Husserl: Die Krisis der europäischen Wissenschaften. Joachim Stiller
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Joachim Stiller
Husserl: Die Krisis der europäischen Wissenschaften
Eine Besprechung
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Inhaltsverzeichnis
Das Spätwerk: Krisis der Wissenschaften
Husserl
Edmund Husserl (* 8. April 1859 in Proßnitz, Mähren; † 27. April 1938 in Freiburg im Breisgau) war ein Philosoph und Mathematiker. Husserl gilt als Begründer der Phänomenologie, mit deren Hilfe er die Philosophie als strenge Wissenschaft (Titel einer programmatischen Schrift von 1910/11) zu begründen suchte. Er ist einer der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts.
Husserl forderte von der Philosophie, sich vorschneller Weltdeutungen zu enthalten und sich bei der analytischen Betrachtung der Dinge an das zu halten, was dem Bewusstsein unmittelbar (phänomenal) erscheint. Damit brach er mit dem um 1900 vorherrschenden Psychologismus, der die Gesetze der Logik als Ausdruck bloßer psychischer Gegebenheiten sah, wodurch Objektivität prinzipiell unerreichbar sei. Etwa ab 1907 verband er seine Phänomenologie mit der Transzendentalphilosophie, eine Wendung, der einige seiner Schüler nicht folgten.
Husserl war äußerst produktiv. Der Nachlass umfasst etwa 40.000 Seiten; seit 1950 wird das Werk im Rahmen der Husserliana (Gesammelte Werke) herausgegeben. Den größten Einfluss übte Husserl auf die Existenzphilosophen Maurice Marleau-Ponty, Jean-Paul Sartre und Martin Heidegger aus. Aber auch Theodor W. Adorno und Niklas Luhmann bauten auf ihn auf. Für die Soziologie machte besonders Alfred Schütz den Husserlschen Ansatz explizit fruchtbar.
Das Spätwerk: Krisis der Wissenschaften
In seinem Spätwerk kritisierte Husserl, dass die modernen Wissenschaften mit ihrem Anspruch, die Welt objektivistisch zu erfassen, die Fragen der Menschen nach dem Sinn des Lebens nicht mehr beantworten. Er forderte daher die Wissenschaften auf, sich darauf zu besinnen, dass sie selbst ihre Entstehung der menschlichen Lebenswelt verdanken. Die Lebenswelt, als zentraler Begriff, ist für Husserl die vortheoretische und noch unhinterfragte Welt der natürlichen Einstellung: die Welt, in der wir leben, denken, wirken und schaffen. Husserls transzendentale Phänomenologie versucht, die entstandene Entfremdung zwischen den Menschen und der Welt zu vermindern.
Im Folgenden soll das Spätwerk von Husserl „Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie“ besprochen werden. Dabei werde ich von Paragraph zu Paragraph gehen, zu jedem der 73 Paragraphen kurze Anmerkungen machen.
Teil 1
Anmerkung zu § 1:
Also, ich persönlich sehe in den Wissenschaften der 20er und 30er Jahre keine Krisis. Das bedeutet aber nicht, dass sich die Wissenschaft zum heutigen Zeitpunkt nicht inzwischen doch in einer Krisis (oder Krise, was für mich das Gleiche ist) befindet. So sprechen wir heute beispielsweise von der kosmologischen Krise, in der sich die Wissenschaft befindet... Warum sollte Husserl also zum damaligen Zeitpunkt eine Krise der Wissenschaften konstatieren. Meint er eine Krise der wissenschaftlichen Methoden, oder geht es ihm gar nicht um die Wissenschaft, sondern um die Philosophie. Oho, das ist interessant. Husserl will, wir werden es sicherlich noch sehen, die Philosophie als reine Wissenschaft begründen, als reine Phänomenologie. Man könnte es in eine solche Formel bringen:
Philosophie = Wissenschaft = Phänomenologie
Ob Husserl nun mit Wissenschaft die tatsächlichen Einzelwissenschaften anspricht, oder nur die Philosophie meint, die er gerne in der Rolle der Mutter aller Wissenschaften sehen möchte Husserl geht da zurück bis zu den alten Griechen, bei denen Wissenschaft und Philosophie noch in eins zusammenfiel), muss sich erst noch zeigen. Wir werden sehen.
Damals gab es jedenfalls noch keine Krise der wissenschaftlichen Methode. Vielleicht auch deshalb keine Krise (Krisis) der Methode, weil die Wissenschaft, zumindest zum damaligen Zeitpunkt, an sich noch eine ausgesprochen phänomenologische war. Der ganze Zuschnitt der Wissenschaft zur Jahrhundertwenden vom 19. zum 20. Jahrhundert war an sich ein mehr oder weniger phänomenologischer. So gesehen hat Husserl die Phänomenologie nicht erfunden, sondern ihr nur eine äußere philosophische Form gegeben, wenn auch vielleicht eine äußerst problematische... Freud beispielsweise bemüht in seinen sämtlichen Schriften ständig den Begriff der Phänomene, und man kann in ihm den Prototypen eines guten und gesunden Phänomenologen sehen. Freud war nämlich ein geradezu genialischer Beobachter. Andere Phänomenologen waren Mach und Vaihinger, die sich allerdings zu einem radikalen Phänomenalismus bekannten.
Man kann übrigens auch in Newton, Darwin, Planck und Einstein echte Phänomenologen sehen. Ich bin sicher, sie hätten da keinerlei Einwände...
Übrigens ist der Begriff der "Phänomenologie" kein Zitat der bisherigen Philosophie von Husserl selbst, keine Selbstetikettierung, sondern der Begriff wurde von außen an ihn und seine Philosophie herangetragen... Zumindest so viel ich weiß. Erst danach sprang der Funke über.
Ich könnte mir vorstellen, das wenn man damals allgemein von einer Krise der Wissenschaft sprach, dann war das einfach den Erfindungen der Relativitätstheorie und der Quantenphysik geschuldet die praktisch ein komplettes physikalisches Weltbild zum Einsturz brachten. Dann kam 1922 die Entdeckung er allgemeinen Galaxienflucht von Hubbel dazu, was zur Urknalltheorie führte. Es ist vollkommen klar, dass diese vielen geradezu gewaltigen Paradigmenwechsel eine ebenso gewaltige Erschütterung der Wissenschaften und auch der Gesellschaft auslösten. Aber vielleicht handelt es sich dabei weniger um eine "Krise" der Wissenschaften, als vielmehr um ihren eigentlichen Sieg.
Anmerkung zu § 2:
Husserl stellt in § 2 die Frage "nach Sinn oder Sinnlosigkeit des ganzen menschlichen Daseins." In der Überschrift hieß es: "Die positivistische Reduktion der Idee der Wissenschaft auf bloße Tatsachenwissenschaft." Was Husserl kritisiert, ist, dass die positivistisch reduzierte Wissenschaft nicht mehr von der Frage nach dem Sinn infiziert, nicht mehr von dieser Frage getragen ist. Wobei, den Naturwissenschaften billigt er diese Reduktion zu, aber nicht der Geisteswissenschaft. Hier muss also unterschieden werden, zwischen Naturwissenschaften, die ohne weiteres auf bloße Tatsachenwissenschaften positivistisch reduziert werden dürfen, und den Geisteswissenschaften, die dies eben nicht dürften. Und weiter heißt es in der Überschrift: Die "Krisis" der Wissenschaft als Verlust ihrer Lebensbedeutsamkeit". Man könnte vielleicht einschränkend sagen: Die "Krisis der Geisteswissenschaften als Verlust ihrer Lebensbedeutsamkeit (oder genauer, als Verlust ihres Lebens"sinns"). Die von mir hier gemachte Einschränkung der Husserlkritik an den Wissenschaften auf eine Kritik lediglich an den Geisteswissenschaften scheint mir hier einfach notwendig zu sein.
Anmerkung zu § 3: