Gelebt. Josephine Odrig
5f492ed6-ca2a-5b80-b5e1-fc02c0b6014a">
Josephine Odrig
Gelebt
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Glück
Der Himmel strahlte in einem Blau, das an Vergissmeinnicht erinnerte. Die Sonne liebkoste die unzähligen Ähren auf dem Feld und eine leichte Brise wiegte sie sanft. Eine grau gestreifte Katze schlich langsam durch das satte Grün der Wiese und die Blumen erschienen wie die bunten Farbtupfer auf einem impressionistischen Gemälde.
Sie hielt die Augen geschlossen. Außer dem gelegentlichen Ruf eines Falken umgab sie eine vollständige Stille, wie sie nur den heißen Sommertagen eigen ist. Alles Leben ging träge voran, die wenigen Geräusche verschluckte die flirrende Luft wie ein Fisch im Wasser seine Beute. Als sie ihre Augen langsam zu schmalen Schlitzen öffnete, flimmerten weiß-goldene Lichter davor. Die filigranen Blätter der Weide bewegten sich leicht im Wind und erzeugten im Blätterdach über ihr die wunderbarsten Glitzermomente. Es war, als würden Sonne und Weide ihr die schönsten Augenblicke schenken wollen. Momente, in denen nur das glitzernde Licht zwischen den zarten Blättern zählte. Momente, in denen nur sie allein im Schutz der Weide das Leben in sich einsog und alles herum vergaß.
Sie hatte die Arme unter dem Kopf verschränkt und betrachtete die alte, knorrige Weide. Was hatte sie schon alles gesehen? Wie viel Wasser hatte ihre Wurzeln bereits umspült? Das Mädchen setzte sich auf und betrachtete die zerfurchte Rinde des Baumes. Und plötzlich zog vor ihrem inneren Auge ihr eigenes Leben vorbei. Das vergangene und auch das zukünftige. Und dann kam das ihrer Mutter. Und ihrer Großmutter. Und ihrer Kinder. Und es war wie in einer Geschichte, die den Bogen über mehrere Generationen spannte. Ihr wurde die Vergänglichkeit, ihre eigene, aber auch diejenige allen Lebens auf der Welt, bewusst. Sie war ein klitzekleiner Teil, ein kleines Wesen auf dieser großen Welt im Rad der Zeit. Und dennoch fühlte sie sich nicht unbedeutend. Im Gegenteil, nur wenn alle Teile da waren und die Welt so erlebten, wie sie war, mit allem was dazugehörte, nur dann hatte die Erde und das Leben auf ihr einen Sinn. Das war das Beste und Größte, was es für den