Ein Autist erleidet Schiffbruch. Sandra Mularczyk
Ein Autist erleidet Schiffbruch
Plötzlich ist alles anders
Die Unberechenbarkeiten des Lebens
Geschichten über hochsensible, hochbegabte und/oder autistische Kinder
Sandra Mularczyk
Impressum
Text: 2020 ©Copyright by Sandra Mularczyk
Umschlag: 2020 ©Copyright by Sandra Mularczyk
Bilder: ©Copyright Pixabay, Sandra Mularczyk
Verlag: Sandra Mularczyk
Bochum
tiefsinnigesinnenleben.wordpress.com
Veröffentlicht: 2020 Epubli-Ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Das Leben muss einen Sinn ergeben
Timo ist ein Mathematiker und deswegen hat er sich in den Kopf gesetzt, dass er die Welt berechnen muss. Das Leben muss doch irgendwie zu berechnen sein, sagt er sich und arbeitet tagein tagaus an diesem Projekt. Timo ist ein Mathematiker UND ein Projekt-Liebhaber. Begeistert und voller Elan stürzt er sich von einem Projekt ins Nächste. An einigen Projekten verliert er schnell die Freude. Wenn kein befriedigendes Ergebnis zustande kommt, verliert er schnell seine Motivation. Alles muss einen Sinn ergeben, findet Timo. Auch das Leben muss einen Sinn ergeben, deswegen versucht Timo es zu berechnen.
Man kann das Leben nicht berechnen
"Man kann das Leben nicht berechnen!", sagt Lukas immer und schüttelt den Kopf. Lukas ist auch so ein Nerd wie Timo. Nerd sagt man oft zu Menschen, die anders sind, ja, man sagt es zu verrückten Freaks oder eben zu hochbegabten, hochsensiblen Autisten. Hochbegabt, hochsensibel und Autismus sollen ein Widerspruch sein, findet ihr? Nicht für Timo und auch nicht für Lukas. Das ist etwas, worin sich die beiden Nerds einig sind und schon immer einig waren. "Ein Nerd kommt selten allein!", spottet Tobi. Es ist Timos Bruder, Timos Zwillingsbruder, um es genau zu sehen, doch dass Zwillinge sich immer und grundsätzlich ähneln, stimmt nicht. Timo und Tobi sind der lebendige Beweis dafür.
Die "Normalen"
Tobi ist-wie sagt man so schön- NORMAL. Man kann die Normalen auch Neurotypische nennen . Tobi ist ganz klar und eindeutig ein Neurotypischer. Timo glaubt immer noch daran, dass bei der Geburt eine Zwillings-Verwechslung stattgefunden haben muss. DAS ist die einzige Erklärung, die er für dieses Absurdicum findet. Tobi ist nicht sein Bruder. Er ist weder sein Zwilling noch sein Bruder, sie sind überhaupt nicht...sie sind kein bisschen verwandt miteinander. So! Schnell verdrängt Timo diesen Gedanken wieder. Er darf nicht zu lange über seinen vermeintlichen Bruder nachdenken, sonst wird er noch wahnsinnig. Dann landet er nämlich immer bei Genen, Verwandschaften und dann fragt er sich, ob seine Eltern überhaupt seine Eltern sind und am Ende schreit er, weil er nichts, wirklich gar nichts mehr weiß.
Schon wieder ein MELT-DOWN
"Schon wieder ein Melt-Down!", sagt Mutter Susanne und seufzt. Muss ihr Sohn denn immer die Beherrschung verlieren? Sie denkt, dass ein Melt-Down bedeutet, dass man sich nicht ausreichend zusammen reißen kann. Deswegen hat sie mit Timo jahrelang geübt, wie man sich besser beherrschen kann. Sie versuchte es mit Strafen, Androhungen und zu guter letzt mit Liebesentzug. Wenn ich ihn lange genug brüllen lasse, hört er vielleicht von alleine auf, dachte Susanne und erlitt einen schweren Irrtum. Dann merkt er nämlich, dass Schreien keinen Sinn macht und er trotzdem nicht bekommt, was er will. So ein Sturkopf. Immer will er seinen Willen durchsetzen! Er denkt auch, die ganze Welt dreht sich nur um ihn. Ob er das von seinem Vater hat?
Reiß dich mal zusammen
Mutter Sabine übte und übte mit ihrem Sohn, doch nichts schien zu fruchten. Mittlerweile ist Timo 15 Jahre alt und er brüllt noch immer. Wie ein kleines Baby, dem man den Schnuller wegnimmt, denkt Mama Sabine und ist überfordert . Ja, wenn sie ganz ehrlich mit sich selbst ist, dann verfliegt die Wut auf ihren Sohn und stattdessen wird sie wütend auf sich selbst. Sie versteht ihren Sohn einfach nicht. Kein bisschen, nicht einmal ansatzweise. Sie hat das Gefühl, Timo kommt von einem anderen Stern. "Timo ist ein Alien!", sagt Tobi immer und verdreht die Augen. "Ach, er ist nur ein bisschen besonders!", versucht Frank dann unseren Sohn in Schutz zu nehmen. "Nur ein bisschen?", spottet Tobi daraufhin. "Er ist ein Freak." Und wenn Timo daraufhin in die Küche geschlendert kommt, seelenruhig wohlgemerkt und fragt:"Wer ist ein Freak?", sagen alle im Chor: "Du! DU BIST DER FREAK!"
Du bist ein Freak
Als Timo klein war, machte es ihm nichts aus, wenn er Freak genannt wurde. Generell machte er sich wenig aus den Worten der Menschen. Er merkte schon früh, dass sie nur Quatsch erzählen und deswegen beschloss er, nichts mehr, was die Erwachsenen sagen, für bare Münze zu nehmen. Ich darf sie nicht ernst nehmen, sagte er sich und war dankbar über die selbst erstellte Regel. Timo erfand ständig Regeln und Gesetzmäßigkeiten, denn die Regeln, die ihm die Anderen auftischen wollten, fand er unlogisch. Sie ergeben keinen Sinn, dachte Timo und deswegen befolgte er sie auch nicht. Timo ist ein braver Junge und er kann Regeln gut befolgen, aber eben nur, wenn sie einen Sinn ergeben, also nur, wenn sie logisch sind.
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