Die Sonne über Seynako. Sheyla McLane

Die Sonne über Seynako - Sheyla McLane


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      Die Sonne

      über Seynako

      Sheyla McLane

      Für Alex

      Impressum

      Texte: © Copyright Sheyla McLane

      Umschlag: © Copyright by AmpersandBookCovers

      Distributor: epubli, ein Service der

      neopubli GmbH, Berlin

      Auflage Februar 2019

      Vorgeschichte

      Die Dämmerung hatte sich bereits wie ein zarter, goldener Schleier über Seynako gesenkt und die Schatten des Steinkreises länger werden lassen, als Allan aus seiner Hütte trat. Da er in Lumpen gekleidet war, erinnerte er mehr an einen Bettler als an einen Mann, der durch seine Voraussagungen den Takt des Reiches beeinflusste und auf dessen Rat selbst König Darius wertlegte. Allan befand es nicht für nötig, sich in Gold zu kleiden, obgleich sein Stand es ihm erlaubt hätte. Er wusste, dass an kostbare Roben Erwartungen geknüpft waren. Mehr, als er zu erfüllen bereit war.

      Ehrerbietig neigten die Menschen ihre Köpfe, als er zu ihnen trat. Seinen Schritten wohnte noch die Kraft der Jugend inne, seinen Zügen aber die Würde des Alters. Die gütige Wärme der sinkenden Sonne schenkte ihm Zuversicht und half Allan, die vielen Augenpaare zu ertragen, die angespannt auf ihm ruhten. Sie würden dem Land von seiner Weissagung Kunde geben. Nichts würde ihnen entgehen. Durch sie blickte ganz Seynako in diesem Moment auf ihn.

      Er weitete seinen Geist in Richtung des in überirdischer Schönheit erstrahlenden Himmels. Fast schien es so, als lächle Sol der Sonnengott selbst auf ihn herab. Zeit und Raum standen offen. Und er nahm es erleichtert zur Kenntnis. Begleitet von einem tiefen Atemzug hob der Seher die Arme. Er spürte eine gewaltige Energie. Den Funken göttlicher Gnade, der über ihren Häuptern schwebte und begann mit dem Gebet, das sein Ritual eröffnen sollte. Anfangs waren die Zauberformeln nur vage auf seinen Lippen zu erahnen, doch bald wurde seine Stimme lauter und seine Muskeln zitterten vor Erregung.

      Plötzlich schrien die Umstehenden auf, als ein goldener Blitz in der Mitte des Steinkreises ein Feuer entfachte. Furchtsam verneigten sie sich vor der Gewalt des Sonnengottes, während Allan schwer atmend die Arme sinken ließ. Ein Kribbeln schoss durch seine Adern, farbige Visionen bemächtigten sich seiner. Angestrengt kniff er die Augen zusammen, so als ob die Bilder, die er sah, dadurch an Schärfe gewinnen würden.

      „Hört mich an! Eine Gefahr droht, unter Land zu vernichten!“, rief er mit Grabesstime. Die silbergrauen Strähnen, die ihm von seiner einstigen Haarpracht geblieben waren, hatten sich gelöst und fielen wirr über seinen mit Löchern und Flicken übersäten Leinenumhang. „Die Sonne über Seynako wird sich verdunkeln und erst wieder scheinen, wenn der rechtmäßige Herrscher seinen Thron bestiegen hat. Ein Übel wird auf unser Land zukommen, das wir nicht bekämpfen können, weil wir sein wahres Gesicht nicht kennen. Wer sich ihm entgegenstellt, wird viele Unschuldige mit sich in den Tod reißen.“

      Das Wimmern eines kleinen Mädchens, das sich an den Rocksaum seiner Mutter klammerte, durchbrach die aufgeladene Stille. Die Familie der Kleinen war weder wohlhabend noch auf irgendeine andere Art einflussreich. Der einzige Grund, aus dem sie hier zwischen den Priesterinnen, Adligen und Feldbesitzern stand, war, dass es etwas gab, was sie von allen anderen unterschied. Seinen Eingebungen folgend, wies Allan auf das Kind. Inmitten der Menschentraube wirkte es wie ein vollkommen unreales Wesen, eine Kuriosität. Sein Haar schimmerte dunkelblau in seinen Ansätzen und wurde zu den Spitzen hin immer heller, bis es fast weiß wirkte.

      „Dieses Mädchen!“, verkündete der Seher mit erhobener Stimme. „Sie allein wird unser Land bewahren können, denn die Soldaten mit ihren Schwertern und Bögen werden machtlos sein gegen den Feind. Nur die Waffen, die dieses Mädchen besitzt, werden ihn in die Knie zwingen.“

      Die Kleine klammerte sich noch enger an ihre Mutter, die die Besonderheit ihrer Tochter nicht teilte. Ihr Haar schimmerte weizenblond im Widerschein des Feuers, ebenso wie das aller anderen Bewohner des Landes.

      Der Legende nach war der Sonnengott Sol einst herabgestiegen, um die Sonne aus der Sicht der Menschen zu betrachten. Dabei verliebte er sich in die blühende Landschaft des Südens unter der strahlend hellen Sonne. Doch sooft er kam, um die grünen, fruchtbaren Haine zu genießen, die Felder zu durchreiten und sich im sanften Schatten der Wälder zu verlieren, wurde er von den Menschen gestört, die versuchten, ihn seiner goldenen Haare zu berauben. Sie glaubten, ihr Besitz verleihe ihnen ebenfalls göttliche Kräfte. Doch Sol vergalt diesen Aberglauben, indem er durch einen Zauber bewirkte, dass das gesamte Volk des Südens blonden Hauptes war, so wie er.

      Augenblicklich verlor das goldene Haar seinen Reiz und die Leute schämten sich ob ihrer eigenen Torheit.

      Eines nachts erschien Trivia, die Schirmherrin des Mondes und Göttin der Magie, dem Sohn des damals herrschenden Königs. „Ich habe dich von allen Erdenwesen auserwählt, mir zu folgen.“, sprach sie. „Durch mich wirst du so mächtig werden, dass du selbst deinen Vater an Einfluss übertriffst. Was kann Seynako dir bieten? Ein paar sonnige Jahre, in denen du über ein Volk von Dummköpfen regieren und goldene Pantoffel tragen darfst. Ein bedeutungsloser Name in einer langen Reihe noch bedeutungsloserer Vorfahren, das wirst du sein. Hier im Norden aber gibt es neues Land. Ein Reich, das den Hunger deiner Seele stillt und über dessen Geschichte du allein bestimmen sollst. Du brauchst nichts zu tun, als mir zu gehorchen.“

      Der Prinz folgte ihrem Ruf gen Norden und erbaute ihr zu Ehren eine Kathedrale. Trivia hielt ihr Versprechen – und mehr als das. Sie schenkte ihm einen Sohn, der zur Hälfte göttlich und von engelsgleicher Schönheit war. Überdies besaßen alle Menschen im Reich des Nordens eine dunkle Haarfarbe, weil Trivia das Gold der Sonnenanbeter verabscheute. Seitdem war der Kontinent in nur zwei große Länder gespalten, die von einem mächtigen Gebirge getrennt und durch ihre Feindschaft für immer entzweit bleiben sollten.

      Der Seher gehörte zwar zu den Ältesten Seynakos, doch weder sein Vater noch sein Großvater hatten die Zeit erlebt, in der die Götter noch auf Erden weilten. Sie lag viele hundert Jahre zurück und niemand, den er kannte, trauerte ihr mehr nach. Die Menschen hatten vergessen, dass ihr blondes Haar sie einmal als Strafe heimgesucht hatte. Sie dankten Sol für seine Güte und fühlten sich ihm, dem Schöpfer der lebenspendenden Sonne, die sie mehr als alles andere verehrten, in Ewigkeit verbunden.

      „Papa, ich will ein Held sein!“

      Herzlich lächelnd strich Darius über das erhitzte Gesicht seines Sohnes. „Das wirst du, wenn du groß bist.“

      Alec stieß die Hand seines Vaters fort, erzürnt über dessen milde Worte. „Ich will aber jetzt ein Held sein!“ Bald, das war ihm bewusst, würde er in die Fußstapfen seines Vaters treten und Regent über ein gigantisches Reich werden. Er würde auf den wildesten Pferden reiten, mit den gefährlichsten Feinden kämpfen und rauschende Feste feiern, natürlich zu seinen Ehren. Das Erwachsenwerden konnte ihm gar nicht schnell genug gehen.

      Darius nahm ihn gegen seinen Willen auf den Schoß. „Wie oft habe ich dir das schon erklärt?“, begann er. „Von königlichem Blut zu sein, heißt nicht gleichzeitig, auch ein Held zu sein.“

      Das Kind hielt sich die Ohren zu. „Nicht schon wieder, Papa!“

      Sanft nahm er die kleinen, trotzig verkrampften Hände in seine. „Heute werde ich dir noch etwas Anderes sagen, Alec. Hör mir genau zu. Wie du weißt, ist unser Land seit Urzeiten verfeindet mit dem Reich des Nordens. Doch das war nicht immer so...“

      Aufmerksam spitzte Alec die Ohren.

      „Peiramos, das Reich des Nordens, war vor sehr langer Zeit einmal ein friedliches Land, in dem die Völker der Menschen ebenso frei und unabhängig lebten, wie die der magischen Wesen.“

      „Magische Wesen? Wie Drachen?“, hakte Alec mit großen Augen nach.

      „Ja, dergleichen.“, schmunzelte Darius. „Aber diese Zeit fand ein blutiges Ende und seit vielen Jahrhunderten herrscht nun der unsterbliche König Alefes wie ein Tyrann. Sein Gesicht soll die Engel an Schönheit, und sein Herz alle Monster an Grausamkeit übertreffen. Manche behaupten, er habe einen Schatten anstatt einer Seele in sich und der solle direkt


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