Anna das Mädchen aus Dalarne. Selma Lagerlöf

Anna das Mädchen aus Dalarne - Selma Lagerlöf


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war sie außerordentlich froh, denn solange er am Kaffeetisch saß, konnte er doch keinen Unfug anstellen.

      Er setzte sich gerade auf den Platz des Bürgermeisters, und die Kaffeetasse, die die Jungfer eingeschenkt hatte, trank er in einem Zuge aus, ohne sich darum zu kümmern, daß der Kaffee kochend heiß war. Dann griff er selbst nach der Kanne, die sie auf den Tisch gestellt hatte, schenkte sich noch eine Tasse ein und trank auch diese aus. Er nahm weder Zucker noch Sahne, goß nur den brühheißen Trank in sich hinein.

      Als er die zweite Tasse ausgetrunken hatte, mußte er wohl bemerkt haben, daß die Jungfer auf der anderen Seite des Tisches stand und ihn betrachtete, denn er wandte sich jetzt zu ihr und sagte:

      »Sie haben sehr guten Kaffee für mich gekocht. Das ist sehr gut von Ihnen. Es ist gewiß das letztemal, daß ich überhaupt Kaffee bekomme.«

      Dies sagte er überaus leise, sie konnte die Worte gerade noch verstehen. Es hatte den Anschein, als wolle er ihr ein großes Geheimnis anvertrauen.

      »Ach, Sie bekommen wohl auch guten Kaffee bei der Pröpstin in Korskyrka«, erwiderte die Jungfer.

      »Jawohl, den bekäme ich schon«, antwortete er, indem er dabei in ein leichtes albernes Lachen ausbrach. »Aber sehen Sie, ich komme nun nie mehr dorthin.«

      Daran war nichts Sonderbares. Die jungen Geistlichen wurden ja bald dahin, bald dorthin geschickt. Die Jungfer fühlte sich etwas beruhigter. »Ich glaube, in den Pfarrhäusern, wohin Sie, Herr Magister, auch immer kommen mögen, macht man überall guten Kaffee«, sagte sie.

      »Meinen Sie denn, es gäbe auch im Gefängnis guten Kaffee?« fragte er mit noch leiserer Stimme. »Dort wird es sicherlich mit Kaffee und Kuchen aus sein.«

      »Aber Sie sollen doch nicht ins Gefängnis? Warum denn um alles in der Welt?«

      Er wendete sich fast ganz von ihr weg. »Ich will auf diese Frage keine Antwort geben«, sagte er.

      Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder dem Eßtisch zu. Er strich Butter auf ein Stück Brot, legte Käse darauf und aß wie ein Ausgehungerter, biß gierig große Stücke ab und schluckte, fast ohne zu kauen. Die Jungfer fing an zu glauben, er sei nur ganz ausgehungert, sonst fehle ihm nichts. Sie ging in die Küche und holte die für den Bürgermeister bestimmten Eier. Karl Artur verschlang die beiden Eier wie nichts und griff dann aufs neue nach Brot und Butter. Und mitten unter dem eifrigen Essen fing er wieder zu sprechen an:

      »Es sind heute sehr viele Tote in der Stadt unterwegs.«

      Das sagte er sehr gelassen und gleichgültig, wie wenn er gesagt hätte: »Es ist schönes Wetter heute.« Aber die Jungfer konnte sich doch eines kleinen Schreckens nicht erwehren, und das mußte er gemerkt haben.

      »Meinen Sie, was ich sage, sei sonderbar? Ja, es ist wohl etwas Sonderbares daran, daß ich die Toten sehe, das glaub' ich selbst auch. Soviel ich weiß, ist das früher niemals bei mir vorgekommen, nein, niemals, erst nach dem, was ich heute früh um sieben Uhr erlebt habe.«

      »Ach so«, sagte die Jungfer.

      »Ja, sehen Sie, da bekam ich einen schweren Herzkrampf. Ich wollte von Hause in die Stadt gehen, aber ich konnte nicht, ich mußte mich am Lattenzaun unseres Gartens festhalten. Da sah ich den Dompropst Sjöborg mit seiner Gattin daherkommen. Sie kamen ganz genauso wie gewöhnlich, wenn sie am Sonntag bei uns zu Mittag aßen. Sie wußten natürlich schon, was ich getan hatte, und sagten zu mir, ich solle hierher zum Herrn Bürgermeister gehen, meine Missetat bekennen und verlangen, daß ich gestraft werde. Ich erwiderte zwar, das sei unmöglich, aber sie bestanden eigensinnig darauf.«

      Karl Artur unterbrach sich, goß sich eine neue Tasse Kaffee ein und trank sie sofort aus. Er betrachtete die Jungfer mit prüfenden Blicken, wie um zu sehen, auf welche Weise sie das aufnahm, was er ihr eben berichtet hatte.

      Aber die Jungfer sagte nur ganz ruhig: »Es gibt viele Menschen, die Tote gesehen haben, deshalb brauchen Sie, Herr Magister, doch nicht …«

      Man sah es Karl Artur an, wie er sich über diese Antwort freute.

      »Das glaube ich sicher auch. Ich bin vollständig wie sonst, bis auf dieses einzige.«

      »Ja gewiß«, sagte die Jungfer. Sie hielt es fürs beste, ihm zuzustimmen und gleichgültig auszusehen; aber sie wünschte allmählich dringend, der Bürgermeister möchte nach Hause kommen.

      »Ich widersetze mich ihrem Willen nicht«, sagte Karl Artur. »Aber ich bin ja noch bei vollem Verstand, und so weiß ich, daß mich der Herr Bürgermeister nur auslachen wird. Ich habe eine schwere Schuld auf meinem Gewissen, das leugne ich nicht, aber es ist ja nichts, wofür ich festgenommen und verurteilt werden kann.«

      In demselben Augenblick schloß er die Augen und bog sich zurück. Das Stück Brot, das er in der Hand hielt, fiel auf den Boden, sein Gesicht verzerrte sich, wie wenn er furchtbare Schmerzen hätte; aber der Anfall ging merkwürdig rasch vorüber.

      »Es ist ein Herzkrampf«, sagte er. »Ist es nicht sonderbar; er überfällt mich, sobald ich sage, daß ich es nicht tun könne.«

      Er stand vom Tisch auf und ging wieder im Zimmer auf und ab.

      »Ich soll es tun«, sagte er, und jetzt hatte er vollständig vergessen, daß die Jungfer neben ihm stand und ihm zuhörte. »Ich will es tun, ich werde dem Bürgermeister sagen, daß ich etwas getan habe, wofür er mich strafen kann. Ich werde ihm sagen, ich hätte den Tod eines Menschen verursacht. Es wird mir schon etwas einfallen. Ich muß sagen, ich hätte es mit Absicht getan.«

      Er trat wieder zu der Jungfer. »Denken Sie, nun ist es vorbei«, sagte er und sah ganz froh aus. »Es geht vorüber, sobald ich sage, ich wolle meine Strafe büßen. Ich bin so glücklich.«

      Die alte verständige Jungfer hatte jetzt keine Angst mehr vor ihm. Tiefes Mitleid hatte sie ergriffen. Sie faßte seine Hand und streichelte sie. »Aber Sie verstehen doch wohl, Herr Magister? Sie dürfen nicht die Schuld auf sich nehmen für etwas, was Sie nicht getan haben.«

      »Doch«, sagte er. »Ich weiß, das ist das richtige. Und ich will gerne sterben. Ich will meiner Mutter zeigen, daß ich sie geliebt habe, und ich werde sehr glücklich sein, wenn ich sie dort im Jenseits treffen darf, nachdem alles gesühnt ist.«

      »Aber das wird nie geschehen«, sagte die Jungfer. »Ich werde mit dem Herrn Bürgermeister sprechen.«

      »Nein, das werden Sie nicht tun«, versetzte Karl Artur.

      »Warum sollte mich ein Richter nicht verurteilen können? Ich habe ja gemordet, obgleich ich weder Messer noch Schießwaffe benützt habe. Jaquette weiß, wie es zugegangen ist. Glauben Sie nicht, daß Härte und Lieblosigkeit gefährlicher sind als Stahl und Blei? Mein Vater weiß es auch, er kann es bezeugen. Ich kann wohl verurteilt werden, ich bin nicht unschuldig.«

      Die Jungfer wurde der Antwort überhoben. Zu ihrer großen Freude hörte sie Schritte die Treppe heraufkommen.

      Sie lief in den Flur hinaus und hoffte, dem Bürgermeister da noch ein warnendes Wort zuflüstern zu können; aber Karl Artur folgte ihr dicht auf den Fersen. Er hatte wohl die Absicht, sofort mit seinem Bekenntnis herauszurücken, fand aber nicht gleich die richtigen Worte.

      »Ach so, du bist wieder hier«, sagte der Bürgermeister. »Es war ja auch zu traurig mit der Frau Oberst.«

      Zugleich reichte er Karl Artur die Hand; doch dieser hielt seine rechte Hand hinter dem Rücken. Er richtete die Augen auf die Wand, und mit etwas zitternder, aber doch deutlicher Stimme sagte er: »Ich komme, Sie zu bitten, mich festnehmen zu lassen. Ich habe meine Mutter getötet.«

      »Ach, zum Kuckuck!« rief der Bürgermeister. »Die Frau Oberst ist ja wohl gar nicht tot! Ich traf soeben den Doktor …«

      Karl Artur wankte zurück. Die Jungfer glaubte, er werde fallen, und breitete die Arme aus, ihn aufzufangen. Aber er gewann doch das Gleichgewicht wieder. Dann riß er seinen Hut an sich, und ohne ein weiteres Wort stürzte er auf die Straße hinaus. Der


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