Verwehte Spuren. Franz Treller
Enkel Meschepesches.
Graf Edgar, der durch die im Ringkampfe mit Morris erlittenen Hautabschürfungen und sonstigen Verletzungen eine Zeitlang unangenehm belästigt worden war, hatte durch die von Grovers Frau ihm verordneten Heilmittel so weit Linderung gefunden, daß er sie kaum noch fühlte; doch war Ruhe für noch einige Tage geboten, ehe er sich den Anstrengungen einer Reise durch die Wälder, ohne Nachteile befürchten zu müssen, wieder aussetzen durfte.
In Sinnen verloren weilte der Offizier am Tage nach der Rückkehr von der wilden Jagd unter einer breitblätterigen Sykomore, unweit des Blockhauses, zu deren Fuße ein roh gefertigter Tisch, von Bänken umgeben, ein angenehmes, schattiges Plätzchen bot.
War ihm auf seiner Reise durch Ohio und quer von Detroit durch Michigan bis zum Muskegon die Art und Weise des Lebens auf den Farmen nicht unbekannt geblieben, so befand er sich doch hier zum erstenmal während seines Aufenthaltes in den Vereinigten Staaten an der Grenze der Zivilisation, in Gegenden, in welchen das Gesetz seine Macht bereits verloren hatte, wo jeder Mann bewaffnet sein und seine Waffen gelegentlich brauchen mußte, um sein Leben oder Eigentum zu schützen.
Wenn er sich vergegenwärtigte, daß seine Schwester, die ihm noch als zarte Erscheinung vorschwebte, umgeben von der Liebe und Fürsorge zärtlicher Eltern, und all dem äußeren Schmuck des Lebens, wie ihn ein vornehmes Heim in Deutschland bieten konnte, in ein solch wildes Waldtreiben mit seinen Mühen und Entbehrungen und Gefahren geschleudert worden war, so überkam ihn ein Gefühl unsäglicher Trauer.
Nach den Mitteilungen, die ihm der alte Baring gemacht hatte, zweifelte er nicht, daß sie und ihr Knabe schon längst nicht mehr unter den Lebenden weilten.
Daß er den Indianerstamm aufsuchte, der damals den Angriff auf die unbeschützten Farmen am Manistee ausgeführt hatte, stand fest bei ihm, wie, daß er weder Zeit noch Mühe und Geld sparen durfte, um Gewißheit über das Ende der ihm teuren Menschen zu erlangen.
Rauh war das Land, in welchem er sich befand, rauh die Bewohner desselben, aber diese wohl geeignet, den Kampf mit allen Mühseligkeiten eines solchen Lebens aufzunehmen und siegreich zu Ende zu führen.
Eine wilde, aber kernige Menschenklasse. Was ihm noch am meisten imponierte, war, daß diese rohen Waldleute solch hohe Achtung vor der Majestät des Gesetzes hatten, wenn sie dasselbe auch gelegentlich auf ihre Art selbst ausübten.
Gleichzeitig hatte er in den wenigen Tagen, die er am Muskegon weilte, auch den Auswurf des Landes kennen gelernt, der sich hier an der Grenze des Urwaldes herumtrieb.
Er erkannte klar genug, daß eine Reise durch die Wälder, selbst mit einem erprobten und erfahrenen Führer, nicht ohne Gefahren sei, um mehr als er und Heinrich weder mit dem Urwald und seinen Geheimnissen, noch mit der Art der wilden Eingeborenen vertraut waren.
Doch das schreckte weder den tapferen Offizier, noch hielt es den Bruder ab, seine Pflichten zu erfüllen, und daß bekannte oder unbekannte Gefahren Heinrich nicht einschüchterten, wußte er.
Während er so in Sinnen verloren im Schatten der Sykomore weilte, kam Grover aus den Feldern zurück und setzte sich zu ihm.
»Kalkuliere, Fremder, langweilt Euch seid an die Städte und ihr Treiben gewöhnt,« sagte er, nachdem er seinen Gast begrüßt hatte.
»Nicht doch, Mister Grover, die Einsamkeit und Eintönigkeit dieser endlosen Wälder mit ihrer feierlichen Stille hat etwas Ueberwältigendes für mich und versetzt mich in gehobene Stimmung, außerdem habe ich Sorgen, die keine Langeweile aufkommen lassen.«
»Seid entschlossen, Mann, nach Norden zu gehen?«
»Gewiß.«
»Ist ein wildes Land da oben, habe es kennen gelernt. Gehören erfahrene Waldleute dazu, um es zu bereisen. Möchte Euch gerne einen tüchtigen Führer mitgeben. Was meint Ihr denn nun zu dem Indianer, nachdem Ihr ihn im Walde bei der Arbeit gesehen?«
»Ich muß gestehen, der Mann flößt mir Zutrauen ein, Grover.«
»War gestern abend wieder höllisch im Nebel, wie er sagt, wird wohl seinen Rausch noch nicht ausgeschlafen haben.«
»Und doch verweigerte er den Whisky während unsres Streifzuges.«
»Ja, es ist merkwürdig genug, daß er bei seinen Jagden und bei einer Affaire, wie die unsre, sich der geistigen Getränke zu enthalten vermag. Ich würde ihm ja nicht so viel Rum geben und habe ihn ihm auch früher schon verweigert, aber dann geht er einfach davon bis zum nächsten Store und betrinkt sich dort. Es ist nicht leicht, mit diesen Leuten umzugehen. Ich habe früher viel mit Indianern gehandelt und so manche Beobachtungen gemacht, es ist eine besondere Art Menschen und man lernt sie nie auskennen.«
»Sprecht Ihr Ihnen gute Eigenschaften ab?«
»Nein, das tue ich nicht. Der Indianer ist erstens unbezweifelt tapfer, und das ist schon etwas, sie sind auch klug in ihrer Art, und ich höre ja, es sei hie und da der Regierung gelungen, sie seßhaft zu machen und zu Ackerbauern zu erziehen. Aber ich bestreite ihnen die unbedingte Zuverlässigkeit und Treue. Es ist eine trotzige, eitle und deshalb leicht verletzliche Rasse, sehr zum Lügen geneigt und, wenn ihre wilden Instinkte entfesselt werden, geradezu furchtbar, ein Tiger ist dann ein Lamm gegen diese heulenden Wilden.«
»Ich habe es schaudernd gehört.« Nach einer Weile fuhr der junge Mann fort: »Und haltet Ihr diese Leute nicht auch edler Empfindungen fähig?«
»Ich müßte lügen, wenn ich sagen wollte, ich hätte je eine Probe davon gesehen, obgleich, wie ich ja schon bei Baring erzählte, unser John sich wiederholt sehr gefällig gegen uns erwiesen hat.«
»Sollte nicht manches in ihrer Handlungsweise aus der Art und Weise resultieren, mit welcher sie von den Europäern behandelt worden sind, denn ganz gut ist man mit den ehemaligen Besitzern dieses Bodens wohl nicht umgegangen.«
»Ist ein Fakt, Fremder, ist nicht immer redlich mit ihnen verfahren, sind hie und da wie wilde Tiere behandelt und von den schuftigen Agenten greulich betrogen worden.«
»Da seht Ihr.«
»Ist ein Fakt. Sind aber trotzdem tückische Gesellen und ganz ist keinem von ihnen zu trauen. Will Euch deshalb nicht zureden, den John mitzunehmen, ob ich gleich nichts gegen den Mann zu sagen weiß, und ich die Jahre, die er bei uns zubringt, gut mit ihm ausgekommen bin.«
»Wenn der Mann mit mir gehen will, ich will ihm gerne die Führung anvertrauen und ihn reich bezahlen.«
»Wenn ich nur dahinter kommen könnte, was den John eigentlich von seinen Stammesgenossen fern hält? Ein Indianer von den Seen oben ist er, das ist sicher, aber er will nicht heraus mit der Sprache, welchem Stamme er angehört. Es müssen da ganz besondere Gründe vorliegen. Seit Menschengedenken hat sich in diesen Gegenden außer John kein Indianer blicken lassen. Die sind längst alle nach Norden vertrieben worden oder auf Reservationen angesiedelt, wie die Ottawas, Pottawatomie, Huronen und wie diese roten Völkerschaften alle heißen. Wollt Ihr, Fremder, den John mitnehmen, fraglich ist es ja, ob er geht, so will ich Euch nicht abreden, denn geschickt und tapfer ist der Mann, das habt Ihr ja selbst gesehen und, was bei Eurer Fahrt nicht zu unterschätzen ist, ein trefflicher Jäger, aber auch nicht zureden.«
»Nach dem, was ich von ihm gesehen habe, bin ich entschlossen, wenn er will, ihn mitzunehmen.«
»Gut. Was ich noch sagen wollte,« äußerte der Wirt nachdem er sich einigemal geräuspert hatte, »wäre mir angenehm, Fremder, wenn Ihr die Sache nicht erwähnen wolltet «
»Welche Sache ?«
»Nun, daß ich da oben am Muskegon den Kinderstreich beging und die Büchse losgehen ließ. Ich könnte mich ja selbst dafür ohrfeigen, aber wird es hier bekannt, so hänseln mich die Bursche so, daß ich ein Haus weiter ziehen müßte, und das möchte ich nicht.«
Lächelnd entgegnete der Graf: »Seid unbesorgt, Grover, ich erwähne die Sache nicht, aber wie ist's mit dem Indianer?«
»Der spricht nicht. Wenn Ihr aus einem Indianer etwas herausbekommen wollt, dann müßt Ihr's schlau