapparat kann man den zentralisierten Staat auch den mechanischen nennen, worauf der häufig gebrauchte Ausdruck Staatsmaschinerie oder Staatsmaschine hinweist, während der organische von innen heraus wächst und sich verzweigt. Zu Karls des Großen Zeit konnte allerdings von einer Staatsmaschine im modernen Sinne nicht die Rede sein, sowohl aus technischen wie aus Gründen der Auffassung: er ließ den unterworfenen Stämmen ihr eigenes Recht, das er nur stellenweise ausbildete, und vermied Eingriffe in ihr kulturelles Leben. Der auf die Sachsen ausgeübte Zwang sollte nur dauern, bis die Christianisierung einigermaßen gesichert war. Immerhin zentralisierte er bis zu einem ziemlich hohen Grad, indem er das ganze Reich in Gaue einteilte, Grafen als Vorsteher derselben einsetzte und diese durch Königsboten beaufsichtigen ließ. Als Gegenwirkung gegen diese dem germanischen Geist widerstrebende Bindung an das Ganze bildete sich nach Karls Tod in den einzelnen Teilen des ostfränkischen Reiches das Stammesherzogtum wieder aus, und zwar mit besonderer Kraft in den beiden Ländern, die auch in anderer Hinsicht einander ähnlich waren, in Sachsen und Bayern. Beide Länder bedurften nach dem Verfall der Karolinger vorzugsweise einheimischer Führer, weil sie mehr als die anderen den Einfällen feindlicher Völker ausgesetzt waren, Sachsen der Normannen und Slawen, Bayern der Avaren und Magyaren. Der Herzog von Sachsen, Brun, fiel im Jahre 880 in der Nordsee gegen die Normannen, Luitpold, Graf in Bayern, im Jahre 907 gegen die Ungarn. Das große gemeinsame Erlebnis von Gefahr, Opfer und Sieg knüpfte das Volk fest an diese Familien. Wie nun die Germanen dazu neigen, nirgends ein absolutes Recht aufkommen zu lassen und andererseits nicht absolute Rechtlosigkeit zu dulden, so bestanden die Freien und Edlen auf dem Recht, den König oder Herzog zu wählen, ließen aber insofern den Grundsatz der Erblichkeit gelten, als sie die Verwandten der herrschenden Dynastie berücksichtigten, solange solche vorhanden waren. So gab in Sachsen Verwandtschaft mit dem unvergessenen Widukind ein Recht auf die Führerschaft, und es ist anzunehmen, dass die Familie der Brunonen oder Ludolfinger in verwandtschaftlichem Zusammenhang mit dem alten Helden gestanden hat. Ludolf, von Ludwig dem Deutschen zum Grafen erhoben, in Korvey, Quedlinburg, an den Quellen der Lippe begütert, vermählte seine Tochter Liutgard mit einem Sohn Ludwigs und stellte dadurch auch eine Verwandtschaft mit den Karolingern her. Nachdem Ludolfs Sohn Brun im Kampf gegen die Normannen gefallen war, folgte ihm sein Bruder Otto, von dem die Überlieferung berichtet, dass ihm die Königskrone angeboten sei, dass er aber als zu alt darauf verzichtet und seine Wähler bewogen habe, sie dem Herzog der Franken zu übertragen. Sein Sohn Heinrich machte seinen Namen berühmt durch glückliche Bekämpfung der Slawen, konnte aber der Ungarn, die sie herbeiriefen, nicht sofort Herr werden.
Schöne Gestalt, schönes Antlitz, königliche Haltung, Festigkeit, Gelassenheit und vermutlich die kühle Kindlichkeit, der gutmütige Humor und die Spielfreude, die dem niedersächsischen Menschen eigen sind, machten Heinrich zum Liebling des Volkes und der Sage. Man verübelte es ihm nicht, dass er Hatheburg, die der erste Gegenstand seiner Liebe war, als sie ihm gleichgültig geworden war, in das Kloster zurückschickte, aus dem er sie geholt hatte, die Güter aber, die sie ihm zugebracht hatte, behielt. Seine Ehe mit der jungen Mathilde, die durch ihren Vater von Widukind abstammte, befriedigte die Anhänglichkeit der Sachsen und machte ihn zum Vater ausgezeichneter Söhne und Töchter. Die Frage der Reichseinheit löste er dadurch, dass er die einzelnen Stämme in Güte zu gewinnen wusste; Herzog Arnulf von Bayern verband er sich in persönlicher Unterredung und indem er ihm allerlei Sonderrechte, hauptsächlich auf kirchlichem Gebiete, zugestand. Es kam Heinrich allerdings zugute, dass er von vornherein im Bund mit den Franken war. Auf eine eigentliche Unterordnung der Herzogtümer unter die Königsgewalt verzichtete er, die weitere Ausbildung der Verfassung seinem Nachfolger überlassend. Es gehört zu dem Anziehenden seines Wesens, dass er sich im Augenblick bescheiden konnte, um für die Zukunft das Unmögliche möglich zu machen. So hielt er es mit den Ungarn, denen er jahrelang Tribut zahlte, um inzwischen ein Heer und passende Verteidigungsanstalten auszubilden und den Feind mit Sicherheit besiegen zu können. So begnügte er sich damit, einen losen Staatenbund zu schaffen und wenigstens das Auseinanderfallen des Reiches zu verhindern, so verfuhr er in Bezug auf Rom und das Imperium. Als er in Fritzlar zum König der Sachsen und Franken gekrönt wurde, und der Erzbischof von Mainz ihn salben und krönen wollte, lehnte er das ab als solcher Ehre nicht würdig. Ob er am Ende des Lebens daran dachte, sich die Kaiserkrone in Rom zu holen, ist ungewiss. Stetig, schlicht, frei von Prahlerei und Eitelkeit, sicher in der eigenen Kraft ruhend, ging er in das liebevolle Gedächtnis nicht nur der Sachsen, sondern des ganzen deutschen Volkes ein.
Dem vorbereitenden, grundlegenden Fürsten folgte sein großer Sohn Otto, der von Anfang an mehr Königsbewusstsein und höhere Ziele hatte. Heinrich blieb immer in erster Linie Herzog der Sachsen, wenn er auch als ein pflichttreuer Mann die Aufgaben, die das Schicksal ihm zuwies, erfüllte; Otto fühlte sich als Nachfolger Karls des Großen. Wo sein Vater als Erster unter Gleichen auftrat, war er Herrscher, ohne dass ihm doch das schöne Gleichgewicht der Seele, das jenen auszeichnete, gefehlt hätte. Von allen Seiten befehdet, von Verrat umgeben, konnte er wohl heftig zürnen und strafen; aber er blieb im Herzen gelassen und frei. Wenn er auf einsamen Wegen unter den Eichen seiner Wälder sich mit der Vogeljagd belustigte, sang er selbstvergessen liebliche Lieder vor sich hin. Großmütig, gar nicht misstrauisch konnte er denselben Feinden, die ihn immer wieder verrieten, immer wieder verzeihen.
Obgleich zur Zeit Ottos die Zahl der freien Leute noch beträchtlich war, so hatten sich infolge der Lehensverfassung doch die Vasallen schon zu sehr zwischen König und Volk geschoben, als dass er sich darauf hätte stützen können. Um ein Gegengewicht gegen das Unabhängigkeitsstreben der Stämme zu schaffen, bediente er sich seiner Verwandten und der Bischöfe. Da er in der Verwandtschaft seine ärgsten Feinde hatte, erwies sich die erstgenannte Waffe als zweischneidig. Sehr wertvoll war ihm sein jüngster Bruder Brun, ein ausgezeichneter Charakter, sich selbst streng beherrschend und gerecht gegen andere, den er zum Erzbischof von Köln und Herzog von Lothringen machte. Bruns zugleich wissenschaftliche und staatsmännische Begabung machten ihn für diese Doppelstellung geeignet. Heinrich dagegen wollte selbst König werden und machte sich zum Mittelpunkt aller