Toxicus. Anita Jurow-Janßen

Toxicus - Anita Jurow-Janßen


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Kenntnis. Er schob es auf die Pubertät und dieses banale Argument brachte er immer wieder zu Birgits Verteidigung an. Ihre Mutter war es, die sich nicht damit abfinden wollte. Auch wenn diese es durchaus normal fand, dass ihre Tochter flügge würde und nicht mehr das kleine Mädchen war, meldete sie Bedenken hinsichtlich der bevorstehenden Party an. Sie traute ihrer Tochter alles Mögliche zu. Deshalb setzte sie durch, dass ihr Mann zu jeder vollen Stunde auf der Party nach dem Rechten sah. Der verdrehte zwar jedes Mal die Augen, wenn er sich ins Getümmel der Partygäste begeben musste, tat seiner Frau aber den Gefallen, wenn auch nicht gerade sehr gewissenhaft.

      Als es gegen zweiundzwanzig Uhr klingelte, war es wahrscheinlich eher Zufall, dass Sanne es hörte. Die Musik hatte sich immer mehr zu einem überbordenden Rauschen und Dröhnen des Basses entwickelt, nach dem einige der Geburtstagsgäste sich im Takt auf der Tanzfläche, die eigens auf der Diele des großen Hauses hergerichtet worden war, bewegten. Andere wippten nur mit dem Kopf und nippten an ihren Gläsern. Mit Birgits Eltern war vereinbart, keinen Alkohol anzubieten. Aber einige der Freunde hatten das Alkoholverbot geschickt umgangen, indem sie in die Colaflaschen, die sie mitgebracht hatten, unterschiedlichen Fusel gefüllt hatten, der überall die Runde machte. Birgit, die in ihrem engen Kleid, ohne es zu ahnen, einer grünen Schlange glich, war in ihrem Element. Sie war die Königin.

      Gerade, als Sebastian Herzog sich darum bemühte, ihr einen Kuss auf den Mund zu geben, sah sie Ronny auf das kleine Sofa zukommen, auf dem sie saßen. Für einen winzigen Moment stockte ihr Atem, bevor sie betont gelassen fragte: „Wie kommst du denn hierher?“ Nach dem köstlichen Colagesöff übertünchte eine gewisse Gleichmütigkeit ihre sonst so aufbrausende Art. Dennoch ergänzte sie mit einem leichten Stirnrunzeln: „Du warst doch gar nicht eingeladen.“

      Nach dieser direkten Konfrontation sah Ronny sie etwas verunsichert an. Birgits alkoholträchtiger Zustand war aber so offensichtlich, dass er Mut fasste und sagte:

      „Deine Busenfreundin hat mich eingeladen. Wusstest du das nicht?“

      Birgit schaute jetzt misstrauisch. Sie wollte aufstehen und nach Sanne sehen, fiel aber auf das Sofa zurück.

      Sebastian, der verärgert über Ronnys Auftritt war, hatte offensichtlich ebenfalls zu viel des „köstlichen Gesöffs“ intus. Er stand auf, sagte: „Ich muss mal“ und verschwand.

      Ronny war wie verzaubert von Birgits Anblick. Spontan setzte er sich zu ihr auf das Sofa. Erschrocken rückte sie ein Stück von ihm weg. Ronny perlte Schweiß auf der Stirn, als er sagte: „Ich habe ein besonderes Geschenk für dich. Ich konnte es aber nicht mitbringen.“

      Birgit, die zwischen Widerwillen und Neugierde schwankte, sagte: „Aha, und was soll das sein?“

      „Du musst mit zu mir kommen, wenn du es haben willst.“

      „Vielleicht will ich es ja gar nicht haben.“

      „Ich glaube doch. Denn du willst doch immer etwas Besonderes. Stimmt’s?“

      „Du musst es ja wissen.“

      Sanne tauchte zwischen den Gästen auf. Ronny sah es von Weitem und stand schnell auf. Im Weggehen raunte er: „Morgen um vier Uhr. Ich warte an der Straße vor der Auffahrt auf dich. Dann bekommst du es. Aber verrate es niemandem.“ Schnell machte er sich durch die ausgelassenen Schüler davon.

      „Ich denke, du wolltest Ronny nicht einladen“, sagte Sanne, die jetzt vor dem Sofa angekommen war. Ihre Stimme klang gleichermaßen überrascht wie vorwurfsvoll. „Warum hast du es dir anders überlegt?“

      Birgit sah sie erstaunt an.

      „Wie? Der hat doch gesagt, du hättest ihn eingeladen.“

      „Was? Wie käme ich dazu? Ich hätte dich doch zumindest gefragt. Außerdem wusste ich doch, wie du dazu stehst.“

      Birgits Augen waren so glasig, dass Sanne erschrak. Sie hatte sich zurückgehalten und das verbotene Getränk standhaft abgelehnt.

      „Du hast zu viel getrunken“, sagte sie.

      „Jetzt spiel nicht den Moralapostel“, antwortete Birgit verärgert.

      „Meinetwegen trink so viel du willst. Ich könnte mir nur vorstellen, dass deine Eltern sauer werden, wenn sie das mitbekommen.“

      „Müssen sie ja nicht … Ich glaub, ich muss kotzen“, lallte Birgit und versuchte, sich von dem Sofa zu erheben.

      Sanne ergriff ihren Arm. Sie sah sich hilfesuchend nach Ben um, der war aber nirgends zu entdecken.

      „Hast du Ben gesehen?“, fragte sie Sebastian, der auf sie zukam.

      „Ich glaube, der ist gerade in die Küche gegangen.“

      „Hole ihn! Bitte! Sofort!“

      Sebastian setzte sich zögernd in Bewegung. Sanne versuchte, Birgit zu stützen. Aber diese schob sie weg. „Lass das“, schimpfte sie. „Ich kann wohl noch selbst gehen.“

      Sanne stand hilflos daneben. Sebastian kam mit Ben zur Hilfe.

      „Ben, bitte! Sie hat gesagt, sie muss kotzen. Bitte hilf ihr!“

      Sannes Stimme war den Tränen nahe.

      Ben sah sie an. „So schlimm wird es wohl nicht sein.“

      Als er Birgit umfasste, versuchte diese auch Ben wegzuschieben. Aber er ließ es nicht zu und brachte sie zur Toilette. Schnell zog er den Schlüssel aus der Tür, bevor Birgit sich einschließen konnte. Sanne sah ihn dankbar an.

      „Bitte warte mit mir, bis sie wieder herauskommt.“

      „Na klar. Was denkst du denn. Wir müssen sehen, dass meine Eltern das nicht mitbekommen. Geh mal zur Treppe und sag mir Bescheid, falls mein Vater herunterkommt. Ich halte hier so lange die Stellung.“

      Ben sah Sanne schuldbewusst hinterher. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er nicht besser auf Birgit und die ganze Situation aufgepasst hatte. Es schien alles ein wenig aus dem Ruder zu laufen.

       ***

      Ronny war mit dem Gefühl, einen ersten Sieg errungen zu haben, zu seinen Schlangen geeilt. Er hatte die beiden Mädchen gegeneinander ausgespielt. Zunächst hatte er Sanne weisgemacht, dass Birgit ihn eingeladen hatte. Die hatte ihn zwar skeptisch angesehen, ihn aber schließlich dennoch ins Haus gelassen. Lukas hatte seinen Mund gehalten und sich davongeschlichen, nachdem er seine Glückwünsche heruntergestammelt hatte. Kurz nach ihnen war noch ein Gast erschienen, der Sanne davon abhielt, sich weiter um sie zu kümmern. Ronny war vor Staunen der Mund offen stehen geblieben, als er auf ein riesiges Gemälde aufmerksam geworden war, von dem Birgit ihm entgegenlachte. Gebannt war er auf das Bild zugegangen. Bei näherem Hinsehen hatte er geglaubt zu erkennen, dass es sich doch nicht um Birgit handelte. Die Frau war schon etwas älter, sah aber fantastisch aus, in ihrem engen grünen Kleid, das bis zum Boden reichte und sich unten zu einem Volant ausbreitete. Als er sich durch die vielen Gäste zu Birgit durchgekämpft hatte, glaubte er, das Kleid an Birgit wiederzuerkennen, nur dass es jetzt kurz war. Nachdem Sanne aufgetaucht war, hatte er sich schnell aus dem Staub gemacht, und jetzt stand er vor seinen Terrarien und konnte es kaum fassen. Ich hab es geschafft. Sie hat angebissen. Ich bin mir sicher.

      Ehrfürchtig nahm er seine Anabelle aus dem Terrarium und legte sie um seinen Nacken.

      „Stell dir vor, meine Schöne. Ich bin mit Birgit verabredet. Ich weiß ganz genau, sie wird euch auch lieben. So wie sie aussieht, ist sie mit euch verwandt.“ Im Glücksrausch legte er sich mit Anabelle aufs Sofa.

      Pünktlich um sechzehn Uhr des nächsten Tages stand Ronny vor der Auffahrt der Giesevilla. Sein Herz klopfte. Wird sie wirklich kommen?

      Seine Zuversicht war plötzlich zu einem Minimum zusammengeschrumpft. Was bilde ich mir eigentlich ein! Die kommt doch nicht. Niemals.

      Zehn Minuten vergingen. Keine Birgit in Sicht. Auf das Fernglas hatte er verzichtet. Wie hätte er Birgit das erklären sollen? So konnte er jetzt aber nichts hinter ihrem Fenster entdecken. Verzweifelt und mit Wut auf sich selbst


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