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      Vor Cajetan in Augsburg

      Jakob (Thomas) Vio aus Gaeta, genannt Cajetan (* 1469 – † 1534), gehörte zu den sehr wenigen Mitgliedern des Kardinalkollegs, die ihrer verantwortungsvollen Stellung sich ganz bewusst und daher bemüht waren, ihr Amt nach bestem Wissen und Gewissen zum Segen der Kirche zu verwalten. Als Mitglied des Dominikanerordens, dem er bereits in seinem 15. Lebensjahr sich angeschlossen hatte, war er schon in seiner Jugend mit dem System des Thomas von Aquino so vertraut geworden, dass er dasselbe bereits 1494 in einer Disputation mit dem berühmten Humanisten Pico della Mirandola nicht ohne Erfolg verteidigen konnte. Seitdem galt er als einer der Leuchten seines Ordens und stieg rasch zu dessen höchsten Würden empor. Schon mit 31 Jahren (1500) Ward er Generalprokurator und mit 32 General. Die Muße, die ihm sein Amt ließ, benutzte er dazu, seinen berühmten Kommentar zu der großen Summa des Thomas von Aquino auszuarbeiten. Erst das Konzil von Pisa (1511) veranlasste ihn, einmal für die bedrohte Autorität des Papsttums im Sinne und Geist des Thomas das Wort zu ergreifen. Er war es auch vornehmlich, der Papst Julius II. bewog, gegen jenes antipäpstliche Konzil das 5. Laterankonzil zu berufen, und er gab diesem Konzil dann auch durch die Unerschrockenheit, mit der er öffentlich für die damals sehr unpopuläre Lehre des Thomas von der Unfehlbarkeit des Papstes eintrat, die Signatur. Zum Lohn dafür ward er bei dem großen Pairsschub vom 1. Juli 1517, durch den Leo X. sich das aufsässige Kardinalskolleg unterwarf, zum Kardinal von San Sisto erhoben. Den Auftrag, als päpstlicher Legat in Deutschland für den beabsichtigten Kreuzzug gegen die Türken zu wirken, verdankte er nur dem Umstande, dass der Kardinal Farnese in letzter Stunde diese sehr wenig dankbare Mission abgelehnt hatte. Über die Angelegenheit Luthers enthielt seine Instruktion kein Wort. Sie erschien wohl, als er Anfang Juni 1518 Rom verließ, der Kurie noch nicht wichtig genug, um einen so berühmten Gelehrten und Kardinal mit ihrer Erledigung zu behelligen. Zufällig war er aber von allen Männern der Kurie der einzige, der Luther einigermaßen gewachsen war. Schon am 8. Dezember 1517 hatte er, noch ohne Kenntnis der 95 Thesen, eine Abhandlung über die Ablässe vollendet, in der er mehrfach zu ähnlichen Ergebnissen gelangt wie Luther. Er definiert wie dieser den Ablass als Erlass der von dem Beichtvater auferlegten Bußwerke und bekämpft gleich ihm die Meinung, dass man für die Verstorbenen Ablass lösen könne, ohne selbst ordnungsgemäß gebeichtet und die Absolution empfangen zu haben. Die Möglichkeit des Totenablasses bestreitet er aber ebenso wenig wie die Existenz des Schatzes der guten Werke und das Recht des Papstes, über diesen Schatz zu verfügen. Die Übereinstimmung mit Luther geht also nicht weit. Immerhin beweist die Abhandlung, dass Cajetan kein Theologe gewöhnlichen Schlages war wie Tetzel, Wimpina oder Prierias, sondern den Mut und Ehrgeiz besaß, sich über die Probleme, die ihn beschäftigten, eine eigene Meinung zu bilden. Als er dann den Auftrag erhalten hatte, Luther zu verhören, studierte er gewissenhaft sogleich die Schriften des sächsischen Mönches. Eine Frucht dieser Studien sind die vier kleinen Aufsätze, die er am 29. September, 2. und 7. Oktober in Augsburg verfasst hat. In dem ersten vom 29. September führt er gegen Luther, aber ohne ihn mit Namen zu nennen, aus, dass die Ablässe eben dadurch, dass sie die auferlegten Bußwerke erlassen, auch die diesen entsprechenden Fegfeuerstrafen tilgen. In dem zweiten Aufsatz vom 2. Oktober behauptet er gegen Luther: Es sei kein Zeichen von Unvollkommenheit, sich um Ablässe zu bemühen. Der Erlass der Strafe befähige vielmehr den Menschen, in größerem Maße als vorher heilige Werke zu tun. Ja es sei sogar verdienstlich, Ablass zu lösen, denn da der Ablass nur dem zugute komme, der im Stande der Gnade sich befinde, so sei diese Handlung ein Werk der eingegossenen Liebe und daher ein Verdienst. Wolle man sichergehen, dann tue man allerdings gut, die auferlegten Bußwerke trotz des gelösten Ablasses nicht zu unterlassen. Am 7. Oktober schrieb er dann gleich zwei Aufsätze über die von Luther angeregten Fragen. In dem ersten gibt er zu, dass es besser wäre, das Geld, was man für Ablässe ausgebe, den Armen zuzuwenden. Doch sei es keine Sünde, das Bessere wegen eines weniger guten Werkes zu unterlassen. Eine Todsünde würde die Verweigerung des Almosens an den Armen um des Ablasses willen nur dann sein, wenn der Arme sich in äußerster Not befände. In dem zweiten Aufsatze beschäftigt er sich mit der Lehre von dem Schatz der guten Werke. Er betrachtet diese Lehre nicht bloß als eine sogenannte fromme Meinung, sondern als ein vom Papst Clemens VI. in der Bulle Unigenitus vom 27. Januar 1343 in aller Form Rechtens definiertes Dogma und meint darum, sie müsse von jedermann unbedingt anerkannt werden. Es war ihm gewiss nicht verborgen, dass er mit dieser Ansicht unter den Theologen allein stand. Das hat ihn aber nicht gehindert, wenige Tage später auch an Luther mit diesem Ansinnen heranzutreten.

      Er hatte sich somit in seiner Weise sehr gründlich auf das Duell mit dem „schäbigen Bettelmönch“ vorbereitet und durfte danach sich wohl mit der Hoffnung schmeicheln, die für ihn als alten Professor besonders reizvolle Aufgabe, die neue Leuchte von Wittenberg zuzudecken, zu Nutz und Frommen der Kirche wie auch seines in der Person Tetzels schwer gekränkten Ordens, glänzend zu lösen.

      Luther hatte sich gleich nach Empfang des kurfürstlichen Schreibens, also wohl noch am 25. September, aufgemacht, um in Begleitung des Bruders Leonhard Beier als Socius itinerarius zunächst nach Weimar zu wandern, wo seiner genauere Weisungen warten sollten. Er fand dort den Kurfürsten, der am 22. September Augsburg verlassen hatte, schon vor, predigte am 29. September vor dem Hofe in der Schlosskapelle und erhielt dann von Spalatin einen Geleitbrief, einige Empfehlungsschreiben an Augsburger Honoratioren und ganze zwanzig Gulden Reisegeld. Am 30. September wanderte er dann weiter nach Nürnberg, wo er etwa am 4. Oktober in gänzlich abgerissenem Zustand anlagte und vergeblich nach Christof Scheurl sich umsah, der ihn auf Wunsch des Kurfürsten als Rechtsbeistand nach Augsburg weiterbegleiten sollte. Seine Stimmung war anfänglich sehr gedrückt. „Ständig“, erzählt er später, „hatte ich den Scheiterhaufen vor Augen. Nun musst du sterben, sagte ich mir.“ Aber mehr als das eigene Schicksal bewegte ihn der Gedanke: „Welch eine Schande werde ich meinen lieben Eltern sein.“ Die Brüder in den Klöstern, in denen er nach Mönchsbrauch übernachtete, trösteten ihn auch oft gar übel. In Weimar meinte der Provisor der Franziskaner, Johann Kästner: „Lieber Herr Doktor, die Welschen sind gelehrte Leute, ich fürchte, Ihr werdet Euch gegen sie nicht behaupten können und dann von ihnen verbrannt werden.“ In Nürnberg rieten ihm einige der Brüder in dem Schwarzen Kloster am Frauentor sogar, schleunigst wieder umzukehren. Solcher Kleinmut weckte in ihm jedoch stets alle guten Geister des Muts und Gottvertrauens. „Auch in Augsburg“, schreibt er aus Nürnberg nach Wittenberg, „auch mitten unter seinen Feinden herrscht Christus. Möge Christus leben und Martinus sterben... Entweder vor den Menschen oder vor Gott muss man verwerflich werden.“ Ganz leicht war es ihm aber doch nicht ums Herz, als er etwa am 5. Oktober, jetzt auch von Wenzel Link begleitet und mit Bruder Wenzels neuer Kutte köstlich angetan, seinen Stab weitersetzte. Am letzten Wandertage ward er noch von einem heftigen Magenleiden befallen, so dass er nicht mehr gehen, sondern für die letzten drei Meilen einen Wagen mieten musste. So langte er am 7. Oktober im Karmeliterhof St. Anna zu Augsburg, dessen Prior Johann Frosch ihm von Wittenberg her bekannt war, körperlich und seelisch völlig erschöpft an. Gleich nach seiner Ankunft ließ er sich durch Link im Fuggerhause bei dem Kardinal melden. Aber die sächsischen Räte Rühel und Philipp von Feilitzsch, die seinetwegen in Augsburg geblieben waren, verboten ihm, sich auf der Straße zu zeigen, ehe sie ihm von dem Kaiser und dem Rat der Stadt Geleitsbriefe verschafft hätten. Die kaiserlichen Räte ließen sich in der Tat hierzu bereitfinden, als Cajetan erklärte, sie sollten tun, was sie wollten. Inzwischen hatte das „schäbige Brüderlein“ über Mangel an Besuch nicht zu klagen. Alle Welt Wollte den neuen Herostrat sehen, der einen so großen Brand angezündet hatte. Der berühmteste Mann der Stadt, Konrad Peutinger, lud ihn sogar, um seine Neugierde zu stillen, einmal zum Essen ein. Cajetan hielt sich natürlich zurück. Aber einer der vornehmen Italiener seines Gefolges, Urban de Serralonga, ließ sich am 9. Oktober bei dem Ketzer im Karmeliterhof melden und versuchte, ihn in „echt italienischem Stile“ zu bearbeiten. Es werde ihm, meinte er, doch gewiss ein leichtes sein, die sechs Buchstaben auszusprechen: Revoco (ich Widerrufe)! Als Luther ihm entgegenhielt: „Ich muss doch unter allen Umständen meine Behauptungen rechtfertigen“, fuhr er fort: „Ei, ei, wollt Ihr ein Ringelrennen anstellen? Ihr habt die Ablassfrage viel zu ernst genommen. Warum soll man nicht Unwahres lehren, wenn die Unwahrheit nur tüchtig Geld einbringt?


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