Elduria - Runa oder das Erwachen. Norbert Wibben

Elduria - Runa oder das Erwachen - Norbert Wibben


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fragen, als ein heulender Ton immer lauter wird. Sie dreht sich erschrocken um und sieht, dass sich der Nebel direkt hinter ihr befindet. Sie meint, ihren Augen nicht trauen zu können. Der Dunst verdichtet sich und formt eine gewaltige Hand. Deren Finger öffnen sich und greifen nach ihnen.

      »Mach schnell!«, fordert der Junge.

      Runa weiß jedoch nicht, worauf er hinauswill.

      »Was denn? Geh doch weiter!«

      »Das geht nicht. Du musst vorausgehen und mich hineinführen. So, wie ich das im Nebel mit dir gemacht habe!«

      Das Mädchen kraust die Stirn. Will er sie jetzt veralbern? Was soll an dem weißen Dunst schon gefährlich sein. Der wirkt zwar nicht wie ein normaler Nebel, weil er sich nicht so feucht anfühlt. Aber stellt er deshalb gleich eine Bedrohung dar? Dass er eine bestimmte Form annimmt, so wie diese Hand, ist andererseits schon seltsam. Welcher Windhauch sollte das verursachen? Daumen und Zeigefinger umfassen jetzt Runa und versuchen, sie zurückzuzerren. Sie spürt deren Druck, der eindeutig real ist. Doch Dragon hält dagegen. Er stößt einen drohenden Knurrlaut aus und zieht das Mädchen mit einem gewaltigen Ruck dicht neben sich.

      »Jetzt mach endlich. Den nächsten Angriff kann ich möglicherweise nicht abwehren.«

      Runa zögert nicht mehr. Betrachtungen über Dunst und dessen Gefährlichkeit kann sie auch anstellen, wenn sich der verzogen hat. Sie macht einen Schritt auf den Waldboden und bleibt erstaunt stehen. Woher kommen plötzlich die vielen Vogelstimmen? Es klingt so, als wollten sie das Mädchen begrüßen. Der Boden ist mit unzähligen Buschwindröschen bedeckt und wirkt wie im Frühling.

      »Dabei haben wir doch Sommer«, stellt sie voller Faszination fest.

      »Du musst mich ziehen. – Nein, lauf nicht einfach los!« Dragons Stimme klingt drängend. Warum erkennt er denn nicht das Magische an dem Wald? Sie möchte nur ein oder zwei der Frühlingsblüher genauer betrachten. Hat er nicht selbst gesagt, dass dies ein Elfenwald ist? Dann ist er vermutlich verzaubert! Sie dreht sich zu dem Jungen zurück. Der kämpft offensichtlich mit der Nebelhand. Sie umschließt seine Beine und den Unterkörper. Während sie sich langsam nach oben schiebt, wird das Knurren aus Dragons Mund stärker. Aber das hält den Dunst nicht auf! »Runa, bitte!«

      Was soll sie machen. Kann sie überhaupt etwas gegen diesen Zaubernebel ausrichten, der sich wie ein eigenständiges Wesen verhält? Kurzentschlossen macht sie die zwei Schritte zu dem Jungen zurück und will sich schon neben ihn stellen. Doch Dragon schüttelt den Kopf und hebt unter größter Anstrengung einen Arm, den er in ihre Richtung hält. »Ziehen!«, flüstert er mit schwacher Stimme. Runa weiß nicht weshalb, aber sie ahmt das Knurren des Jungen nach, greift seine Hand und zerrt daran. Ihre Kräfte sind offensichtlich zu gering, denn sie wird langsam zum Nebel hingezogen. Nur noch ein halber Schritt trennt sie von dem Gebiet vor dem Wald, wo Dragon steht. Was wird geschehen, wenn auch sie sich wieder dort befindet? Bisher konnten sie ungehindert hierher wandern. Warum soll das jetzt nicht mehr möglich oder sogar gefährlich sein?

      »Zaubernebel!« Das hatte Dragon gesagt. Kann sie einen Gegenzauber sprechen? Sollte das Knurren ihres Gefährten genau das bewirken? Aber sie kennt keinen magischen Spruch. Zumal sie bisher nicht daran glaubte, dass es Magier in ihrer Welt gibt. Wenn das hier jedoch ein Elfenwald ist, existieren folglich auch Elfen. Dann könnte es genauso Zaubersprüche geben und Worte, die sie aufheben!

      Während diese Gedanken in rasender Schnelle durch ihren Kopf jagen, stemmt sie sich mit aller Kraft gegen den unwiderstehlichen Drang, einfach nachzugeben. Warum nicht im Nebel von der Anstrengung ausruhen? Das wäre eine große Erleichterung. Ihre Anspannung lässt etwas nach. Dragon bemerkt das und schüttelt den Kopf. Runa schaut auf den Waldboden. Es trennt sie lediglich ein Viertelschritt vom Waldsaum. Wie kann sie gegen diese Zugkraft ankommen, was vermag zu helfen? – Magie! – Genau. Damit könnte es gelingen. Aber woher soll sie wissen, welchen Spruch sie anwenden muss.

      »Abrakadabra« wirkt lediglich auf einer Bühne oder in Märchen, genauso wie »Simsalabim«. Hm. In dem Buch über die Dracheninsel gibt es einen Anhang, in dem Zaubersprüche aufgelistet sind. Ob die helfen könnten? Muss sie aber nicht zusätzlich magische Fähigkeiten besitzen?

      Ein prüfender Blick zeigt, es trennt sie nur noch eine Handbreite von der Nebelwand! Dragon ist inzwischen komplett in den Dunst gehüllt.

      »Jetzt mach schon, erinnere dich!«, ermahnt sich Runa. Ihre Augen gleiten in Gedanken die Liste nach unten. Dann stutzt sie. »Einen gesprochenen Zauber aufheben oder jemand anhalten, stoppen.« Sobald sie diese Zeile sieht, ist sie überzeugt, den notwendige Spruch gefunden zu haben! Obschon sie vor Anstrengung keuchen muss, bringt sie das magische Wort über ihre Lippen.

      »Inhibeo, Inhibeo, INHIBEO!«, schreit sie. Doch der Erfolg bleibt aus. Warum klappt das nicht? »Weil du nicht zaubern kannst!«, schießt ihr die Antwort durch den Kopf. Das will und kann sie nicht akzeptieren. Es liegt vermutlich daran, dass sie den Zaubernebel nicht aufgerufen hat und ihn deshalb auch nicht beenden kann. Welcher Spruch könnte stattdessen helfen? Ihr Auge ist blicklos auf die drohende Gefahr gerichtet. Es trennt sie kaum ein Millimeter von dem Nebel. Sie durchforstet erneut die Liste der Zaubersprüche.

      »Könnte eine Feuerzunge helfen, die in eine Zielrichtung geschickt wird?« Sie muss sich beeilen und besinnt sich nicht lange. Sie spricht das entsprechende Wort. »Lasair!« Doch auch das bleibt ohne Erfolg. Das könnte daran liegen, dass sie nicht auf den Nebel zeigen kann. Ihr linker Fuß hat die Linie bereits überschritten und Runa merkt, wie ihre Kräfte erlahmen. Der zweite Fuß rutscht über den Waldboden, dessen erdiger Geruch in ihre Nase steigt. Bei ihrer Suche nach Atropaia hat sie das nicht bemerkt. Da regnete es schließlich wie aus Kannen.

      »Ich hab’s«, jubelt sie auf. »Regen! Am Ende der Liste, in der letzten Zeile, steht doch ein Spruch, mit dem Regen aufgerufen oder ein Schwall Wasser auf ein Ziel geschickt werden kann.« In diesem Moment rutscht der zweite Fuß über den Waldrand hinaus. Noch im Vorwärtsstolpern brüllt das Mädchen laut: »Uisge!« Das Wort wiederholt es immer wieder und stoppt auch nicht, als es bereits bis auf die Haut durchnässt ist.

      »Es ist genug!« Dragon blickt sie erleichtert und ernst an. Runa lacht befreit, vermag es offensichtlich nicht zu stoppen. Sie tanzt sogar etwas in dem immer noch fallenden Regen und patscht wie ein Kleinkind durch die sich bildenden Pfützen. Muss sich der Junge Sorgen machen, dass sie verrückt geworden ist? Dass sie zaubern kann, wusste er bisher nicht. Ganz sicher ist er jedoch nicht. Weshalb schaute sie ihn sonst so an, als durchschaue sie ihn? Er wischt die Gedanken beiseite. Das zu klären hat noch Zeit. »Du musst mich in den Elfenwald ziehen«, fordert er eindringlich. »Irgendein Magier steckt hinter dem Nebel. Und das ist sicher keiner, der dir Gutes tun will! Er wird inzwischen wissen, dass sein Versuch, dich festzuhalten, fehlgeschlagen ist. Entweder er versucht etwas anderes, oder die drei Reiter erscheinen in Kürze hier. Wenn wir erst im Wald verschwunden sind, werden sie unserer Spur nicht mehr folgen können. Der Regen wird sie fortgewaschen haben.«

      »Dann komm mit mir. Du siehst doch, der Schritt über die Waldgrenze ist ganz leicht.« Runa macht einen und schaut auffordernd zu ihm zurück.

      »Aber nicht für mich. – Ich erkläre es dir später. Jetzt mach schon!« Der Junge hebt seinen Arm Richtung Mädchen. Bis in den Bereich der Bäume kommt er nicht. Runa blickt ihn verständnislos an. Doch endlich erfasst sie seine Hand und führt ihn über die unsichtbare Grenze in den Wald.

      Die Vogelstimmen verstummen, dafür sind ein Raunen und Ächzen zu hören, das vorhin noch nicht vorhanden waren. Ein heftiger Wind faucht durch die Zweige der großen Bäume und schüttelt sie. Haare wirbeln durcheinander. Hellgrüne Blätter werden abgestreift und segeln zu Boden. Sobald Runa und Dragon einen weiteren Schritt machen, verstummen die Geräusche und der Wind legt sich so schlagartig, wie er gekommen ist.

      Runa bleibt nach einigen Schritten stehen, um den Anblick des Frühlings im Wald zu bestaunen. Doch Dragon zieht sie vorwärts.

      »Du siehst, dass hier ein nur kaum erkennbarer Pfad verläuft. Wir konnten es im Nebel nicht bemerken, aber die Straße von Homarket


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