Die Tränen der Waidami. Klara Chilla
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Klara Chilla
Die Tränen der Waidami
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Inhaltsverzeichnis
Prolog
Die alte Frau starrte auf die Wellen, die sanft an den Strand rollten, den feinkörnigen Sand überschwemmten, um sich augenblicklich wieder davon zurückzuziehen, doch nicht, ohne etwas von sich zurückgelassen zu haben. Dort wo sich das Wasser von seiner Hinterlassenschaft trennte, färbte sich der Sand dunkel und klumpte zusammen.
Merka ging in die Knie und presste ihre beiden Hände flach ausgebreitet in die kühle Feuchtigkeit. So verharrte sie für einige Atemzüge. Dann richtete sie sich schwerfällig wieder auf und betrachtete mit zusammengezogenen Augenbrauen ihre Abdrücke. Nur zögernd füllten sich die Vertiefungen mit neuen Wellen, wuschen sich aus und verschwanden, als hätten sie niemals existiert. Doch etwas hatte sich verändert. Für das menschliche Auge war es unsichtbar, aber die Ordnung der Sandkörner war durcheinandergeraten und veränderte damit den ganzen Strand und hatte Folgen für die ganze Insel. Unauffällig zwar, aber nichts würde wieder jemals so sein wie zuvor. Merka stand nun ganz auf, ihre Augen fest auf das Meer gerichtet. Die Sandkörner waren so verschieden wie die Visionen der Seher. Und genau wie der kleine Abdruck ihrer Hand das natürliche Gefüge ins Rutschen brachte, hatte der kleine Betrug an einer Vision die Schicksale vieler Menschen durcheinandergebracht.
Ein tiefes Grummeln stieg aus dem Inneren der Insel, und Merka sah besorgt über ihre Schulter zu dem Vulkankegel, der majestätisch die Insel überragte. Doch alles war ruhig, und er blickte so unschuldig auf sie herab, so wie er es tat, seitdem er mit seinem heißen Atem diese Insel geschaffen hatte. Er hatte all dies Leben hier erst möglich gemacht, und er war es auch, der nun unauffällig, aber bestimmt, darauf hinzuweisen begann, dass er es genauso gut auch wieder zerstören konnte.
Merka verbeugte sich tief vor dem Vulkan und murmelte eine Beschwörung an die Göttin Thethepel, wohl wissend, dass diese sie nicht erhören konnte, und lief mit eiligen Schritten zurück ins Dorf.
Nach der Schlacht
Das Meer glich einer dunklen undefinierbaren Masse, die nichts von dem verriet, was sich unter ihrer düsteren Oberfläche abspielte. Darüber erhob sich eine orangerote Sonne. Ihre Strahlen fächerten dabei wie Pfeilspitzen auseinander, als wollten sie ihr in den wolkendurchzogenen Himmel vorauseilen und die Richtung weisen.
Jess stand an der Reling auf der Backbordseite der Monsoon Treasure und betrachtete das farbenprächtige Spektakel. Langsam verwandelte sich das Meer, verlor die Dunkelheit und präsentierte sich in einem lebendigen Spiel aus Grün und Blau. Ein idyllisches Bild, wären da nicht die Wrackteile gewesen, die auf den Wellen trieben und von der Schlacht erzählten, die hier gestern noch stattgefunden hatte. Ein Segel hing zerfetzt an einem treibenden Mast und wirkte wie der gebrochene Flügel eines übergroßen Seevogels. Einige der spanischen Schiffe waren ebenfalls wie die Treasure geblieben und hatten beinahe die ganze Nacht hindurch nach Überlebenden gesucht. Die Ausbeute war nicht besonders groß gewesen. Selbst von den auf dem Riff aufgelaufenen Schiffen hatten nur wenige Männer gerettet werden können.
Tief atmete Jess die Seeluft ein, als wäre es etwas völlig Neues für ihn. Seine Hände hielt er dabei auf dem Rücken verschränkt. In der Schlacht war alles so schnell gegangen. Jess hatte das Schiff übernommen und mit Hilfe der Monsoon Treasure die Lücke in dem Riff gefunden. Nur so konnten sich die schwächeren Schiffe der Silberflotte auf die andere Seite des Riffs in Sicherheit bringen. Danach hatte er sich in die Schlacht gestürzt. Die überlebenden Waidami hatten schließlich mit ihren Schiffen wie die Hasen das Weite gesucht und seine alte Crew war wieder auf die Monsoon Treasure gewechselt. Lediglich Cale und Jintel waren mit einigen Schiffen nach Bocca del Torres aufgebrochen, um dort die versprochene Entlohnung für Tirado zu holen. Jess seufzte und dachte an Lanea, die jetzt friedlich in seiner Koje lag und schlief. Ein warmer Schauer sickerte in seine Brust und füllte sie zur Gänze. Er hatte tatsächlich keinen Gedanken mehr an die Treasure verschwendet, nachdem er sich mit Lanea zurückgezogen hatte.
Doch dieser Moment gehörte jetzt ihr. Jess löste die Hände von seinem Rücken und legte die rechte flach auf die Tätowierung. Äußerlich sah sie aus, als wäre sie nie aus ihm herausgeschnitten worden; als wäre sie nie fort gewesen. Doch unter die Oberfläche der feinen