MINUS. Jon Pan

MINUS - Jon Pan


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      Jon Pan

      MINUS

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Kapitel 1

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       Kapitel 4

       Kapitel 5

       Kapitel 6

       Kapitel 7

       Kapitel 8

       Kapitel 9

       Kapitel 10

       Kapitel 11

       Kapitel 12

       Kapitel 13

       Kapitel 14

       Kapitel 15

       Kapitel 16

       Kapitel 17

       Kapitel 18

       Impressum

       Kapitel 1

      Als hätte er sich gegen sie verschworen, setzte pünktlich um vier Uhr nachmittags der Regen wieder ein. Violette Girold saß an ihrem Schreibtisch und beobachtete, wie sich die gegen das Fensterglas prallenden Tropfen zu Rinnsalen ausdehnten. Düsterheit trübte die menschenleere Seitenstraße ein. Heftiger schossen die kleinen Wasserkugeln vom Himmel, und der rauschende Klang des Unwetters drängte sich in die Stille des Büros.

      Wie schon die ganze Woche – und heute war Donnerstag – hatte es immer gegen Feierabend hin zu regnen angefangen. Es schien wie eine unangenehme Verabredung mit jemandem, der es sich nicht nehmen ließ, Violette Girold mit kühler Nässe auf dem Nachhauseweg zu begleiten. Ob andere auch so sehr darunter litten, wusste sie nicht, aber sie fühlte sich zurzeit besonders einsam. Fast sehnsüchtig hatte sie die letzten Tage jeweils darauf gewartet, dass die Dunkelheit der anbrechenden Nacht die regnerische Trübe einschwärzte, auch wenn das Rauschen weiterhin zu hören war. Sie schlief bei diesem Geräusch dann schlecht ein, aber in der Hoffnung, beim Erwachen der Wärme der Sonne begegnen zu können.

      Das Telefon klingelte.

      »Weinhandlung Werenfels«, meldete sich Violette Girold. Das tat sie täglich viele Male, und meistens waren es Bestellungen, die sie entgegenzunehmen hatte. Auch diesmal war es so. Auf der vorgedruckten Liste schrieb sie mit flinker Hand die Posten mit, verabschiedete sich dann freundlich und legte auf.

      Die Weinhandlung, in der sie seit bald drei Jahren arbeitete, war klein. Es gab insgesamt nur vier Mitarbeiter, den Fahrer des Lieferwagens mit einberechnet. Dazu kam der Inhaber, Herr Anton Werenfels, der seinen Betrieb selbst leitete.

      Wieder das Telefon, diesmal intern: »Fräulein Girold, ist die Post schon weg«? Herr Werenfels persönlich wollte das wissen.

      »Nein, Herr Werenfels«, antwortete sie. »Soll ich bei ihnen noch etwas abholen kommen«?

      »Ja.« Er legte gleich auf. Das war seine Art und hatte nichts zu bedeuten.

      Der ganze Betrieb wirkte altmodisch, die Zeit schien stehen geblieben zu sein. Werenfels selbst war ein bald sechzigjähriger, strenger Mann, der immer denselben grauen Anzug trug. Eigentlich hatte er zwei davon, in derselben Farbe und Ausführung, damit ja niemand dachte, er würde sich mehrere Anzüge leisten können. Er war aber bestimmt nicht ohne Vermögen, denn das Geschäft lief seit Jahrzehnten gut.

      Über einen mit Neonlicht beleuchteten, schmalen Gang kam man zur Tür des Chefs. Fast etwas schüchtern klopfte Violette an.

      »Herein.« Die Tür war auf der Innenseite mit schwarzem Leder gepolstert und Werenfels sprach dieses »Herein« immer in normaler Stimmlage aus. Wenn es Violette Girold überhörte, so doppelte er nach und wiederholte laut: »Herein, habe ich gesagt!« So war es auch heute.

      »Sie sind’s«, stellte Werenfels unnötigerweise fest, kaum stand Violette unter der halb offenen Tür. Er machte sich nicht die Mühe, sie anzuschauen, sondern blätterte in einem Ordner, den er auf seinem massiven Schreibtisch liegen hatte. Mit der Hand griff er nach einem Brief, der gegen den Sockel der antiken Schreiblampe angelehnt war, und streckte diesen mit noch immer abgewandtem Blick über die Tischplatte. Violette trat näher und nahm den Umschlag an sich.

      »Herr Hardmeier soll sich, wenn er die Post erledigt hat, noch kurz bei mir melden«, murmelte Werenfels vor sich hin, doch es war für Violette bestimmt..

      Hardmeier war der Fahrer, der mit dem Lieferwagen die Kundschaft belieferte. Er musste auch zweimal täglich auf die Post fahren, um Pakete zu bringen, die auf diese Weise versendet wurden – immer kurz vor zwölf und kurz vor Feierabend.

      »Ich werde es ihm ausrichten«, sagte Violette und verließ das Büro ihres Chefs.

      Die Weinhandlung befand sich in einem alten Haus, das Werenfels selbst gehörte und in dessen oberen Stockwerke er drei Wohnungen vermietet hatte. Der Lagerraum war nachträglich hinter dem Haus angebaut worden, über eine schmale Zufahrt zwischen Straße und Hinterhof erreichbar, wo der Lieferwagen an der Rampe ein- und ausgeladen werden konnte.

      Die Böden in den Büros waren alle aus Holz und knarrten beim darüber gehen, ebenso war das Mobiliar – Schreibtische, Aktenschränke, Stühle – aus massivem Holz, schwerfällige Stücke, die längst über der Zeit waren. Selbst die Telefonapparate waren seit Jahrzehnten nicht erneuert worden, denn wo gab es diese schwarzen, klobigen Dinger denn noch! Und die überall an den Decken angebrachten Neonlampen wirkten irgendwie fehl am Platz.

      Violette ging an der Tür des Buchhalters vorbei. Hermann Mangold hieß der Mann, der schon seit bald dreißig Jahren für die Weinhandlung arbeitete. Er hatte sogar seine Lehrzeit bei Werenfels absolviert und war der Firma seitdem treu geblieben. Mangold war als sehr korrekt bekannt.

      Mit einem Blick durchs Fenster am Ende des Gangs vergewisserte sich Violette, ob der Lieferwagen schon an der Rampe stand. Doch nur die Regentropfen tanzten auf der Plattform aus Beton herum, die etwas Unverbrauchtes an sich hatte und vermutlich vor noch nicht so langer Zeit neu angebaut worden sein musste.

      Ein leichtes Frösteln durchfuhr Violette, sie rieb sich beidseitig mit den Handinnenflächen die Oberarme, was etwas Wärme erzeugte. Dann drehte sie


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