Frevlersbrut. Katharina Maier

Frevlersbrut - Katharina Maier


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      DIE ERSTE TOCHTER

      Zukunftsepos von Katharina Maier

      Inhalt

       Widmung

       Nordsingisisches Trauerlied

       Endzeit

       Inferno

       Schwelle

       Frevel

       Gewalt

       Vaterswort

       Nachbeben

       Verlangen

       Sehnen

       Drachen

       Nacht

       Wer ist wer

       Was ist was

       DIE ERSTE TOCHTER

       Lesetipps

       Impressum

      Widmung

      Für Mama, mit den Sternen in ihrem Geist

      Für Lisa, mit den Drachen in ihrem Herzen

      Für Oma, die Myn ihre Stärke gab

      Diese Welt wäre nicht, was sie ist, ohne euch

      Nordsingisisches Trauerlied

      Komm, komm, meine Geliebte!

      Dein Haar ist wie Regen

      Und wie die Gebeine der Erde sind deine Glieder.

      Draußen stehen sie, Männer des Südens,

      Feuer in Händen und Tod im Gesicht.

      Doch zum letzten Ritt riefe ich gerne,

      kämest du nur mit mir.

      Komm, komm, Volk der Weite!

      Sturm hast du im Blut

      Und die Stärke der Steppe in deinen Sehnen.

      Wie Tau in der Nacht war dein Werden,

      Unter den Hufen der Schönen wogte das Laub.

      Und wie Tau nach der Nacht wirst du schwinden,

      Und unter den Hufen der Schönen wirst du zu Staub.

      übertragen von J. A. Shelton

      Endzeit

      Snas Anschuldigung war kaum verklungen, da sprangen alle von meiner Mutter weg wie Schotter bei einem Steinschlag. Ich glaube, ich lachte; nur ein kleines bisschen, weil alles so absurd war. Meine Mutter sollte einen Heiligen Baum verbrannt haben? Mit Absicht? Und, als wäre das noch nicht genug: Sie hätte dabei nicht einmal eine Maske getragen, sodass ein jeder sie erkennen konnte, während sie einen der größten Frevel der singisischen Geschichte beging?

      Sna log. Ich starrte auf das wunderschöne Gesicht des Hologramms, das mitten in der Bewegung erstarrt war, weil irgendjemand unter all den Neolys, die in der großen Festhalle versammelt waren, die Übertragung aus dem Parlamentssaal angehalten hatte. Da stand er, der honigäugige Priester, und sah so hehr aus wie ein Sendbote des Allerhöchsten, während er behauptete, das Gesicht der Frau gesehen zu haben, die Feuer an einen der uralten Bäume seines Gottes gelegt hatte. Natürlich log er. Meine Mutter hätte so etwas nie getan. Sie war nicht dumm genug dafür.

      Ich sah zu meiner Mutter hinüber, die leichenbleich und mit geöffnetem Mund auf ihrem Stuhl saß, beide Arme leicht erhoben, als wolle sie … ja, was? Einspruch erheben? Sich verteidigen? Wogegen denn? Gegen die Lüge eines Gottesdieners? Ich musste daran denken, wie ich sie einst gefragt hatte, ob man einen Drachen mit einer Nähnadel besiegen könne, und meine Finger krümmten sich, als wollten sie etwas greifen. Dann war plötzlich Vairrynn bei meiner Mutter und zog sie auf die Füße. Ich hatte nicht einmal gemerkt, dass er meine Seite verlassen hatte. Mein großer Bruder redete auf Mutter ein, und sie schüttelte immer und immer wieder den Kopf.

      »Was sagt er ihr? Myn, was sagt er ihr?«, fragte mein kleiner Bruder zu meiner Rechten, als wäre ausgerechnet das die wichtigste Frage, die es zu stellen gab. Genau wie ich glaubte auch Mudmal immer noch, dass Vairrynn die Welt retten konnte, unsere Welt.

      Er konnte es nicht.

      Ein paar Takte nur, nachdem Snas Anschuldigung im Parlamentssaal verklungen war, stürmten Sicherheitskräfte die Festhalle unserer Familie. Die ganze Aktion war so offensichtlich geplant, dass mir das Blut in den Adern kochte. Meine Tante Teggri zog Mudmal und mich von unseren Stühlen und an ihre ausladenden Brüste, als wolle sie uns schützen oder behüten. Ich zappelte ein wenig in ihrem Arm, aber ihr Griff war stärker, als ich es mir vorgestellt hätte. Es musste von den zahllosen Tagen herrühren, die sie damit verbrachte, die Neoly-Brut in der Trutzburg zu bändigen.

      Inzwischen hatte sich mein Vater mit ausgebreiteten Armen vor Mutter aufgebaut, die sich gegen die Brust meines großen Bruders kauerte. Noch niemals hatte ich meine Mutter kauern sehen, noch nie. Mein Großvater drängte sich, weißbärtig und wutentbrannt, an Vaters Seite, und die vordersten vier Sicherheitsmänner richteten ihre Strahlergewehre auf die beiden, auf den Patriarchen einer Großen Alten Familie und seinen Erstgeborenen, als wären die Neolys die größte Gefahr für das Singisische Reich seit seiner Gründung. Es war so absurd, dass es zum Himmel schrie. Ein paar Vettern versuchten, sich auf die Gewehrträger zu stürzen, wurden aber von den übrigen Sicherheitskräften niedergerungen. Ich begann zu weinen, ich konnte nicht anders.

      Und dann senkte sich Stille über die Halle. Es musste irgendein Signal gegeben haben, aber es war kein Fanfarenton oder etwas Ähnliches gewesen, ich hatte jedenfalls nichts dergleichen gehört. Da war nur plötzlich diese Stille, die lauter war als jedes Geräusch. Ich keuchte gegen Teggris Arm, deren Ellbogenkuhle mir fast die Luft abschnürte. Mudmal neben mir gab ein Wimmern von sich. Die Stille verschluckte es.

      Am anderen Ende der Festhalle teilte sich die Menge der Sicherheitskräfte, und der Oberste Priester des Wy schritt herein. Zu seiner Linken ging Mnuran Sna. Ich starrte den beiden entgegen, und etwas brannte in meinen Augen. Sna und Asnuor sahen aus wie Männer, einfach nur wie Männer, wenn auch der eine ungewöhnlich attraktiv und der andere ungewöhnlich unbeachtlich, aber ich glaube, dass sich damals die Überzeugung in mir einnistete, dass sie irgendetwas Anderes sein mussten. Von jenem Tag an hatte das Böse für mich ein Gesicht. Ich hatte erwartet, dass es eindrucksvoller wäre als ein Schönling und ein Nichts, doch


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